Leitartikel

„Der überfällige Rücktritt“

Der überfällige Rücktritt

Der überfällige Rücktritt

Kopenhagen
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Der ehemalige Nachrichtendirektor von „TV2“, Michael Dyrby, war als Chefredakteur von „BT“ nicht mehr tragbar. Menschen, die ihre Machtposition missbraucht haben, um ihre Triebe zu befriedigen, müssen glaubwürdig darstellen können, dass sie dazugelernt haben. Und das konnte Dyrby nicht, meint Walter Turnowsky.

Nun kam er dann, der seit Mittwoch von mehreren Seiten geforderte Rücktritt des „BT“-Chefredakteurs Michael Dyrby. Seine Vergangenheit als Nachrichtendirektor von „TV2“ hat ihn eingeholt.

Die am 29. November bei „Discovery+“ erschienene dreiteilige Dokumentarserie „Metoo: Sexisme bag skærmen“ hat umfassenden Sexismus in der Nachrichtenredaktion von „TV2“ aufgedeckt. Vor allem Praktikantinnen wurden von einem großen Teil der Chefs und männlichen Moderatoren als legale „Beute“ angesehen.

Von 2003 bis 2015 war Dyrby Chef der Redaktion und bereits seit 1997 Vize-Chef.

 

Am Mittwoch übernahm er in einem Interview in „Berlingske“ die Verantwortung für die Verhältnisse. Er sei Teil des Problems gewesen, habe unpassende Beziehungen (upassende forhold) gehabt, sei seiner Verantwortung als Chef nicht gerecht geworden.

Ein solches Geständnis mag ja zunächst lobenswert erscheinen, doch zu Recht gab es umgehend Kritik, die, kurz gesagt, lautet: zu spät und zu wenig.

Nach Erscheinen der Dokumentation lautete sein Kommentar noch, er habe den beschriebenen Sexismus als Chef entdecken müssen. Und dann verschwand er für acht Tage in der Versenkung.

Als er wieder auftauchte, gestand er dann, er sei einer der in der Dokumentation beschriebenen Chefs gewesen. Er weigert sich zu vertiefen, was er mit „unpassenden Beziehungen“ meint, doch ist klar, dass er seinen Chefposten missbraucht hat, um Sex mit wesentlich jüngeren Frauen am Anfang ihrer Karriere zu bekommen.

Er habe sich in einem Zustand der Verweigerung (fornægtelse) befunden, so seine Erklärung, warum es einer dreistündigen Dokumentarserie und dann noch acht Tage Bedenkzeit bedurft hat, bevor er zu dieser Erkenntnis gelangt ist.

Im Grunde bringt er mit der „Verweigerung“ die Sache auf den Punkt. Denn das gesamte „Berlingske“-Interview sowie vier weitere vom Mittwoch sind Lehrstücke darin, wie einige Männer mit Macht diese missbrauchen, ohne es anscheinend selbst zu merken. Sie sind imstande, sich einzureden, dass es in Ordnung ist, eine Praktikantin oder befristet angestellte junge Mitarbeiterin zum Sex zu drängen, ohne sich klarzumachen, dass diese um ihre Zukunft und Karriere fürchten, wenn sie Nein sagen.

Und eben diese Verweigerung macht diese Männer so gefährlich. Sie erkennen noch nicht einmal den Schmerz, den sie verursachen, nur um ihre Triebe zu befriedigen. Dyrby hat es in der Situation nicht erkannt, auch nicht als eine Arbeitsplatz-Zufriedenheitsbefragung ihn als Problem benennt, nicht während der einjährigen Recherche zur Dokumentation und noch nicht einmal, als sie veröffentlicht wurde.

Als er sich dann nach achttägiger Denkpause angeblich vom Saulus zum Paulus gewandelt hatte, sah er zunächst keinen Anlass, zurückzutreten. Er sei nach seinem Ende bei „TV2“ ein anderer Chef geworden, habe mit professioneller Unterstützung an sich gearbeitet. Warum dieser Prozess nicht dazu geführt hat, dass er das eigene Verweigern von Tatsachen erkannte, kann er nicht beantworten.

Allein dies hätte bereits am Mittwoch zu der Einsicht seinerseits führen müssen, dass er für einen der machtvollsten Positionen der dänischen Medienwelt ungeeignet ist. Und wenn er es schon selbst nicht sehen konnte oder wollte, dann hätte ihm die Leitung von „Berlingske Media“ dabei helfen müssen. Doch Konzernchef Anders Krab Johansen tat das Gegenteil und sagte sofort nach dem Interview, Dyrby könne weitermachen.

Dabei haben weder der eine noch der andere offenbar bedacht, was es für jüngere Mitarbeiterinnen bei „BT“ bedeuten würde, weiterhin einen Chef mit solch einem „Sündenregister“ zu haben. Ob die Zeitung für Journalistinnen, die bei „TV2“ mit Dyrby schlechte Erfahrungen gemacht haben, ein attraktiver Arbeitsplatz wäre, ist ihnen ebenfalls nicht eingefallen.

Hinzu kommt, dass der Ex-Redaktionschef aus dem Zustand der Verweigerung nicht herausgekommen ist. So nennt er die Berichte der Frauen in der Sendung zwar überzeugend, meint jedoch nicht, man könne in seinem Fall von Übergriffen sprechen.

Auch streitet er ab, man habe bei „TV2“ über Sex mit dem Chef eine feste Stelle ergattern oder Karriere machen können. Ob das objektiv korrekt ist, wird sich kaum nachweisen lassen.

Es reicht jedoch, dass die betroffenen Frauen eindeutig den Eindruck hatten, es würde ihrer Karriere schaden, wenn sie Nein sagen. Dass die besagten Chefs diesen Eindruck wohl gezielt geschürt haben, ist nur ein weiterer Machtmissbrauch, den sie in ihrer Privilegienblindheit nicht erkennen konnten.  

Wobei es schon bemerkenswert ist, dass sie sich gezielt Frauen in den am wenigsten gesicherten Anstellungsverhältnissen ausgesucht haben. Was das anbelangt, ist „TV2“ übrigens kein Einzelfall: Sämtliche Untersuchungen des Problems zeigen, dass Praktikantinnen und Zeitangestellte von Sexismus und Übergriffen am stärksten betroffen sind.

Gewiss, es bedarf einer Kulturänderung, um das Problem des Sexismus zu mindern. Doch dazu zählt eben auch, dass übergriffige Machtmenschen Konsequenzen spüren.

Der etwas weinerliche Ton im Abschiedsschreiben von Michael Dyrby zeigt, dass er eine Denkpause gebrauchen kann, die länger als acht Tage dauert.

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