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Lehrerverband: Mangel an Arbeitskräften mit Deutschkenntnissen nimmt dramatisch zu

Lehrerverband: Mangel an Arbeitskräften mit Deutschkenntnissen wird dramatisch

„Großer Mangel an Arbeitskräften mit Deutschkenntnissen“

Kopenhagen/Holstebro
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Christian Smith möchte vermitteln, dass Deutsch cool ist – und erhofft sich das auch von der Politik. Foto: Privatfoto

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Die Anzahl der jungen Menschen, die im Gymnasium auf höchstem Niveau Deutsch wählen, nimmt rapide ab. Ein großes Problem, nicht zuletzt für die Wirtschaft, meint die Vorperson des gymnasialen Deutschlehrerverbandes, Christian Smith. Er fordert, die Politik müsse aktiv werden.

Es liege nicht am fehlenden Interesse der Schülerinnen und Schüler, dass immer weniger in den gymnasialen Ausbildungen Deutsch auf höchstem Niveau wählen. Es seien die Strukturen und der Diskurs, meint die Vorperson des Deutschlehrerverbandes für das Gymnasium und HF, Christian Smith.

Zwar nimmt der Anteil der Schülerinnen und Schüler, der Deutsch in der 1 und 2G – also auf dem B-Niveau – wählen, zu, doch in der 3G wählen immer mehr Schülerinnen und Schüler es ab.

Rückgang bei Deutsch auf hohem Niveau

„Das ist ein besorgniserregendes Problem“, befindet Smith, der am Holstebro Gymnasium Deutsch unterrichtet.

Zahlen des Nationalen Zentrums für Fremdsprachen (NCFF) belegen, dass an den allgemeinen Gymnasien (stx) der Anteil, der Deutsch auf dem höchsten, dem A-Niveau, wählt, innerhalb von zehn Jahren um fast die Hälfte gesunken ist, von 8,5 Prozent auf 4,7 Prozent. An den Handelsgymnasien (hhx) ist die Entwicklung ähnlich. An den technischen Gymnasien und am HF, wo eine zweite Fremdsprache nicht verpflichtend ist, wählen immer mehr Schülerinnen und Schüler Deutsch ganz ab.

„Wir sind kulturell eng mit Deutschland verbunden. Wenn wir uns selbst und unsere eigene Kultur verstehen wollen, müssen wir auch Deutsch beherrschen. Nur so können wir auch unsere eigene Position in einem europäischen Kontext zuordnen“, so die Vorperson.

Entscheidend für die Wirtschaft

Smith ist sich somit mit seiner Vorstandskollegin Jenny Gibson einig, die im Interview mit dem „Nordschleswiger“ Deutsch als die wichtigste zweite Fremdsprache bezeichnet hat. Und dies gilt nach seiner Einschätzung vor allem auch für die Wirtschaft.

„Die Exportunternehmen brauchen Leute, die Deutsch perfekt sprechen und verstehen können. Wenn man in Deutschland etwas verkaufen möchte, dann findet das auf Deutsch statt.“

Der Anteil, der das Fach auf B-Niveau wählt, ist von 46,2 Prozent auf 51,7 Prozent gestiegen. Doch auch wenn Smith diese Entwicklung erfreulich findet, so könne das, merkt er an, nicht den Rückgang auf dem höchsten Niveau ausgleichen.

„Der Unterschied ist, dass die Schülerinnen und Schüler mit einem Abschluss auf dem A-Niveau, sich fließend mündlich ausdrücken und vor allem sich auch schriftlich sicher formulieren können.“

Industrieunternehmen suchen deutschsprachige Arbeitskräfte

Und genau das seien die Fertigkeiten, die bei den Unternehmen gefragt seien. Bereits jetzt bekommen sie nicht die Arbeitskräfte mit Deutschkenntnissen, die sie benötigen. Smith nennt den Pumpenhersteller Landia in Westjütland als Beispiel. Dieser benutze Maschinen von Siemens, wo die Bedienungsanleitungen ausschließlich auf Deutsch vorliegen. Von 54 Bewerberinnen und Bewerbern für eine Stelle, habe keine und keiner die Manuale lesen können.

Eine Analyse des Wirtschaftsverbandes Dansk Industri aus dem Jahr 2021 zeigt, dass mehr als 60 Prozent der Unternehmen schätzen, dass sie innerhalb der kommenden fünf Jahre Arbeitskräfte mit Deutschkenntnissen benötigen werden.

„Die Industrie schreit nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Deutsch auf hohem Niveau beherrschen“, so Smith.

Rückgang auch an den Unis

Und das Problem wird sich nur noch verschärfen. Denn der Rückgang beim hohen Niveau im Gymnasium bedeutet, dass auch immer weniger im Studium Germanistik oder Wirtschaftsdeutsch wählen. Damit können den Gymnasien die Deutschlehrer ausgehen, denn ein bedeutender Anteil der jetzigen wird in den kommenden Jahren in Rente gehen. Und auch für die Industrie wird das ein Problem.

„Deutschland ist nach den USA immer noch Dänemarks zweitgrößter Exportmarkt. Wir können den Export nach Deutschland nicht einfach durch Export in englischsprachige Länder ersetzen“, sagt die Vorperson des Deutschlehrerverbandes.

Gymnasialreform als Ursache

Der Rückgang bei Deutsch in der 3G sei vor allem von 2019 auf 2020 dramatisch. Für den Deutschlehrerverband ein klares Anzeichen, dass die Gymnasialreform aus dem Jahr 2016 eine zentrale Ursache ist. Eigentlich sollten die Sprachfächer gestärkt werden. Aber die Festlegung auf die Studienrichtung bereits in der 1G bewirkt das Gegenteil. Wer auf der naturwissenschaftlichen Richtung Deutsch oder Französisch auf A-Niveau wählt, muss fünf statt nur vier Fächer auf hohem Niveau abschließen.

„Nehme ich mein eigenes Gymnasium als Beispiel, ist das schlicht unmöglich, weil im Stundenplan kein Platz ist. Die Fächer würden sich in der 3G überschneiden. Ich weiß, dass viele im naturwissenschaftlichen Zweig gerne das Fach auf hohem Niveau wählen würden“, so Smith.

Seine Aufforderung an die Politik ist deshalb, dass die Gymnasialreform überarbeitet werden müsse. Mit dieser Aufforderung ist der Deutschlehrerverband nicht alleine. Auch Dansk Industri fordert laut „Information“ eine Änderung der Reform.

„Es ist wichtig, dass die Bedeutung von Sprachkenntnissen in der politischen Diskussion viel stärker als bisher betont wird. Und nicht nur in der Politik, auch im allgemeinen Diskurs und am Küchentisch sollen Sprachkenntnisse als cool benannt werden“, sagt Christian Smith.

Als Positivbeispiel nennt er die Region Süddänemark, wo die Politikerinnen und Politiker 2022 einen Topf von 20 Millionen Kronen jährlich für die Stärkung des Deutschunterrichts an den Gymnasien und übrigen Jugendausbildungen bereitgestellt hat.

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