Geschichte

Licht im königlichen Tunnel unter Amalienborg

Licht im königlichen Tunnel unter Amalienborg

Licht im königlichen Tunnel unter Amalienborg

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Kopenhagen
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König Christian X. bei seinem täglichen Ausritt während der Besatzungszeit in Kopenhagen. Foto: DN-Archiv

Siegfried Matlok über einen kürzlich entdeckten Tunnel in Kopenhagen: Christian X. sollte als Herr „Bodenhoff“ vor Entführung geschützt werden – Berlin erwog nach Reiterunfall im Oktober 1942 die Abschaffung des dänischen Königshauses.

Bei Ausgrabungen für Schutzmaßnahmen gegen Überflutungen in der Nähe von Schloss Amalienborg hat die damit beauftragte Firma Sweco einen interessanten Fund gemacht: Bei den Vorarbeiten zum Projekt „Water East“ entdeckte sie einen Fluchttunnel unter Schloss Amalienborg anhand von Zeichnungen aus dem Fachblatt „Ingeniøren“ vom 16. Juni 1945.

So sensationell, wie die Meldungen liefen, war die Nachricht allerdings nicht. Dennoch Anlass genug, einmal historisch etwas tiefer zu graben.

Nach dem Brand von Schloss Christiansborg am 26. Februar 1794, als der königliche Sitz – damals das größte und teuerste Schloss in Nordeuropa – bis auf die Grundmauern niederbrannte, wurde nach einer Unterkunft für die gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebrachte königliche Familie gesucht. Sowohl König Christian VII. als auch Kronprinz Frederik standen sozusagen auf der Straße, doch dem Kronprinzen gelang es innerhalb kürzester Zeit, drei Palais von Amalienborg zu erwerben.

Moltkes Palais zwischen Amaliegade und Frederiksgade wurde dem König zur Verfügung gestellt, der Kronprinz übernahm das Schack-Palais auf der gegenüberliegenden Seite. Da Christian VII. nicht imstande war, seine königlichen Pflichten wahrzunehmen, regierte praktisch der Kronprinz.

Um die für die Regierungsgeschäfte notwendigen Treffen zwischen König und Kronprinz durchführen zu können, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder man benutzte eine königliche Kutsche oder man musste einfach über die Straße gehen. Der königliche Baumeister C. F. Harsdorff fand jedoch eine dritte Lösung: Er baute eine Kolonnade als überdachte Verbindung. Dieser lang gestreckte Säulengang verbindet noch heute die Palais von Amalienborg.

Die Frage eines Geheimgangs, eines Tunnels unter Amalienborg, ist jedoch viel neueren Datums und hat leider einen düsteren Hintergrund. Als die Deutsche Wehrmacht am 9. April 1940 Dänemark besetzte, war gemäß Befehl O.K.W.- WFA/Abt. L. Nr. 22 127/40 g. Kdos. vom 2. 4. der Chef des Generalstabes Höheres Kommando XXXI, Generalmajor Kurt Himer, bereits in Kopenhagen: zwei Tage vorher zur Tarnung eingereist mit dem Dienstpass „Oberregierungsrat“.

Der Offizier sollte dem deutschen Gesandten in Kopenhagen, Cecil von Renthe-Fink,  bei den Verhandlungen mit der dänischen Seite „politisch-psychologisch“ zur Seite stehen. Er  informierte den Gesandten am 8. April kurz vor Mitternacht über die Operation „Weserübung Süd“, die um 04.00 Uhr an der deutsch-dänischen Grenze anlaufen sollte. Kurz darauf überreichte der Gesandte dem dänischen Außenminister Peter Munch an dessen Privatadresse das deutsche Ultimatum.

Himer befürchtet Flucht des Königs

Unter dem enormen Druck der militärischen Überlegenheit und mit der deutschen Luftwaffe drohend, kreisend über Kopenhagen nahm die dänische Regierung auf Amalienborg nach Krisenberatungen mit König Christian X. um etwa 06.00 Uhr die Besetzung des Landes „unter Protest“ zur Kenntnis. Der deutsche Generalmajor war jedoch  skeptisch und hegte den Verdacht, Christian X. könnte eventuell fliehen.

