75 Jahre „Der Nordschleswiger“

Redakteure durch die Jahrzehnte vor Ort am Ball

Redakteure durch die Jahrzehnte vor Ort am Ball

Redakteure durch die Jahrzehnte vor Ort am Ball

Karin Friedrichsen
Karin Friedrichsen Journalistin
Nordschleswig
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Herbert Giese (82) arbeitete von 1965 bis 2004 beim „Nordschleswiger“. Foto: Karin Riggelsen

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„Der Nordschleswiger“ wurde am 2. Februar 75 Jahre alt. Wir bringen im Laufe des Jubiläumsjahres eine Serie über uns selbst. Ehemalige journalistische Mitarbeiter blicken zurück auf ihre Zeit bei der Zeitung der deutschen Minderheit.

75 Jahre

„Der Nordschleswiger“ wurde am 2. Februar 2021 75 Jahre, und am selben Tag erschien die Tageszeitung der deutschen Minderheit in Nordschleswig zum letzten Mal. „Der Nordschleswiger“ setzt in Zukunft primär auf eine digitale Berichterstattung.

Dies ist eine Jubiläums-Serie über die Geschichte und die Zukunft des „Nordschleswigers“.

19 Jahre nach der Gründung des „Nordschleswigers" ist Herbert Giese im Juli 1965 in die Lokalredaktion des „Nordschleswigers“ in Apenrade (Aabenraa) gekommen. Der gebürtige Berliner lebte damals in Mannheim. In der deutschen Fachzeitschrift für Journalisten hatte er eine Stellenausschreibung des „Nordschleswigers“ gelesen. „In Mannheim wusste kein Mensch was von der deutschen Minderheit in Nordschleswig. Ich habe trotzdem eine Bewerbung geschrieben und eine Stilprobe beigefügt“, erinnert sich Herbert Giese, der im Saarland seine journalistische Ausbildung gemacht hatte.

Vorstellungsgespräch mit Hering und warmen Gerichten

Der damalige „Nordschleswiger“-Chefredakteur Jes Schmidt fand Gefallen an dem Bewerbungsschreiben des 26-Jährigen. Giese wurde zum Vorstellungsgespräch gebeten. Auf Kosten der Zeitung konnte er zwei Nächte in einem Apenrader Hotel verbringen: „Ich habe mir gesagt, wenn es mit der Anstellung nicht klappen sollte, dann habe ich auf jeden Fall eine kleine Tour nach Dänemark bekommen“, sagt Giese und lacht. Als er in Apenrade eintraf, arrangierte der Chefredakteur zunächst eine Stadtführung. Danach ging es zum „Frokost“ in ein Restaurant am Busbahnhof. „So ein ,Frokost‘ habe ich noch nie gesehen, es schmeckte hervorragend“, erinnert sich Giese an das damals für ihn ungewöhnliche Mittags-Menü mit Heringen und warmen Gerichten.

Herbert Giese lebt mit seiner Ehefrau in Sonderburg. Foto: Karin Riggelsen

Freundschaftlich empfangen in Sonderburg

Giese wurde eingestellt und arbeitete zunächst in der Apenrader Lokalredaktion. Ein Jahr später rückte er nach Sonderburg (Sønderborg), wo er die Leitung der Lokalredaktion übernahm. „Die Redaktion war in der Perlstraße 77 gegenüber von Bäcker Otten. Sie lag im Parterre mit drei Stufen hoch zur Eingangstür. Im Winter war das schlecht für unsere älteren Leser“, sagt Herbert Giese. Später verlegte die Zeitung ihren Sitz an die Brandtsgade: „Da hatten wir dann die Kneipe ,Viking‘ in der unmittelbaren Nachbarschaft“, lacht der Redakteur im Ruhestand.

Damals habe es immer noch gewisse Animositäten gegenüber den Deutschen gegeben, wie Giese sagt. Davon habe er aber nichts bemerkt: „Ich wurde sehr freundschaftlich von den Behörden, Parteien und Organisationen aufgenommen. Mein erstes Interview führte ich auf Deutsch mit Touristikchef Per Christensen.“

Dolmetscherin Hilda organisierte Friseurtermin

Hilda Lindemann From stand ihm in Sonderburg nicht nur als Sekretärin, sondern auch als Dolmetscherin zur Seite. „Hilda war eine große Hilfe für mich. Denn immer, wenn ich Ärger mit der Sprache hatte, sprang sie ein“, blickt Giese zurück. Lachend denkt Giese an eine Episode zurück, bei der sich Hilda From nicht mit traditionellen redaktionellen Aufgaben beschäftigte, sondern für ihn dolmetschte.

