Deutsche Minderheit

Lektor: „Ich gehe jeden Tag in die Schule, um zu lernen!“

Lektor: „Ich gehe jeden Tag in die Schule, um zu lernen!“

Lektor: „Ich gehe jeden Tag in die Schule, um zu lernen!“

Karin Friedrichsen
Karin Friedrichsen Journalistin
Apenrade/Aabenraa
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Gerret Liebing Schlaber wird am Sonntag, 15. August, 50 Jahre. Er begeht seinen Ehrentag im Kreise seiner Familie. Foto: Karin Riggelsen

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Interview mit Historiker Dr. Gerret Liebing Schlaber zum 50. Geburtstag. Der Wahl-Apenrader arbeitet seit zehn Jahren am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig. Seinen Ehrentag am 15. August feiert er im Familienkreis.

Dr. Gerret Liebing Schlaber wohnt mit seiner Frau und den beiden Töchtern im nordöstlichen Teil von Apenrade. Das Haus mit Blick auf den Wald von Jürgensgaard (Jørgensgård Skov) liegt in der Nähe des idyllischen Wanderpfads „Knapstien“.

Liebing Schlaber ist in Flensburg (Flensborg) geboren und aufgewachsen. „Ich habe immer Bezüge in alle Richtungen gehabt. Ein wenig zur dänischen Minderheit und zur deutschen Minderheit nach Nordschleswig, wo meine Urgroßtante von Südalsen stammte und bis ins nordjütische Himmerland “, sagt Gerret Liebing Schlaber.

Lange Familiengeschichte so kurz wie möglich

Bei der Erforschung seiner Ahnen wurde dem Historiker bewusst, dass die Geschichte etwas aus dem Rahmen fällt. Er erfuhr auch, wie es dazu kam, dass er keinen alltäglichen Namen hat. „Ich will versuchen, eine lange und komplizierte Familiengeschichte so kurz wie möglich zu machen“, sagt Liebing Schlaber.

Sein Großvater mütterlicherseits war selbstständiger Fischer und Kapitän auf der Flensburger Förde. Auf Föhr (Før) geboren, kam er mit seinen Adoptiveltern über Amrum nach Flensburg. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Opa als Ferienkind nach Nordjütland verschickt. Zwischen ihm, seiner Familie und der Gastfamilie entwickelte sich eine starke Freundschaft, die die nachfolgenden Generationen weiterführen.

Ich will versuchen, eine lange und komplizierte Familiengeschichte so kurz wie möglich zu machen.

Lektor, Historiker Dr. Gerret Liebing Schlaber

Auf Arbeitssuche in Husby gelandet

„Mein Großvater väterlicherseits kam aus der Untersteiermark, dem heutigen Slowenien“, sagt Liebing Schlaber. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise machte er sich Anfang der 1930er Jahre in Norddeutschland auf Arbeitssuche und landete in Husby. „Da habe ich meinen Familiennamen her“, lacht Gerret Liebing Schlaber. Die älteste Spur auf den Ursprung des Nachnamens fand er im Elsass. Als er vor einigen Jahren den Geburtsort des Opas besuchte, habe es dort „einige Schlabers“ gegeben.

Weil sein Großvater starb, als Gerret zwölf war, habe er nie die Möglichkeit gehabt, den Opa nach den Familienverhältnissen zu befragen. „Ich denke, dass er auch zweisprachig war. Neben Deutsch hat er wahrscheinlich Slowenisch gesprochen“, vermutet Gerret Liebing Schlaber. Er weist darauf, dass die Steiermark nach einer Grenzziehung geteilt wurde und „manche interessanten Parallelen“ zwischen diesem Grenzgebiet und dem deutsch-dänischen Grenzland gezogen werden könnten. Nach der Heirat des Opas mit Gerrets Großmutter, die aus Altona stammte, ließ sich das Paar in Angeln nieder.

