Krieg in Nahost

Israel: Hamas-Struktur im Norden demontiert

Israel: Hamas-Struktur im Norden demontiert

Israel: Hamas-Struktur im Norden demontiert

dpa
Tel Aviv
Zuletzt aktualisiert um:
US-Außenminister Antony Blinken kommt während seiner Nahost-Reise zur Beruhigung des Konflikts in Jordanien an. Foto: Evelyn Hockstein/POOL Reuters/AP/dpa

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Die Hamas-Strukturen im Gazastreifen bröckeln weiter. Außerdem will Israel neue Informationen über einen lange untergetauchten Drahtzieher der Attacke vom 7. Oktober erlangt haben. Der Überblick.

Israel hat mit seiner Offensive im Gazastreifen nach eigenen Angaben die militärische Struktur der islamistischen Terrororganisation Hamas im Norden des Küstengebiets demontiert. Bei den Einsätzen gelangte das Militär außerdem in den Besitz wichtiger geheimdienstrelevanter Informationen.

Unterdessen arbeiten westliche Chefdiplomaten mit Ländern in der Region weiter an einer Deeskalation des Konflikts. Ein Deal über die noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln könnte aus Sicht des vermittelnden Golfemirats Katar nach der Tötung eines wichtigen Hamas-Anführer im Libanon schwieriger werden, wie es in einem Bericht heißt.

In der Nacht griff die israelische Luftwaffe unterdessen die Stadt Dschenin im Westjordanland an. Ersten Berichten vom Morgen zufolge gab es dabei mehrere Todesopfer.

Sechs Tote bei israelischem Luftangriff im Westjordanland

Sechs Menschen sind palästinensischen Angaben zufolge bei einem israelischen Luftangriff im Westjordanland ums Leben gekommen. Die getöteten Palästinenser seien zwischen 18 und 29 Jahre alt, teilte die palästinensische Gesundheitsbehörde in Ramallah mit. Eine weitere Person sei schwer verletzt worden.

Israelischen Medienberichten zufolge wurde auch eine 19 Jahre alte Grenzpolizistin bei dem Anti-Terror-Einsatz in Dschenin in der Nacht getötet. Auch drei weitere Sicherheitskräfte seien verletzt worden. Ihr Wagen wurde den Angaben nach von einem Sprengsatz getroffen. Die Armee teilte auf Anfrage mit, sie werde sich zu einem späteren Zeitpunkt zu dem Vorfall äußern.

Der Luftangriff in der Stadt Dschenin traf Berichten zufolge eine Zusammenkunft mehrerer Anwohner. Demnach kam es dort zuvor zu Zusammenstößen zwischen Palästinensern und der israelischen Armee. Die genauen Umstände des Vorfalls waren zunächst unklar.

Hamas-Struktur im Norden Gazas demontiert

In der Nacht zum Sonntag veröffentlichte Israels Armee auf X (vormals Twitter) Videos zu dem Einsatz im Norden des Gazastreifens. Sprecher Daniel Hagari sagte, die Hamas habe vor Kriegsbeginn im Norden über zwei Brigaden mit zwölf Regimentern verfügt. «Insgesamt waren es etwa 14.000 Terroristen», sagte er. Seitdem seien zahlreiche Kommandeure getötet sowie Waffen und Munition zerstört worden. Die Soldaten hätten unterirdische Tunnel gefunden und demoliert.

Allein im Flüchtlingsviertel Dschabalia wurden laut Hagari acht Kilometer unterirdischer Tunnel sowie 40 Eingänge gefunden. In dem Bereich funktioniere die Hamas nicht mehr auf organisierte Weise. «Es gibt in Dschabalia immer noch Terroristen, aber jetzt agieren sie ohne Rahmen und ohne Kommandeure.» Er erwarte aber weiter sporadische Raketenangriffe auf Israel aus diesem Bereich. Die Armee will sich nach eigenen Angaben nun darauf konzentrieren, die Hamas-Strukturen im Zentrum und Süden des Gazastreifens zu zerstören. Nach Israels Darstellung sind bisher rund 8000 Terroristen getötet worden.