Zum Beispiel durch einen Geheimtunnel unter Amalienborg, den die Deutschen dort vermuteten. Dass es einen solchen Tunnel schon 1940 gegeben hat, ist nach vorliegender Faktenlage zwar unwahrscheinlich, aber Pläne für eine Flucht des Monarchen gab es schon: Als Ziel war die Kaserne Høvelte in Nordseeland vorgesehen. Um sicherzustellen, dass der König nicht schon geflüchtet war, bat Generalmajor Himer den deutschen Gesandten um eine dringende Audienz beim König auf Amalienborg am Nachmittag des 9. April, wobei Renthe-Fink dem König gleichzeitig Generalmajor Himer vorstellen sollte. Der König war tatsächlich da: Er empfing die beiden ungebetenen Gäste, „innerlich sehr erregt und am ganzen Körper zitternd“, wie aus einer deutschen Gesprächsnotiz hervorging. Als  ihm jedoch zugesichert wurde, dass er sich nicht um den „ehrenhaften“ Erhalt seiner Leibgarde auf Amalienborg sorgen müsse, beruhigte sich der König „sichtlich“.

Nach einer kurzen Pause wandte er sich an Himer mit den Worten: „Und nun Herr General, darf ich Ihnen als alter Soldat folgendes sagen: Das habt ihr fabelhaft gemacht, das war großartig, das muss man als Soldat schon sagen.“

Im späteren parlamentarischen Untersuchungsbericht über den völkerrechtswidrigen Überfall auf Dänemark wurden diese Sätze – ganz bewusst, wie der damalige Vorsitzende, der sozialdemokratische Abgeordnete Holger Eriksen, Aarhus, nachträglich einräumte – nicht veröffentlicht! 

Während der fünf dunklen Jahre, wie die Dänen die Besatzungszeit vom 9. April 1940 bis 5. Mai 1945 nennen, wurde König Christian X. vor allem durch seine täglichen Ritte durch die Stadt Kopenhagen zum Symbol eines zunächst stillen Widerstandes. In der Schlussphase der Besatzungszeit, nachdem die dänische Regierung am 29. August 1943 die offiziellen Zusammenarbeits-Politik für beendet erklärt hatte und u. a. aus Protest gegen die deutsche Forderung zur Einführung der Todesstrafe zurückgetreten war, spitzte sich auch in Dänemark mit einem Generalstreik die Lage bedrohlich zu. Als Folge dessen mit vielen Toten.

Der deutsche Gesandte, Cecil von Renthe-Fink, im Gespräch mit Generalleutnant Kurt Himer, der bis Ende Mai 1940 in Dänemark blieb. Im April 1942 starb er im Hospital Simferopol nach Verwundung bei Kämpfen in Russland. Renthe-Fink wurde im Oktober 1942 aus Dänemark abberufen und war später Sonderbeauftragter bei der Vichy-Regierung in Frankreich. Foto: DN-Archiv

„Seltsame Geräusche“ beim Tunnelbau

Am 19. 12. 1942 – zuvor hatte es die berühmte Telegrammkrise gegeben, als Adolf Hitler mit Empörung auf einen nach seiner Ansicht zu kurz geratenen Geburtstags-Glückwunsch von König Christian X. reagiert und mit drastischen Konsequenzen gedroht hatte – erlitt der König einen Reitunfall. Er trug schwere Verletzungen davon, von denen er sich bis zu seinem Tode 1947 nicht mehr erholte.

König Christian X. schwebte vorübergehend sogar in Lebensgefahr. Auch die Abschaffung des Königshauses stand – wie aus deutschen Dokumenten im  Buch „Dänemark in Hitlers Hand“ hervorgeht – nun auf der Tagesordnung. In Berlin gab es solche Pläne – wie der nach Kopenhagen neu entsandte Reichsbevollmächtige Dr. Werner Best mir in einem Gespräch selbst bestätigt hat.