Drei-Generationen-Familie

„Und meine Großmutter mütterlicherseits kam aus Masuren“, ergänzt Gerret Liebing Schlaber. Die Kapitänswitwe war ein Teil seiner Kindheit und Jugend, denn sie lebte in seinem Elternhaus. Nach dem Tod des Großvaters siedelte sich die Drei-Generationen-Familie im östlichen Teil von Flensburg an, erinnert sich Liebing Schlaber, der keine Geschwister hat. Seinen Vornamen führt er auf Ahnen auf Föhr und Amrum zurück. „Gerret ist die hollandisierte Form des Namens mit friesischem Ursprung. Und dann bleibt noch die Frage nach dem Zwischennamen: „Das ist der Familienname meiner Frau Solveig, deren Eltern aus Südschleswig stammen und die ich 2000 geheiratet habe“, lacht Gerret Liebing Schlaber.

„Bunte“ Herkunft schärfte das Bewusstsein

Die aus verschiedenen Teilen Europas „bunt“ zusammengeführte Familie habe sein Bewusstsein für die eigene Identität geschärft, sagt der fast 50-Jährige, als wir ihn vorab seines Ehrentages besuchen. Lachend fügt er hinzu, dass er Gefallen findet an einem von Peter Ustinovs Zitaten: „Ich bin ethnisch sehr schmutzig und sehr stolz darauf.“

Geschichte des Grenzlandes im Fokus

1992 ging Gerret Liebing Schlaber nach Kiel, wo er an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) das Studium der Geschichte, der politischen Wissenschaften und der nordischen Philologie belegte. Dass er diese Studienrichtungen wählte, hatte einen besonderen Grund. In seinem Ausbildungsverlauf an der Grundschule „Hohlwegschule“ und später am städtischen Gymnasium „Goethe-Schule“ spielte die Geschichte des Grenzlandes nur eine kleine Rolle.

Liebing Schlaber erinnert sich nicht daran, dass die Minderheiten thematisiert wurden. Das nimmt er der gymnasialen Einrichtung „immer noch übel“. Er habe dann selbst Schwerpunkte gesetzt, vielleicht als Reaktion auf diese Lücke, auf die er selbst gestoßen war und sich auch für den Studiengang nordische Philologie entschlossen. „Ich wollte Dänisch lernen und mehr über Dänemark wissen. Es war schon kurios, dass ich dafür meinen Wohnsitz nach Süden verlegen musste“, sagt Gerret Liebing Schlaber.

Gerret Liebing Schlaber arbeitet seit zehn Jahren am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig. Die Stockrosen im Eingangsbereich stammen aus seinem Garten. Er entspannt mit Gartenarbeit, und die Samen seiner Rosen sind ein farbenfroher Willkommensgruß der Einrichtung der deutschen Minderheit. Foto: Karin Riggelsen

Dänischer Arbeitsalltag nach dem Magisterabschluss

Mit dem Erasmus-Programm (ein Förderprogramm der EU) machte Liebing Schlaber 1995 ein Auslandssemester an der Süddänischen Universität in Odense (SDU). Nach dem Magisterabschluss 1997 hatte er fast ausschließlich einen dänischen Arbeitsalltag. Dem Abstecher zum „Flensburger Tageblatt‘  folgte die Arbeit  in der dänischen Zentralbücherei in Flensburg (Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig) und später im Landesarchiv in Apenrade (Rigsarkivet, Aabenraa).

Doktorand in Odense

1999 hatte er „das große Glück“, eine Stelle als Doktorand an der SDU in Odense zu bekommen, und er promovierte 2002. In seiner Doktorarbeit Geschichte beschäftigte sich Liebing Schlaber mit dem regionalen Thema „Sozialpolitik im Schleswiger Land 1840-1880“. Er schrieb die Arbeit auf Deutsch, damit sie hinterher einem größeren deutschen Publikum zugänglich gemacht werden konnte. Liebing Schlaber unterrichtete an der Universität, er blieb jedoch im Grenzland wohnen. Zunächst in Flensburg und ab 2000 in Hadersleben.

