Leitartikel

„Unnütze Nützjobs – oder wie wir tausendfach Chancen vertun“

Unnütze Nützjobs – oder wie wir tausendfach Chancen vertun

Unnütze Nützjobs – oder wie wir tausendfach Chancen vertun

Apenrade/Aabenraa
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„Zwangsarbeit“ oder das Ende der „Ungerechtigkeit“? Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für eingewanderte Frauen, die Sozialhilfe beziehen, sind so oder so problematisch, meint Cornelius von Tiedemann. Denn Probleme würden damit nicht gelöst.

Die Gewerkschaften sprechen von „Zwangsarbeit“, am rechten Folketingsrand wird über ein Ende der „Ungerechtigkeit“ angesichts untätiger Eingewanderter gesprochen.

Recht haben möglicherweise beide. Was nicht unbedingt für die neuen „Nützjob“-Regeln spricht.  

Worum geht es? Am selben Tag wie Mette Frederiksens Rede zur Volks- und Arbeitskraftvermehrung (Fruchtbarkeitsbehandlung für alle) ist am 1. Januar 2024 mit den neuen Sozialhilferegeln (kontanthjælp) auch die neue Ordnung zu den sogenannten „Nützjobs“ (nyttejob) in Kraft getreten.

Sie zielt primär auf eingewanderte Frauen ab, die bisher keiner Arbeit nachgehen. Die Zielgruppe besteht aus 22.000 Menschen. Kriterien sind Aufenthaltsdauer und bisher ohne Beschäftigung verbrachte Zeit.

Die Regel sieht vor, dass sich die Auserwählten 37 Stunden wöchentlich „nützlich“ machen müssen.

Heißt: Sie sollen arbeiten, wenn sie weiterhin Sozialhilfe beziehen wollen. Die Jobs dafür dürfen jedoch keine regulären Jobs sein. Denn dann müssten sie ja regulär beschäftigt werden. Und da fangen die Probleme erst an.

Dass das „Nützjob“-Konzept für eingewanderte Frauen sich schon jetzt als Fiasko abzeichnet, hat zahlreiche Gründe.

Erster Grund: die erwartete Erfolgsquote. Das Beschäftigungsministerium selbst geht davon aus, dass nur etwa 300 Personen dadurch pro Jahr in Arbeit kommen werden, was einer Erfolgsquote von 1,4 Prozent entspricht. Bei Gesamtkosten von 170 Millionen kostet es somit fast 570.000 öffentliche Kronen, also ein solides Jahresgehalt, eine Person mit diesem Projekt in Arbeit zu bringen.

Zweiter Grund: Die ohnehin schon gebeutelten Kommunen dürfen die Arbeit übernehmen, die Jobs zu kreieren. Das kostet Ressourcen, die dann nicht anderswo genutzt werden können. Zum Beispiel dabei, die Betreffenden zu qualifizieren. Ein Haken: Es darf keine Arbeit an die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger vergeben werden, die die Kommune bereits anderweitig erledigt.

Dritter Grund: Wenn dann eine Aufgabe gefunden ist, diese aber von einer Firma gelöst werden kann, die sich um den Auftrag bewirbt, sind die Kommunen angehalten, die Aufgabe auszuschreiben.

Die Ideen der Kommunalverwaltungen für „Nützjobs“ sorgen also dafür, dass in den Kommunen die kostenintensive Arbeit entsteht, nützliche Tätigkeiten und Projekte samt Mitarbeitenden, die das alles koordinieren, zu organisieren, um das Ganze dann einzustampfen und auszuschreiben und somit einen weiteren Verwaltungsakt loszutreten. Und das, ohne dass die, die sich nützlich machen sollen, auch nur die Chance dazu bekommen haben, dies zu tun.

Vierter Grund: Die Behörde für Arbeitsmarkt und Rekrutierung hat es auf der eigenen Internetseite als Aufmacher stehen: „Arbeit zu normalen Bedingungen ist der direkte Weg zu mehr Beschäftigung. Selbst wenn es nur mit ein paar Stunden anfängt.“

Die Nützjobs aber stellen keine „normalen Bedingungen“ dar, sondern das genaue Gegenteil. Menschen werden in arbeitsmarktfernen Beschäftigungen gebunden und nicht weiterqualifiziert. Die Behörde hat ausgerechnet, dass sich Menschen langfristig auf dem Arbeitsmarkt festbeißen, wenngleich sie dem Arbeitsmarkt bisher sehr ferngestanden haben, wenn sie gezielt gefördert und begleitet und ausgebildet werden. In echten Jobs, mit echtem Lohn. Muster werden durchbrochen.

Sogar die Kinder profitieren: Wenn die Eltern es schaffen und auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen, steigt die Wahrscheinlichkeit drastisch, dass der Nachwuchs es auch anstrebt – und schafft.

Fünfter Grund: „Nützjobs“ werden es kaum ermöglichen, sich in die dänische Gesellschaft zu integrieren. Die größten Hindernisse für viele erwerbslose Eingewanderte sind fehlende berufliche Qualifikationen und Sprachkenntnisse. Es ist schwer zu erkennen, wie das Reinigen öffentlicher Toiletten oder das Aufsammeln von Müll am Strand diese Qualifikationen beisteuern soll.

Sechster Grund: Auch wenn die Kommunen gehalten sind, neue Jobs zu erfinden, an die bisher noch niemand gedacht hat, befürchten die Gewerkschaften, dass die Nützjobberinnen und Nützjobber Aufgaben erledigen, die sonst von Menschen in ordentlicher Tarif-Anstellung gemacht werden würden. Öffentliches Lohndumping also. Die Gewerkschaft 3F legt einen solchen Effekt bereits bei der bestehenden Ordnung nahe.

Auf der Pro-Seite vermerkte der beschäftigungspolitische Sprecher der Dänischen Volkspartei (DF), Nick Zimmermann, als das Paket geschnürt wurde in „DR“ das Thema Gerechtigkeit für die dänischen Arbeitnehmenden. Es gehe weniger um die Kosteneffizienz des Vorhabens als vielmehr darum, „die Ungerechtigkeit“, die die dänischen Steuerzahlenden – seiner Meinung nach – schon viel zu lange miterlebt haben, zu beseitigen. „Dass wir jeden Morgen aufstehen, während viel zu viele Leute herumsitzen und absolut nichts tun“, so der Vertreter jener Partei, die traditionell den höchsten Anteil Erwerbsloser in der Wählerschaft hat. Riecht es etwa nach Symbolpolitik? Ja, und da macht er auch gar keinen Hehl draus. „Es geht um den Signalwert“, sagt er.

Fazit: Die Politik verpasst hier eine große Chance, auch abseits von Fruchtbarkeitsbehandlungen neue und engagierte Kräfte zu mobilisieren – die noch dazu bereits im ausbildungsfähigen Alter sind.

Anstatt ihr Potenzial für die Gesellschaft freizuschalten, werden sie mit nutzlosen „Nützjobs“ ins Abseits gestellt.

Dabei könnten sie eines Tages zu normalen Bedingungen Teil des Arbeitsmarktes und der Gemeinschaft werden. Und diese normalen Bedingungen, die sind in Dänemark auch und gerade für eingewanderte Frauen vielversprechend, wie die Berichte der Behörde für Arbeitsmarkt und Rekrutierung ja glasklar zeigen.

Einigen im Folketing sind sie aber leider ganz offenbar zu vielversprechend.

 

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