Arbeit und Soziales
Deshalb will Dänemark den EU-Mindestlohn nicht
Deshalb will Dänemark den EU-Mindestlohn nicht
Deshalb will Dänemark den EU-Mindestlohn nicht
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Er soll mehr Gerechtigkeit bringen. Doch für den solidarischen Arbeitsmarkt im Lande könnte der Mindestlohn der Todesstoß sein, fürchtet nicht nur die Regierung. Wir erklären, weshalb.
Nicht nur die kommende Bundesregierung will sich für die Geringverdienenden starkmachen. Auch die Europäische Union insgesamt nimmt das Problem ernst. Die EU-Staaten haben deshalb am Montag mehrheitlich einem Gesetzgebungsvorhaben über verbindliche Mindestlöhne zugestimmt.
Dänemark hat allerdings dagegen gestimmt. Dabei gilt das Land weltweit als Vorbild in Sachen Arbeitsmarkt und Sozialpolitik. Weshalb wollen die Parteien von links bis rechts den Mindestlohn in Dänemark nicht?
Wir haben ein sehr gut funktionierendes dänisches Modell, bei dem sich die Sozialpartner mit Lohnfragen befassen. Wir wollen nicht, dass dies zerstört wird.
Astrid Krag, Sozialministerin
Was die meisten EU-Länder wollen
• Innerhalb der EU sollen gesetzliche Mindestlöhne anhand „stabiler und klarer“ Kriterien festgelegt werden.
• Dazu zählen die Kaufkraft der gesetzlichen Mindestlöhne, das allgemeine Lohnniveau und das Lohnwachstum.
• Jetzt soll mit dem Europaparlament eine endgültige Lösung ausgearbeitet werden. Das Parlament will, dass Geringverdienende mindestens 50 Prozent des Durchschnittslohns oder 60 Prozent des sogenannten Medianlohns in dem jeweiligen Land bekommen.
• Die EU-Länder wollen sich darüber hinaus dafür einsetzen, dass nationale Aktionspläne entwickelt werden sollen, wenn weniger als 70 Prozent der Löhne in einem Land durch Tarifverhandlungen zustande kommen. Das Parlament setzt sich in seiner Position für eine Tarifbindung von sogar 80 Prozent ein.
Dänemarks Regierung bangt ums „dänische Modell“
Die dänische Regierung fürchtet ein Aushebeln des „dänischen Modells“. Dieses besteht unter anderem aus folgenden Kernpunkten:
• In Dänemark gibt es keinen Mindestlohn. Stattdessen handeln die Sozialpartner (Arbeitgeberverbände und Arbeitnehmerverbände) Löhne und Arbeitsbedingungen für ganze Branchen untereinander aus. Hierzu gibt es eine Reihe festgelegter „Spielregeln“ (z. B. Streikrecht, Lockout usw.), an die sich beide Seiten in der Regel halten.
• In Dänemark arbeitet die Regierung eng mit Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden zusammen und verhandelt laufend bei den sogenannten Dreiparteien-Verhandlungen übergeordnete soziale und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, etwa in der Altersvorsorge. Neue Gesetze auf diesen Gebieten werden traditionell zunächst von den drei Parteien erörtert, bevor sie im Parlament verabschiedet werden.
• Die Regierung und viele andere befürchten, dass die „Flexicurity“ in Dänemark verloren gehen könnte. Es gibt sehr geringen Kündigungsschutz in Dänemark. Dafür werden Arbeitslose gut aufgefangen und kommen, auch durch Fortbildungsangebote, schnell wieder in Arbeit.
Wie der Mindestlohn nach Dänemark kommen könnte
In Dänemark sind etwas mehr als 80 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch einen Tarifabschluss abgesichert (in Deutschland zum Beispiel nur 43 Prozent). Deshalb würde die Regelung für Dänemark zunächst nicht in Kraft treten – selbst wenn die hohe Hürde von 80 Prozent, die das EU-Parlament will, kommt.
• Die Regierung befürchtet aber, dass das Land bei einem Absinken der Tarif-Quote unter die Mindestlohnregelung fallen könnte und einen Mindestlohn einführen müsste.
• Außerdem könnte die Arbeitnehmerseite vor dem Europäischen Gerichtshof für einen Mindestlohn klagen. Dänemark hat zwar die Zusicherung erhalten, dass dies nicht geschehen wird. Doch diese Zusicherungen reichen den Politikerinnen und Politikern und den Sozialpartnern nicht aus.
Lohndumping durch den Mindestlohn?
Manche Gewerkschaften befürchten durch den Mindestlohn ein Lohndumping in Dänemark durch die Hintertür. Soll heißen: Arbeitgeber könnten sich flächendeckend an die neuen Mindestlohn-Gesetze halten und dadurch weniger Lohn zahlen, als wenn sie sich an den traditionellen Tarifverhandlungen beteiligen würden.
In der Bevölkerung gibt es, anders als im Folketing, wo sämtliche Parteien gegen den Mindestlohn sind, ein geteiltes Bild. Einer aktuellen Umfrage im Auftrag der Arbeitslosenversicherung Ase zufolge trauen es zum Beispiel mehr Frauen dem Mindestlohn zu, für Lohngerechtigkeit zu sorgen, als dem traditionellen Modell.
Schweden geht anderen Weg als Dänemark
Die Ministerin für Soziales und Senioren, Astrid Krag (Soz.) sagte nach dem Ministertreffen in Brüssel, bei dem der Mindestlohn auf der Tagesordnung stand: „Für uns ist es eine Frage des Prinzips. Wir haben ein sehr gut funktionierendes dänisches Modell, bei dem sich die Sozialpartner mit Lohnfragen befassen. Wir wollen nicht, dass dies zerstört wird.“
Seit die EU-Kommission im Oktober 2020 einen EU-Mindestlohn vorgeschlagen hat, haben sich Dänemark und Schweden gemeinsam dagegen ausgesprochen.
Anders als Dänemark hat Schweden jedoch am Montag dem Verhandlungsmandat zugestimmt.
Schwedens Regierung argumentiert, dass sie mit einem Ja bessere Chancen hat, die weiteren Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament über die endgültigen Rechtsvorschriften zu beeinflussen.
„Von dänischer Seite haben wir das getan, was unserer Meinung nach die klarste Position für die weiteren Verhandlungen darstellt. Das sind zwei unterschiedliche Ansätze“, sagt Astrid Krag.
Es wird erwartet, dass die EU-Gesetzgebung über Mindestlöhne nach Ende des Jahres ausgehandelt wird.
Mit dpa und Ritzau