Rothenkruger Bahnhof Ort des Kennenlernens

Er war auf dem Weg von Flensburg nach Odense, für sie ging die Bahnfahrt von Rothenkrug (Rødekro) aus nach Aarhus. „Ich saß im Zug, als Solveig einstieg“, erinnert sich Gerret Liebing Schlaber an die erste Begegnung mit seiner Frau. Sie war, nach einem Besuch im Elternhaus in Lügumkloster (Løgumkloster), auf dem Rückweg nach Aarhus. Das Paar heiratete im darauffolgenden Jahr und ließ sich danach in Hadersleben nieder. Ihre älteste Tochter wurde 2001 geboren. Die Jüngste erblickte 2005 das Licht der Welt. 2006 entschloss sich die kleine Familie, den Wohnsitz von der Domstadt nach Apenrade zu verlegen. Das gemietete Reihenhaus in Hadersleben war zu klein geworden.  

Von einem Tag auf den anderen

2002 kehrte Liebing Schlaber an das Landesarchiv in Apenrade zurück, wo er aufgrund der damaligen Sparrunde mit Zeitverträgen angestellt wurde. In seiner Geburtsstadt arbeitete er von 2005 bis 2009 in der dänischen Zentralbücherei. 2009 wurde er „Lehrer von einem Tag auf den anderen“, als er in der Erwachsenenausbildungseinrichtung VUC mit damaligem Hauptsitz in Hadersleben, neue berufliche Wege beschritt. Liebing Schlaber unterrichtete an den verschiedenen Standorten in Nordschleswig. 

Da war ich ganz verdattert.

Lektor, Historiker Dr. Gerret Liebing Schlaber

Rektorin: „Wärst du an einer Stelle bei uns interessiert?“

„Im Juni 2011, als ich auch mit meinem Pädagogium fertig war, hatte ich das Riesenglück, dass ich die berühmte Headhuntermail von Ilse Friis bekam“, lacht Gerret Liebing Schlaber.

„Hallo Gerret, wärst du an einer Stelle bei uns interessiert? Liebe Grüße, Ilse“, so der kurze Text der damaligen Rektorin des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig (DGN) an den damaligen VUC-Lehrer.

„Da war ich ganz verdattert“, gesteht Gerret Liebing Schlaber. „Wie meinst du das?“, war seine erste Frage, als er die Rektorin telefonisch kontaktierte. Obwohl er sich zu dem Zeitpunkt nicht vom VUC wegbeworben hätte, bezeichnet er das Stellenangebot als Glückstreffer schlechthin.

„Ich bin jetzt seit zehn Jahren an der Schule. Ich habe es keinen Tag bereut. Es ist eine schöne Schule mit netten Schülern und netten Kollegen. Ich freue mich eigentlich jeden Tag, wenn ich da bin“, unterstreicht Liebing Schlaber, der neben seinem Hauptfach Geschichte auch Wirtschaft und Politik unterrichtet. Als er in seiner Zeit beim VUC am DGN hospitierte, hatte er nicht von einer Festanstellung zu träumen gewagt.

Großes Engagement neben der Lehrertätigkeit

Liebing Schlaber steht auch „als stille Reserve“ für den Dänischunterricht für Anfänger zur Verfügung. Am DGN machen wechselnde Schülerinnen und Schüler der nordfriesischen Insel seit Jahren ihr Abitur. „Den Schülern ist mein Vorname geläufig“, erinnert Gerret Liebing Schlaber an den nordfriesischen Ursprung seines Rufnamens.

Neben seinem Amt als gewerkschaftliche Vertrauensperson seiner Kolleginnen und Kollegen hat der engagierte DGN-Lehrer weitere Aufgaben übernommen. Als Historiker ist er ganz in seinem Element bei seiner Arbeit für ein großes Geschichtsprojekt gemeinsam mit anderen Akteuren des Deutschen Schul- und Sprachvereins für Nordschleswig (DSSV) und des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN). Der BDN hat ihn zum zweiten Mal stundenweise freigekauft vom DGN, sodass er im Schuljahr 2021/2022 Textbeiträge schreiben kann für das Unterrichtsportal „Grenzgenial".

