Leitartikel

„Venstre hat sich selbst zur kleinen Schwester der Konservativen degradiert“

Venstre hat sich selbst zur kleinen Schwester der Konservativen degradiert

Venstre zur kleinen Schwester der Konservativen degradiert

Apenrade/Aabenraa
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Wie konnte es passieren, dass die Partei nach Fogh und Løkke am Boden liegt? Cornelius von Tiedemann blickt zurück und nach vorne und sieht die Rechtsliberalen unter dem derzeitigen Kurs vorerst nicht mehr an der bürgerlichen Spitze.

Dass auf Venstre nach der nicht schlechten, aber verlorenen Wahl 2019 nicht nur rosige Zeiten zukommen würden, war vielen klar.
Doch dass alles so schieflaufen würde?

Die Krise zeigt: Der rechtsliberalen Partei fehlt es derzeit an Profil. Das hat historische Gründe, die nun, da der Zauber der Jahre im Paarlauf mit DF verflogen ist, zutage treten.

Das liegt nicht daran, dass es keine Wähler mehr für eine gemäßigt-rechte Partei mit wirtschaftsliberalem Profil in Dänemark gibt. Klar liegt der rote Block derzeit in der Gunst vorne, doch das Wählerpendel schwingt weiterhin um die politische Mitte.

Vielmehr ist es so, dass der Partei selbst ein Bewusstsein dafür fehlt, wofür sie überhaupt steht und wer sie weshalb wählen sollte.

Auf die Idee, diese Frage schlüssig zu beantworten, hätte schon Løkke in seiner Zeit als Vorsitzender längst kommen sollen. Doch seine halbgaren Antworten kamen erst, als das Kind – und er selbst – bereits in den Brunnen gefallen waren.

Die Suche nach Vorbildern anderswo gestaltet sich derweil schwierig. Im europäischen Vergleich stellt Venstre einen Sonderfall dar. Im Agrarland Dänemark war sie stets die Partei der Bauern – und zugleich die liberale Partei.

Das ist kein Gegensatz, schließlich sind Landwirte nicht unbedingt als die größten Verfechter von Reglementierungen bekannt. Doch es war schon immer ein Spagat, der zwischen den Großstadtliberalen und der deutlich konservativeren Parteibasis auf dem Lande vollzogen wurde.

Die Gründe dafür, dass dieser Spagat nicht mehr funktioniert, sind zu einem beträchtlichen Teil in den Gründen für Venstres Wiederaufstieg vor etwa 20 Jahren zu suchen.

Den verdankte die Partei nämlich einerseits der nach angelsächsischem Vorbild orchestrierten Führung Anders Fogh Rasmussens – und andererseits ihrem Teufelspakt mit der Dänischen Volkspartei, die nun, wo der Zauber nicht mehr wirkt, gemeinsam mit Venstre am Boden liegt und sich verwundert die Schläfen reibt.

Die Parteirechte hatte zuletzt fatalerweise versucht, dem Pakt zu entkommen oder zumindest Oberwasser zu gewinnen und besonders im ländlichen Raum mit der Galionsfigur Inger Støjberg Wählerinnen und Wähler aus dem Lager der Dänischen Volkspartei zu gewinnen.

Das Fatale: Erstens haben die, die zugleich neoliberal und rechtsaußen denken, in der AfD-Kopie Neue Bürgerliche eine neue Heimat gefunden, zweitens sind die Dänische Volkspartei und ihre Kern-Wählerinnen und -Wähler alles, nur nicht liberal, und drittens sind bei dem gescheiterten Versuch des Venstre-Rechtsrucks und der Gegenbewegung viele parteiinterne Bänder, die den Venstre-Spagat so lange ermöglicht haben, endgültig gerissen. 

Dass die Sozialdemokratie das nicht nur gemerkt, sondern mit ihrem eigenen massiven Rechtsruck unter Mette Frederiksen systematisch für sich genutzt hat, war der K.-o.-Schlag für das lange bei den Wahlen so erfolgreiche Bündnis von Venstre und DF.

Parteichef Jakob Ellemann, unter dessen Vater die Partei einst aus der Krise der 1980er-Jahre kam, hat es nicht vermocht, die Wogen zu glätten – im Gegenteil. Liberale Geister mögen ihm das danken – doch die Partei Venstre als bürgerliches Sammelbecken von der Mitte bis ganz zum Rand gibt es unter ihm so nun nicht mehr.  

Die lange so kleinen Freunde von der Konservativen Volkspartei freuen sich darüber und ziehen in der Wählergunst inzwischen wieder locker an Venstre vorbei. Ein Grund: Bei den Konservativen ist immerhin der Name Programm. Und im europäischen Vergleich ist diese Entwicklung übrigens ganz natürlich. Rechtsliberale Parteien spielen fast überall eine den Konservativen nur beigeordnete Rolle.

Doch in Dänemark tickten die politischen Uhren schon immer anders als in den Nachbarländern. Deshalb ist das alles noch nur eine Momentaufnahme. Das Wählerpendel schwingt weiter – und wenn die Partei zur Besinnung kommt und die Umstände sich fügen, kann es durchaus auch wieder auf Venstre zeigen. Eine Basis ist noch da – schließlich ist die Partei nicht zuletzt in den Rathäusern des Landes – noch – stark vertreten. 

Wenn Ellemann aber nicht bald ein politisches, vor allem parteiinternes Wunder wirkt, wird für Venstre dabei auf Sicht allerdings höchstens die Rolle als Juniorpartner in einer konservativ geführten Regierung herausspringen. 

 

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