100 Jahre deutsche Minderheit

„Die Jugendlichen weinten, wenn sie nicht in den Krieg durften“

„Die Jugendlichen weinten, wenn sie nicht in den Krieg durften“

„Die Jugendlichen weinten, wenn sie nicht in den Krieg durft

Dirk Thöming
Kollund
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33 Gäste diskutierten über die Zeit nach 1940 im Haus Quickborn. Foto: Dirk Thöming

In der Veranstaltungsreihe im Haus Quickborn auf den Spuren der Deutschen Minderheit berichteten Zeitzeugen über die Euphorie, für Hitler in den Krieg ziehen zu dürfen.

Frank Lubowitz vom Archiv der deutschen Minderheit leitete die dritte Veranstaltung zur Geschichte der deutschen Minderheit im Haus Quickborn mit einem kürzeren Vortrag ein.

30.000 deutsche Soldaten standen am 9. April 1940 südlich der dänisch-deutschen Grenze bereit, um Dänemark zu annektieren. „Das eigentliche Ziel der deutschen Truppen war das strategisch wichtige Norwegen“, so Lubowitz. Zwischen 4.40 Uhr und 8 Uhr morgens kam es zu kurzen Scharmützeln an verschiedenen dänischen Orten in Grenznähe, bei denen 16 dänische Soldaten getötet wurden.
Bereits um 6.30 beschloss die Regierung auf Schloss Christiansborg, den Widerstand aufzugeben, nachdem die Invasoren mit einem Bombardement Kopenhagens gedroht hatten.

Die Leitung der Mindertheit ließ es laufen

„Dass an der Grenze noch länger gekämpft wurde, lag an Problemen mit der Nachrichten-Übermittlung“, erklärte Lubowitz.
Der Einmarsch deutscher Truppen wurde von Angehörigen der deutschen Volksgruppe teilweise spontan unterstützt. „Die Leitung der Minderheit ließ es laufen“. Obwohl es verboten war, wurden in den Gärten Hakenkreuzfahnen gehisst. Die erste Enttäuschung für die Minderheit war dann, dass Berlin schnell - abschließend am 15. Juni - klarmachte, dass es nicht um eine Revision der Grenze ging. „Die euphorische Stimmung sank dann“. Die deutsche militärische Führung schloss die Grenzfrage aus, denn sie war an einer „stabilen politischen Situation in Dänemark interessiert“.
„Man wollte keine Unruhen durch eine Grenzverschiebung haben“, so Lubowitz. Die dänische Front wurde von deutschen Soldaten als „Schlagsahne-Front“ bezeichnet. „Es war keine Front“, sagte der Historiker.

Massive Werbung in der Minderheit

Dagegen gab es direkt nach dem 9. April eine massive Werbung in den Reihen der deutschen Minderheit für einen Kriegs- oder Arbeitsdienst in Deutschland. Teilweise wurden auch Freiwillige für einen Firmen-Wachdienst in Nordschleswig geworben.
Deutsche Lehrer in Nordschleswig wurden per Gestellungsbefehl eingezogen. Andere deutsche Staatsbürger, wie Pastor Jahn aus Apenrade, meldeten sich freiwillig in den Kriegsdienst. „Die Minderheit konnte ihre Mitarbeiter aber als unabkömmlich einstufen“, so Lubowitz.
Für die deutschen Nordschleswiger mit dänischem Pass war der „normale Weg“ zu Anfang der Besetzung, sich freiwillig für die Waffen-SS werben zu lassen.  Der Höhepunkt der Werbung war 1942.

„Dann sah die Leitung der Minderheit die Gefahr, zahlenmäßig geschwächt zu werden“, so Lubowitz. 1943 erklärte der deutsche Konsul in Apenrade, dass die deutsche Volksgruppe jetzt „zahlenmäßig ausgeschöpft sei“. Insgesamt waren 5.933 Angehörige der deutschen Volksgruppe im Dienst für Deutschland: darunter 1335 in der SS, 445 in der Wehrmacht, rund 2.200 Männer im Arbeitseinsatz südlich der Grenze und 1.750 in Einsatz in deutschen Fliegerhorsten in Nordschleswig. Offiziell lag die Zahl der Nordschleswiger Gefallenen bei 302, aber die Verluste seien noch deutlich höher gewesen. Auf der Gedenkstelle am Knivsberg sind 750 Namen aufgeführt. „Dazu kommt, dass viele Familien nach dem Krieg die Minderheit verließen. Sie wollten dann auf dem Knivsberg auch nicht mehr genannt werden“, sagte Frank Lubowitz.