Fünfköpfiges Projektteam

Das fünfköpfige Projektteam setzt sich neben dem Historiker aus Käthe Nissen, pädagogisch-administrative Konsulentin beim DSSV, Hauke Grella, Leiter des Deutschen Museum Nordschleswig und Carina Heymann, Leiterin der DSSV-Schule in Rothenkrug, zusammen. Projektleiterin des Onlineportals Grenzgenial, Adeline Raahauge Muntejon, didaktisiert die Inhalte. „Es ist ein Glücksgriff, dass wir Adeline dabeihaben. Ohne sie ging das nicht“, meint Gerret Liebing Schlaber und verweist darauf, dass Raahauge Muntejon im Übrigen den technischen Teil des Projekts umsetzt.

Interesse für Geschichte wecken

Das Unterrichtsmaterial für Deutschlernende von der 5. bis zur 9. Klasse und gymnasialer Oberstufe knüpft an die Plattform von „Grenzgenial" an. Das Unterrichtsportal kehrte, nach zweijähriger Auszeit, im September 2020 zurück und ist nun auch Unterrichtsportal für die Minderheitenschulen. Die neuen Themenverläufe wenden sich zunächst an die DSSV-Lehrerinnen und -Lehrer, die Geschichte unterrichten. Der Wunsch nach Material, mit dem die Lehrenden ihren Unterricht zur Geschichte der Minderheit gestalten können, wurde bereits vor Jahren laut. Erste Texte des Historikers und seiner Projektkollegen sind schon im Internet freigeschaltet und öffentlich einsehbar.

Bei dem ersten Freikauf vor zwei Jahren begann Liebing Schlaber, Texte zu schreiben und die Aufarbeitung von Textquellen in Angriff zu nehmen. „Ich kann nicht irgendwas abschreiben. Ich muss mir schon ein bisschen Mühe geben“, sagt Liebing Schlaber und lächelt. Er merkte bereits vor zwei Jahren, dass die Aufgabe zu aufwendig ist, um sie neben der Arbeit beim DGN zu bewältigen.

Gerret Liebing Schlaber übt sich seit Jahren im Neinsagen, wie er augenzwinckernd erzählt. Neben seiner Arbeit als Gymnasiallehrer hat er etliche andere Tätigkeiten. Foto: Karin Riggelsen

Geschichte der Minderheit aufarbeiten

Die Minderheit arbeitet stetig daran, ihre Geschichte aufzuarbeiten. Und es bestehe, so Liebing Schlaber, ein riesiger Forschungsbedarf: „Da muss eigentlich erst angefangen werden!“

Er hofft, dass Nina Jebsen, die neue Leiterin des Archivs im Deutschen Museum in Sonderburg, auf Sicht das Team unterstützen wird. Was nach Projektabschluss mit dem Geschichtsportal passiert, ist noch ungeklärt. „Wir haben alle ein Interesse daran, dass das Projekt von bleibendem Wert ist“, unterstreicht der Historiker.

Schüler als Botschafter der eigenen Geschichte

Mit viel Herzblut begleitet Liebing Schlaber am Gymnasium die Arbeitsgruppe, die sich mit der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt und der es bereits gelungen ist, den Auftritt in den sozialen Medien zu stärken.

Etwa 30 Schülerinnen und Schüler des DGN gehören zum Team „Schülerbotschafter“. Das bewährte, grenzüberschreitende Projekt richtet sein Augenmerk auf die Verbesserung der Kenntnisse über die Minderheiten beidseits der deutsch-dänischen Grenze. Neben dem DGN sind auch die „Duborg-Skolen“ in Flensburg und die „A. P. Møller Skolen“ in Schleswig (Slesvig) eingebunden. In kleineren gemischten Gruppen besuchen die jungen Botschafter Einrichtungen in Dänemark und neuerdings auch in Deutschland und vertreten selbstbewusst ihre eigene Geschichte als einen Teil der Minderheit.