Eine Notiz an den Reichsaußenminister vom 25. Oktober 1942 beginnt  mit den Worten: „Wenn beabsichtigt wird, das Regime in Dänemark formell und nach außen sichtbar zu ändern.“ Dabei ging es um den Thronwechsel im Falle des Ablebens von König Christian X. bzw. um eine Suspendierung des dann fälligen Thronwechsels durch Kronprinz Frederik.   
Diese Berliner Pläne wurden nach der Ankunft von Werner Best am 3. 11. 1942 aufgegeben, für eine gewaltsame Entührung des Königs gab es auch später nie einen Beweis!

In Kopenhagen machten jedoch Gerüchte die Runde, wonach die deutsche Besatzungsmacht den König entmachten würde, ihn gefangen nehmen und an einen unbekannten Ort entführen könnte. Der Sicherheitsdienst des Königshauses konnte solchen Gerüchten natürlich nicht tatenlos zusehen und musste vor allem in den Schlusstagen alle Eventualitäten ausschließen. Im Januar 1945 wurde mit der Bohrung eines unterirdischen Tunnels begonnen – zwischen der Garage in der Residenz von König Christian X. und einem Reithaus hinter dem Christian VII.-Palais auf der gegenüberliegenden Seite auf der Frederiksgade. 35 Meter lang, in rund fünf Metern Tiefe und mit einem Durchmesser von 1,4 Metern.  

Das größte Risiko bestand darin, dass die deutsche Besatzungsmacht  ein Nachbargebäude zur königlichen Residenz – das damalige Damehotel – in ihren Besitz genommen hatte. Mitglieder der dänischen Widerstandsbewegung gruben nachts den Tunnel, bis ein deutscher Wachposten sich über „seltsame Geräusche” aus dem Reithaus wunderte, doch ein dänischer Polizist konnte die Deutschen beruhigen. Danach wurden die Ausgrabungen nachts jeweils um mehrere Stunden unterbrochen. Sogar moderne Hydraulik-Technik war angewandt worden, und die frei werdende Erde wurde auf das gesamte Reithaus verteilt, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen.

Nach einem Monat gelang der Durchbruch: Kronprinz Frederik, der spätere König Frederik IX., kroch selbst in den Tunnel, um den Fluchtweg zu überprüfen. Der Geheimtunnel, der damals pro Meter rund 600 Kronen kostete, sollte dazu dienen, den König auf einer Trage durch den Tunnel zum Reithaus zu bringen, wo ein Krankenwagen bereitgestanden hätte, um ihn ins Hospital Gentofte zu transportieren. Dort war eine Ärzte-Wohnung für König Christian und Königin Alexandrine bereitgestellt – sie sollten unter dem Decknamen „grosserer Bodenhoff og frue“ eingetragen werden.

Um den Notplan realisieren zu können, standen für den inzwischen invalidierten König auf der Fluchtroute sogar Rollstühle bereit. Auch andere Sicherheitsmaßnahmen wurden durchgeführt, um u. a. Hecken passieren zu können. Ein Chefarzt hatte auf dem Gelände des Hospitals ein großes Braunkohle-Lager angelegt, damit niemand  die Aktion  beobachten und eventuell verraten konnte.  Als Alternative stand auch noch eine unbewohnte, aber möblierte Wohnung auf Østerbro für den Notfall zur Verfügung.

Am 5. Mai 1945 wurde Dänemark befreit – und König Christian X. als nationaler Held gefeiert.
Reste des Tunnels gibt es  noch heute, und  Swecos Projektdirektor Tommy Sander-Storm geht davon aus, dass die Schutzmaßnahmen, die vor allem das hohe Grundwasser unter Amalienborg berücksichtigen müssen, im nächsten Jahr durchgeführt werden können. Dabei geht es darum, zu starke Regenmassen von der Marmorkirche in der Bredgade zum Schlossplatz und dann via Amaliehaven ins Kopenhagener Hafenbecken zu leiten.

Unterirdisch mit Ausgrabungen, Absicherungen und einer neuen umweltschützenden Technik, sodass weder der royale Betrieb auf Amalienborg noch die Touristen aus aller Welt im nächsten Jahr etwas davon zu spüren bekommen, garantiert Sweco.

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