Leitartikel

„Nahbereich Russland“

Nahbereich Russland

Nahbereich Russland

Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Dänemark setzt in seiner Flüchtlingspolitik auf das Schlagwort „Nahbereich“. Doch was ist das eigentlich? Cornelius von Tiedemann fragt sich das und erinnert daran, dass wir uns die Schwarz-Weiß-Malerei in Bezug auf Russland lieber nicht erst angewöhnen sollten. Schließlich ist Russland doch auch Nahbereich. Oder nicht?

Die Politik, die in Dänemark gerade en vogue, oder zumindest au pouvoir ist, will gerne, dass wir schwarz und weiß denken. Zum Beispiel: Nahbereich gut, alles andere egal.

Ungefähr so vielleicht, wie die DF-Cheftheologen Krarup und Langballe einst ebenso sinngemäß wie kulturnationalistisch fabulierten, Nächstenliebe, das sei, wenn man zu jenen stehe, die einem ohnehin schon persönlich nahestehen.

Ukraine, das ist also Nahbereich. Weshalb, will die Regierung nicht so genau definieren. Sicher ist: Der Nahbereich ist die Grundlage der dänischen Flüchtlingspolitik – und die Ukraine ist Nahbereich und Marokko nicht.

Sonst würde Dänemark ja keine aus der Ukraine geflüchtete junge Frau, die einen marokkanischen Pass hat und zu ihrer Familie nach Schweden will, an der Grenze abweisen. Tut es aber.

Schwarz-weiß denken ist derzeit auch in anderen Zusammenhängen ebenso auffällig wie unangebracht.

Falls es zum Beispiel noch nicht bekannt war: Nicht alle Russinnen und Russen gehören einem Putin-Fanclub an und sind froh über den Einmarsch in der Ukraine.  

Ukrainerinnen und Ukrainer gut, Russinnen und Russen böse. So einfach ist es eben natürlich nicht. Claudia Knauer hat alle, die es noch nicht verstanden haben, im Kulturkommentar darauf hingewiesen.

 

 

Und ich nehme den Faden gerne nochmal auf. Denn sind wir wirklich gewappnet gegen die Vereinfachung der Welt?

Sind wir gewappnet gegen Putin, der uns seine chauvinistische, hierarchische Sicht auf die Welt aufdrängen will? Der uns zum Beispiel glauben machen will, dass es um irgendwelches Volkstum gehe?

Das tapfere russische Volk. Das mutige ukrainische Volk.

Das sind rückständige und längst überholte kulturnationalistische Phrasen, die in die Müllverbrennungsanlage der Geschichte gehören. Denn die Bewohnerinnen und Bewohner der Ukraine (und Russlands) gehören vielen Völkern an, haben die unterschiedlichsten Identitäten und vielen von ihnen ist diese Einordnung in irgendwelche Volkszugehörigkeiten auch herzlich egal. Einige stehen zum Beispiel auf uneingeschränkte und vorurteilsfreie Nächstenliebe und dergleichen. Sie sind allen voran Menschen und als solche zu beurteilen und zu behandeln.

Leider verleiten Putins Schwarzweiß-Bilder nicht wenige im Westen dazu, auf Putins Ebene abzugleiten. In amerikanischen Latenight-Shows werden die tapferen Ukrainer bejubelt und die unfähigen Russen ausgelacht. Überall wird der Mut des „ukrainischen Volkes“ und der ukrainischen Nation bejubelt. Vielleicht sind Kriege Zeiten, in denen das eben so ist. Weil alles ohnehin keinen Sinn ergibt.

Doch gerade jetzt sind viele Menschen in Russland gerade jetzt unheimlich mutig.

Sie riskieren Leib und Leben, um gegen Putins Krieg zu demonstrieren. Einen Krieg, den wir im Westen über viele Jahre mitfinanziert haben.

Dies nun der gesamten russischen Bevölkerung anzuhängen, auch jenen Menschen russischer Abstammung, die hier unter uns leben, und jenen, die jetzt versuchen, aus Russland rauszukommen, ist genauso ungerecht, wie eine Flüchtlingspolitik, die Menschen in Not nach ihrer Herkunft in würdig und unwürdig aufteilt.

Apropos: Ist Russland eigentlich auch ein Nahbereich?

Mehr lesen

Leitartikel

Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
„Zusammenhalt: Es geht noch viel mehr in Nordschleswig“