König Frederik war mit seiner Tochter, der damaligen Kronprinzessin Margrethe, an Bord der königlichen Yacht „Dannebrog“ in die Alsenmetropole gekommen. Giese hatte sich für einen, im Rathaussaal stattfindenden, Empfang mit den Königlichen akkreditieren lassen. Auf die Schnelle besorgte er sich auch vom Bürgermeister Anders Andersen die Genehmigung, dass er Hilda From als Dolmetscherin mitbringen konnte. „Dann standen wir alle da im Rathaussaal, und Hilda tuschelte mir zu, was der König sagte“, verrät Herbert Giese, der sich auch noch daran erinnert, dass Hilda From sich schick machte und vor dem Termin zum Friseur ging.

Dann standen wir alle da im Rathaussaal, und Hilda tuschelte mir zu, was der König sagte

Herbert Giese, Redakteur im Ruhestand

Flinke Finger am Fernschreiber

Die vor einigen Jahren verstorbene Hilda From und Herbert Giese arbeiteten etwa ein viertel Jahrhundert zusammen. In Erinnerung behalten hat der 82-jährige Giese unter anderem den Fernschreiber, mit dem anfangs die Texte in die Hauptredaktion übermittelt wurden. „Ich schrieb schneller als der Fernschreiber, sodass nicht alle Buchstaben mitgenommen wurden“, sagt Giese. Die Übermittlung der Fotos nach Apenrade sei mit großem Zeitaufwand verbunden gewesen. Die Papierbilder wurden als Pakete verpackt zum Busbahnhof gebracht. Von dort aus wurden sie mit dem Linienbus nach Apenrade gefahren. „Dann mussten Kollegen das Paket am Busbahnhof in Apenrade abholen, und die Bilder wurden in die Zeitung gestellt“, so Herbert Giese.

„Die beste Zeit“

Nach seinem 25-jährigen Dienstjubiläum verließ Giese die Lokalredaktion, die zu dem Zeitpunkt am Rönhofplatz lag, und kehrte beruflich nach Apenrade zurück. Chefredakteur Siegfried Matlok holte ihn in die Hauptredaktion zurück. „Dort habe ich bis zu meiner Pensionierung 2004 gearbeitet“, sagt Giese. Er bezeichnet die Jahre in der Hauptredaktion als „die beste Zeit“ in seiner Karriere. Denn dort arbeitete er im Team und hatte „viele nette Kollegen“. Abendliche Termine wie in der Lokalredaktion fielen auch nur selten an. „Dafür musste ich mindestens einmal im Monat Sonntagsdienst schieben“, sagt Giese.

Es freut ihn, dass er sich Mitte der 1960er Jahre dazu entschloss, ein Bewerbungsschreiben gen Norden zu schicken, bescherte ihm dieser Entschluss nicht nur einen Arbeitsplatz über knapp vier Jahrzehnte, sondern auch seine Ehefrau Evelyn. Die gebürtige Krusauerin (Kruså) lernte er gleich zu Anfang seiner Zeit in Nordschleswig auf einem Tanzparkett in Apenrade kennen. Das Paar heiratete 1967 in Sonderburg. Die Gieses leben seitdem in der Alsenmetropole. Dem „Nordschleswiger“ will Giese auch im digitalen Zeitalter folgen. Die Tageszeitung der deutschen Minderheit in Nordschleswig erschien am Dienstag zum letzten Mal. Der 2. Februar ist gleichzeitig der 75. Geburtstag des „Nordschleswigers“, der nun ausschließlich eine Web-Zeitung ist. Des Weiteren erscheint 14-täglich eine Papierzeitung.