Das Interesse beim Nachwuchs fördern

Das Deutschsein oder Anderssein will gelernt sein. Kinder und Jugendliche aus der deutschen Minderheit müssen in ihrer Identitätsfindung unterstützt werden. Gerret Liebing Schlaber ist auch eine der vorderen Figuren, wenn es darum geht, Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler der deutschen Schulen in Nordschleswig zu Botschaftern für die eigene Geschichte heranwachsen zu lassen. Wegen der Maßnahmen zum Schutz der Corona-Pandemie geriet das Projekt, das im Vorjahr unter dem Namen „Frühbotschafter“ bekannt wurde, ins Stocken.

„Es ist geplant, dass die Schülerinnen und Schüler selbst einen Namen finden für das Projekt“, sagt Liebing Schlaber. Bei dieser Maßnahme, die gewisse Ähnlichkeit mit dem Botschafter-Projekt am DGN hat, arbeitet er mit Käthe Nissen sowie BDN-Koordinator Thore Naujeck und Schulleiter Jan Röhrig, Deutsche Schule Rapstedt, zusammen. Da eine frühe Auseinandersetzung mit dem Thema deutsche Minderheit wichtig ist, wendet sich das Projekt an Schülerinnen und Schüler ab der Klasse 7. Die Botschafterinnen und Botschafter des DGN haben ihren jüngeren Kollegen zum Projektauftakt beratend zur Seite gestanden. Der Lehrer des Gymnasiums ist begeistert darüber, mit welchem Engagement und Können sich die DGN-Botschafter stetig einbringen.

„Meine Lieblingsfarbe ist Bunt, auch im übertragenen Sinne und nicht nur im Garten", verrät Gerret Liebing Schlaber, der sich auch auf eine „bunt" zusammengeführte Familie beruft. Dem weltoffenen Lektor ist es unverständlich, dass es nach wie vor keine zweisprachigen Ortsschilder in Nordschleswig gibt. Foto: Karin Riggelsen

Nachwuchs direkt ansprechen

Bei allem, was er macht, ist es Liebing Schlaber wichtig, Kinder und Jugendliche direkt anzusprechen. „Wenn man ihnen von oben herab etwas aufdrückt, dann verweigern sie sich“, so Liebing Schlaber. Die Gesamtminderheit müsse am Ball bleiben, um den Nachwuchs in den Einrichtungen zu sichern. Man müsse versuchen, das Leben in der Minderheit noch deutlicher positiv zu besetzen und in der Gefühlswelt der Kinder und Jugendlichen zu verankern. Er bezeichnet die Zweisprachigkeit als großes Plus für die eigene Denkweise und absoluten Mehrwert auf dem Arbeitsmarkt.

Zukunftsvisionen aufzeichnen

Wie die Feierlichkeiten in Verbindung mit der Grenzziehung vor nunmehr 101 Jahren von dänischer Seite gehandhabt wurden, war aus seiner Sichtweite ein Rückschritt. „Ich finde, man hat sich auf die nationale Erzählung versteift. Die deutsche Minderheit hat viel positive Aufmerksamkeit bekommen. Es wurde aber eigentlich immer nur in den alten Geschichten herumgerührt, man hat nicht die Region als Ganzes im Blick gehabt“, unterstreicht Historiker Liebing Schlaber. Es sei vergessen worden, Zukunftsvisionen für die Region und somit auch für die Minderheiten aufzuzeigen und den grenzüberschreitenden Aspekt einzubringen. Für ihn habe die Grenze seit Kindheit an keine Rolle gespielt, denn seine Familie bewegte sich schon damals auf beiden Seiten der Grenze. Bei der Mehrheitsbevölkerung sei der Gedanke, dass das Leben auf der anderen Seite der Grenze weitergeht, scheinbar oftmals unvorstellbar, und das beschränke die Zusammenarbeit über die Grenze hinweg, bedauert Liebing Schlaber.