Ich erinnere mich an die deutschen Flugzeuge

Zwei Augen- und Zeitzeugen hatten sich auf die Veranstaltung vorbereitet. Heio Mammen, geboren im August 1922, berichtete, dass er sich als 17-Jähriger in Hadersleben direkt freiwillig zum Kriegsdienst meldete. „Ich erinnere mich noch an die deutschen Flugzeuge am Himmel am 9. April“, so Mammen. „Wir wurden wieder nach Hause geschickt. Komm in einem Jahr wieder, wurde uns gesagt. Da haben viele geweint. Man glaubt es heute kaum“, berichtete er vor 33 Teilnehmern der Veranstaltung. Ein Jahr später wurde er angenommen und nach Hamburg geschickt. „Ich war völlig überzeugt“.

 

Der deutsche Nordschleswiger Heio Mammen aus Hadersleben meldete sich 1940 freiwillig zum Kriegsdienst für Deutschland. Er war enttäuscht, dass er erst ein Jahr später angenommen wurde. Foto: Dirk Thöming

 

 

Einige Teilnehmer der Veranstaltung, die die Geschehnisse teilweise aus Sicht ihrer Eltern kannten, meinten, es sei „eher freiwilliger Zwang“ gewesen. Sie bestätigten aber, dass die Dänen Verständnis dafür hatten. „Du kannst dich ruhig melden, hieß es von dänischer Seite“, berichtete eine Frau. „Es wurde in der Schule regelmäßig gefragt, wer sich noch nicht gemeldet hat“, meinte eine andere Dame. „Es wurde gesagt, ihr müsst Opfer bringen. Das ist doch Druck“, sagte ein Mann, der ebenfalls für Deutschland in den Krieg gezogen war.

Renate Weber-Ehlers berichtete davon, wie bei ihrem Onkel die Stimmung schnell umschlug. „Er sagte, er wurde hinters Licht geführt. Er wurde nach Österreich gefahren und als erstes zur Erschießung von Kriegsgefangenen abkommandiert“.
Andreas Jochens, Jahrgang 1926, der als zweiter eingeladener Zeitzeuge von seinem freiwilligen Gang in den Krieg erzählte, wurde von Frank Lubowitz gefragt, ob er während des Krieges ein Trauma erlitten habe. „Ja“, sagte er und konnte nicht mehr weitersprechen.

Irmgard Jensen aus Sonderburg erinnerte sich, dass ihr Vater im „Selbstschutz“ arbeitete. „Sie gingen zu zweit Streife und hatten Pistolen dabei. Sie sollten Firmen bewachen. Es war gefährlich. Meine Mutter sagte zu meinem Vater, sie lässt sich scheiden, wenn er es nicht lässt. Aber sie blieben trotzdem zusammen“, sagte Irmgard Jensen.
Ihr Vater hatte sich auch freiwillig für den Kriegseinsatz gemeldet. „Er durfte aber nicht. Er hatte etwas mit dem Magen“. Nach dem Krieg wurde er, wie viele Mitglieder der deutschen Minderheit, im Lager in Faarhus interniert, erzählte die Tochter.
Eben dieses Thema - Rückkehr und Inhaftierung – soll im September in der vierten Folge der Veranstaltungsreihe behandelt werden. Der Historiker und Buchautor Henrik Skov-Kristensen wird auf Dänisch über das Lager in Faarhus unter der Überschrift „Die Minderheit und die Rechtsabrechnung“ (Mindretallet og retsopgøret) berichten.

 

Irmgard Jensen aus Sonderburg erzählte, dass ihr Vater bewaffnet Firmen bewachte. Foto: Dirk Thöming
Andreas Jochens aus Sonderburg war unter den jungen deutschen Nordschleswigern, die sich freiwillig für den Kriegsdienst in Deutschland meldeten. Foto: Dirk Thöming
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