Cay-Uwe Hartmann mit seinem Jack Russel Terrier auf seinem Anwesen in Schauby Foto: Karin Riggelsen

Vom Korrektor zum Umbruchredakteur

Als Cay-Uwe Hartmann 1973 als Korrektor eingestellt wurde, war Jes Schmidt Chefredakteur, und die Zeitung wurde handwerklich mit Bleisatz hergestellt. „Nach zwei oder drei Jahren wurde ich Umbruchredakteur, und das war ich bis zum Schluss vor knapp 20 Jahren“, erinnert sich Hartmann.

Mit der neuen Technik auf Kriegsfuß

Mit Chefredakteur Siegfried Matlok an der Spitze stellte sich „Der Nordschleswiger“ 1983 vom Bleisatz auf sein erstes elektronisches System um. Das hatte einschneidende Konsequenzen für Hartmann, der den Zeitungsdruck im Bleisatz bevorzugte, obwohl dieser zeit- und arbeitsaufwendig war. Der Arbeitsprozess war besinnlicher, sagt Hartmann: „Mit der neuen Technik stand ich auf Kriegsfuß.“ Er habe sich aber trotzdem den Anforderungen angepasst und bearbeitete die Artikel am Computerschirm.

Mit der neuen Technik stand ich auf Kriegsfuß

Cay-Uwe Hartmann, Redakteur im Ruhestand

Hartmann hatte den Gesamtüberblick

Der nun 78-Jährige versichert, dass ihm die Arbeit als Korrektor und Redakteur dennoch Spaß machte. „Ich war der Einzige, der die Zeitung von vorne nach hinten gelesen hat. In den Redaktionen las man meistens nur die eigenen Lokalseiten. Ich hatte den Gesamtüberblick, wusste sogar Bescheid über Todesfälle und Familiennachrichten in Nordschleswig. Dabei habe ich mich gar nicht für so etwas interessiert“, versichert Hartmann. So hätten ihn die Kollegen im Laufe der Jahre immer wieder um Tipps für Artikelgeschichten gebeten, weil er sich an Themen erinnerte, an die angeknüpft werden konnte. Er war es auch, der die Striche setzte für „den kleinen, dicken Wikinger namens „Noschi“. Die Zeichnung wurde schon beim Bleisatz eingesetzt, wenn es galt, ein „Loch“ auf der Papierseite zu füllen. Die Zeichnung wurde dann 1993 vom Maskottchen „Nordi“, dem Zeitungshund des „Nordschleswigers“, abgelöst.

Cay-Uwe Hartmann gestaltet Skulpturen aus Beton. Die Werke hat er unter anderem auf dem kleinen Hofplatz und im Garten seines Anwesens aufgestellt. Foto: Karin Riggelsen

Kurzgeschichten für die Zeitung und für Besuchsdienste

Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit schrieb Hartmann, der seit vielen Jahren in Schauby (Skovby) wohnt, auch Kurzgeschichten für die damalige „Nordschleswiger“-Rubrik „Aha“.

Mit dem Schreiben beschäftigte sich Hartmann bereits vor seiner Zeit bei der Zeitung, als er als Lektor bei einem Kinderbuchverlag arbeitete. Im Ruhestand hat er auch Beiträge für die Gartenseite des „Nordschleswigers“ geliefert. Die Ehrenamtlichen von drei Besuchsdiensten in Deutschland „beliefert“ er nach wie vor mit seinen Kurzgeschichten, die die Ehrenamtler ihren Besuchsempfängern in Seniorenheimen und Krankenhäusern vorlesen können.

Die Verbindung zu seinem alten Arbeitsplatz verlor Hartmann, als „Der Nordschleswiger“ Anfang Februar ein Netzmedium wurde: „Ich habe kein Internet. Stattdessen habe ich eine gut bestückte Bibliothek. Daraus beziehe ich fortan meine Lektüre.“

Positiv bemerkt hat Hartmann, dass sich das Verhältnis von deutscher Minderheit und Mehrheitsbevölkerung und den beiden Minderheiten diesseits und jenseits der Grenze vom Gegeneinander zu einem Miteinander gewandelt hat. Dies verdeutliche sich auch dadurch, dass die neue 14-tägliche Zeitung des „Nordschleswigers“, von „Flensborg Avis“, der Zeitung der dänischen Minderheit in Deutschland, gedruckt wird, so Hartmann.

