Diese Woche in Kopenhagen

„Raumschiff Schlossinsel?“

Raumschiff Schlossinsel?

Raumschiff Schlossinsel?

Kopenhagen
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Der Venstre-Politiker Tommy Ahlers ist nicht der Erste, der meint, die Politik würde sich zu wenig mit realen Problemen befassen. Sein Abschied sollte Anlass zur Reflektion sein, meint Walter Turnowsky.

Fast möchte man meinen, da hätte jemand sorgfältig das Drehbuch für eine Sommerstaffel der TV-Serie „Borgen“ geschrieben, bei der der Abschied des „Löwen“ Tommy Ahlers den dramaturgischen Höhepunkt bildet.

Denn sein Abschied – und vor allem seine Begründung dafür – knüpft nahtlos an eine Diskussion an, die die dänische Politik den Sommer über beschäftigt hat.

Der erste Abschnitt könnte am 13. Januar dieses Jahres beginnen, der Leiter der Liberalen Allianz, Alex Vanopslagh, teilte über Twitter mit, er müsse wegen Stress kürzertreten.

Er ist nicht der Einzige; zehn Folketingspolitiker haben sich während dieser Legislaturperiode bereits wegen Stress krankschreiben lassen.

Rede der Radikalen-Chefin

Im nächsten Abschnitt sind wir bei der Abschlussdebatte des Folketings im Juni angelangt. Die Chefin von Radikale Venstre, Sofie Carsten Nielsen, tritt ans Rednerpult. Sie greift die Frage der vielen Krankschreibungen auf, spricht von einem harten Arbeitsmilieu.

Doch geht es ihr um mehr als um die Arbeitsbedingungen auf der „Burg“. Die Politik sei über weite Strecken „kaputtgegangen“ sagte sie. Symbolpolitik habe die Suche nach echten Lösungen auf reale Probleme abgelöst.

Hier kann nun auch der Venstre-Politiker Tommy Ahlers erstmalig auftreten. Im Rahmen der Veranstaltungen bei der Nordschleswigschen Botschaft (Den Sønderjyske Ambassade) ließ er bei den Gesprächen mehr als nur durchblicken, dass die Politik sich nach seinem Geschmack zu viel mit sich selbst und zu wenig mit der Welt außerhalb von Christiansborg befasse. In Gesellschaft von Wirtschaftsvertretern und Existenzgründern fühlte sich der Quereinsteiger in die Politik sichtlich wohl.

Sommerdebatte

Die Rede von Carsten Nielsen löste unter anderem im Onlinemedium „Altinget“ über den Sommer eine Diskussion über das Arbeitsklima auf Christiansborg aus. Kritisiert wurde unter anderem, dass zu wenig Zeit sei, die Themen gründlich zu bearbeiten.

Rasmus Jarlov von den Konservativen war einer von denen, die sich zu Wort meldeten. Alle Parteien seien mitschuldig, meint er.

„Bei der Abwägung, ob man sachliche, gut durchdachte Beschlüsse fassen oder seine Kernthemen durchringen soll, hat die Sachlichkeit bei den meisten Politikerinnen und Politikern nur geringes Gewicht“, schrieb der Konservative.

Am Dienstag teilte Tommy Ahlers dann mit, er verabschiede sich aus der Politik. Das politische Spiel nehme zu viel Raum ein, Schaffenskraft und neue Gedanken zu wenig, so sein Abschiedssalut.

Ich hatte gehofft, ich könnte die Politik ändern, doch stattdessen hat die Politik begonnen, mich zu ändern.

Tommy Ahlers / Ex-Politiker

Nun könnte man sich eine Tüte Popcorn greifen, sich im Sessel zurücklehnen und die Staffel genussvoll an sich vorbeiziehen lassen, wäre da nicht das eine kleine Problem: In Wahrheit haben wir es mit einem Trauerspiel zu tun.

Acht Brücken

In den 80er Jahren sprach man in der deutschen Politik vom „Raumschiff Bonn“. Allzu leicht war es für die Bundespolitiker in der Kleinstadt Bonn, sich vor allem mit einem zu befassen: mit sich selbst. 

Die Insel, genannt Slotsholmen, auf der sich Christiansborg befindet, ist durch acht Brücken mit dem Rest von Dänemark verbunden. Geht man durch die Gänge des Folketings, kann einem schon der Gedanke kommen, die Verbindungen seien teilweise bereits gekappt worden.

Hier soll den Politikerinnen und Politikern nicht vorgeworfen werden, sie würden sich nicht für ihre Themen einsetzen, es nicht ernst meinen. Doch immer weniger von ihnen haben besonders viel Erfahrung aus der Welt jenseits der acht Brücken. Die Berufspolitiker geben den Ton an. Wer wie Ahlers von außen kommt, fühlt sich selten wohl.

 

Dabei sollte vor allem ein Satz seines Abschiedes nachdenklich stimmen. „Ich hatte gehofft, ich könnte die Politik ändern, doch stattdessen hat die Politik begonnen mich zu ändern“, schreibt er.

Um nun diese Kolumne nicht in einem allzu pessimistischen Ton ausklingen zu lassen, nehmen wir noch ein weiteres Zitat des nun ehemaligen Politikers.

„Vielleicht ist die Pointe ja, dass es wie beim Existenzgründen etliche Versuche braucht, bevor es glückt“, so die Aufforderung Ahlers', andere mögen in seine Fußstapfen treten.

So könnte es dann, nach weiteren drei, vier oder auch acht Staffeln, doch noch zu einem glücklichen Ende kommen.

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