Den jungen Leuten näherbringen, dass sie Deutsch als positiven Teil ihrer Identität sehen. Und merken, dass es nichts Verstaubtes und keine Pflicht, sondern ein großes Plus ist, das wertet Liebing Schlaber als eine wichtige Aufgabe. „Aber das können sie nur selbst fühlen, ich kann ihnen nur Denkanstöße geben“, schildert der Historiker sein Wirken am Gymnasium und im Ehrenamt. Als Lehrer ist es ihm wichtig, die Schüler selbst zum Nachdenken zu bringen: „Das ist meine Aufgabe. Meine Meinung ist in dieser Verbindung Nebensache.“

„Ich gehe jeden Tag in die Schule, um zu lernen. Ich lerne auch von den großartigen jungen Leuten, die wir am DGN haben und möchte wissen, was für die jungen Leute in ihrer Situation wichtig ist und sie auf Augenhöhe begleiten“, sagt Gerret Liebing Schlaber.

Polarisierung bereitet Sorge

Ihm macht der zunehmende Nationalismus ziemliche Sorgen, sowohl wegen der zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft hüben und drüben als auch wegen des allzu leichten Aufbaus von Feindbildern, und dies meist auf der Grundlage von Unwissenheit: „Und dann ärgert es mich sehr, dass der Begriff ,tosproget‘ im Dänischen negativ besetzt ist und immer mehr als vermeintlich politisch korrekte Umschreibung für Menschen mit Migrationshintergrund, die angeblich nicht richtig Dänisch sprechen könnten und gesellschaftlich schwächer gestellt seien.“

Stationen aus dem Leben von Gerret Liebing Schlaber

Gerret und Solveig Liebing Schlaber haben zwei Töchter. Anne zieht im Spätsommer nach Aalborg, wo sie an der Universität den Studiengang Jura belegen wird. Signe ist bei Beginn des Schuljahres von der Deutschen Schule Apenrade (DPA) an das DGN gewechselt. Solveig Liebing Schlaber ist Lehrerin und Kirchensängerin. Sie arbeitet hauptberuflich an der Fjordskolen in Krusau (Kruså).

Zu seiner Biografie gehört auch der Zivildienst am Holländerhof (Wohn- und Werkstätten für Menschen mit Behinderung) in Flensburg 1991/92. Da verinnerlichte er, wie entscheidend wichtig es ist, alle Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen zu respektieren, wie sie sind. 

Ehrenamtlich gehört Gerret Liebing Schlaber seit Ende 2002 der Redaktion der „Grenzfriedenshefte“ an. Er spielt in der Handballsparte des deutschen Sportvereins in Apenrade (MTV).

Liebing Schlabers Bücher: Flensburg zwischen Gesamtstaat und Gründerzeit. Flensborg mellem helstat og kejsertid 1998. Landsarkivet for Sønderjylland. En oversigt (mit Hans Schultz Hansen und Birgitte Futtrup) 2003. Sozialpolitik im Schleswiger Land 1840-1880 (ph.d. Odense 2002). Hertugdømmet Slesvigs forvaltning 2007. Administrative tilhørsforhold mellem Ejderen og Kongeåen. 2007. Theodor Gliemanns slesvigske amtskort. Die schleswigschen Amtskarten des Theodor Gliemann (mit Erik Nørr und Carsten Porskrog Rasmussen; mit Erstabdruck von Karten aus dem frühen 19. Jahrhundert) 2008. Vom Land zum Stadtteil. Fra opland til bydele. 2009 (über Flensburgs Stadtteile).

Des Weiteren zahlreiche Artikel in deutschen und dänischen Publikationen.

 

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