Helge Wolffhechel
Helge Wolffhechel machte sein Volontariat beim „Nordschleswiger“ und war als Lokalredakteur für die Zeitung tätig. Foto: Karin Riggelsen

Lokalredakteur in Hadersleben und Apenrade

Helge Wolffhechel arbeitete 16 Jahre beim „Nordschleswiger“. Nach dem Abitur am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig kam der junge Minderheitendeutsche aus Rothenkrug (Rødekro) 1970 als Volontär in die Apenrader Lokalredaktion.

Volontariat in Apenrade

„Nach dem Abi musste ich ja irgendwas finden“, sagt Wolffhechel und schmunzelt. Nach einem halbjährigen Studium an der Hochschule „Journalisthøjskole“ in Aarhus leistete er seinen Militärdienst ab. „Ich hatte die Zusage, dass ich wieder zurückkommen konnte zur Zeitung“, weiß Wolffhechel noch.

Lokalredakteur brachte sich für die Schleswigsche Partei ein

Nach einem Jahr in der Apenrader Lokalredaktion wurde Helge Wolffhechel Lokalredakteur in Hadersleben (Haderslev). Hadersleben kannte er aus dem Effeff: „Das ist fast meine Heimatstadt, denn meine Familie stammt aus Hadersleben.“  Er bezeichnet die Wahlkämpfe als Highlights seines Wirkens in der Domstadt, wo er sich auch als Stadtratskandidat der Schleswigschen Partei (SP) einbrachte. Einen Sitz im Kommunalparlament erreichte er nicht.

Austausch mit dänischen Kollegen

Rund 30 Jahre vor der Einweihung des ersten deutsch-dänischen Medienhauses in Nordschleswig baute Helge Wolffhechel eine gute Zusammenarbeit mit Kollegen der dänischen Zeitungen auf. Bei seinem täglichen Gang von der Redaktion am Jungfernstieg auf die Polizeiwache, wo er die aktuellen Berichte anforderte, war er regelmäßig in der Redaktion der damaligen Tageszeitung „Vestkysten“, um sich mit den Kollegen auszutauschen.

Am Anfang seiner Laufbahn war es noch die Dunkelkammer eines Fotogeschäftes in Apenrade, wo sich dänische und deutsche Journalisten ein Stelldichein gaben, wenn sie selbst zur Kamera greifen mussten. „Erst haben wir uns bei Presseterminen getroffen, und danach standen wir alle in der Dunkelkammer“, sagt Helge Wolffhechel. Er weiß nicht, wann „Der Nordschleswiger“ einen festen Fotografen bekam. Er habe auf jeden Fall zu Beginn seines Volontariats fotografieren müssen.

Erst haben wir uns bei Presseterminen getroffen, und danach standen wir alle in der Dunkelkammer

Helge Wolffhechel, Redakteur im Ruhestand
Helge Wolffhechel freut sich gegenwärtig nicht nur auf die Ankunft seines vierten Enkelkindes, er fiebert auch dem Ende der Corona-Pandemie entgegen. „Ich hoffe, dass ich 2021 erneut zum Festival nach Tondern kann.“ Foto: Karin Riggelsen

„Einmal bei der großen Zeitung arbeiten“

Wolffhechel kehrte 1983 in die Hauptredaktion zurück, wo er bis 1986 die Leitung der Apenrader Lokalredaktion innehatte. Hatte er in Hadersleben zuerst mit Schreibmaschine und Fernschreiber gearbeitet, wurde der Bleisatz Anfang der 1980er Jahre von Computern abgelöst.

1986 wechselte Wolffhechel zu der damaligen Tagesszeitung „Jydske Tidende“: „Ich wollte einmal nicht bei der kleinen Zeitung arbeiten, sondern bei der großen Zeitung.“ Er schied vor rund neun Jahren aus dem aktiven Berufsleben aus. Dem „Nordschleswiger“ als Netzmedium hält der Rothenkruger nach wie vor die Treue: „Die Papierzeitung kommt nicht mehr, deswegen musste ich mich umstellen. Dabei bin ich einer von der alten Sorte. Ich habe noch immer das Papier geliebt. Wenn es nicht mehr geht, dann geht es nicht, und dann muss man mit der Zeit gehen“, sagt der 70-Jährige.

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