Auslöser des Gaza-Kriegs war die verheerende Terrorattacke der Hamas und anderer extremistischer Palästinensergruppen am 7. Oktober. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden im Gazastreifen seither 22.600 Menschen getötet. Angesichts der katastrophalen humanitären Lage in dem abgeriegelten Küstengebiet und der hohen Zahl ziviler Opfer geriet Israel zuletzt international immer mehr in die Kritik.

Mögliches Foto von Hamas-Phantom

Im Zuge der Offensive scheint Israel auch neue Erkenntnisse zu einem untergetauchten Hamas-Führungsmitglied erlangt zu haben. Die Armee veröffentlichte ein Foto, das den Chef des bewaffneten Arms der Hamas, Mohammed Deif, zeigen soll. Darauf ist ein grauhaariger, bärtiger Mann zu sehen, der in der linken Hand mehrere Geldscheine und in der rechten Hand einen Plastikbecher mit einer Flüssigkeit hält. Bis Kriegsbeginn hatte Israel nur sehr alte Fotos von dem Mann, der als einer der zentralen Drahtzieher des Terrorangriffs gilt. Im Dezember tauchte ein neueres Bild von Deif auf. Jahrelang galt er als Phantom und überlebte bereits zahlreiche Tötungsversuche Israels.

Israel war lange davon ausgegangen, dass Deif mehrere Gliedmaßen verloren hatte. Im Dezember berichteten israelische Medien aber, die Armee habe ein Video gefunden, das Deif mit beiden Armen und beiden Beinen zeige. «Gemeinsam mit (dem Inlandsgeheimdienst) Schin Bet haben wir Terroraktivisten verhört», sagte Hagari. «Das Ergebnis war, dass wir Informationen über ranghohe Hamas-Anführer erlangt haben, darunter auch Dokumentation von Mohammed Deif und auch Informationen über Hamas-Anführer, die sich außerhalb des Gazastreifens aufhalten.»

Beschuss im Norden Israels

Neben den Gefechten in Gaza wurde auch an Israels Nordgrenze zum Libanon wieder geschossen. Die Schiitenmiliz Hisbollah feuerte am Samstag nach eigenen Angaben insgesamt 62 Raketen auf Israel und damit mehr als sonst. Die mit dem Iran und der Hamas verbündete Miliz visierte demnach eine Militärbasis nahe Meron in Nordisrael an. Der Angriff sei eine «erste Reaktion» auf die Tötung des zweithöchsten Anführers der islamistischen Hamas im Ausland, Saleh al-Aruri, am Dienstag in Beirut gewesen, erklärte die Hisbollah. Sie vermutet Israel hinter der Tat.

Wegen der Tötung Al-Aruris geht das Golfemirat Katar davon aus, dass ein weiterer Deal zur Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas schwierig werden könnte. Das berichtete das Nachrichtenportal «Axios» in der Nacht zum Sonntag unter Berufung auf eine israelische Quelle und einen katarischen Beamten. Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani habe dies mehreren Familien israelischer Geiseln, die ihn in der Hauptstadt Doha trafen, gesagt.

Weitere Tote laut Hamas-Behörde

Im Gazastreifen sterben bei israelischen Angriffen unterdessen weiter Menschen: Die Zahl getöteter Bewohner stieg auf 22.722, wie die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde am Samstag mitteilte. Das waren 122 mehr als am Vortag. Zudem seien insgesamt 58.166 Verletzte registriert worden, 256 binnen 24 Stunden. Die israelische Armee setzte ihren Kampf gegen die Hamas in verschiedenen Teilen des nur etwa 40 Kilometer langen und zwischen 6 und 12 Kilometer breiten Küstenstreifens fort. In der schwer umkämpften Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens sei eine ungenannte Zahl von Gegnern getötet sowie Eingänge zu Hamas-Tunneln und Waffenlager zerstört worden.

Chefdiplomaten auf Nahost-Reise

In der Hoffnung, eine Deeskalation des Konflikts voranzutreiben besuchte US-Außenminister Antony Blinken Jordaniens Hauptstadt Amman. «Jordanien ist ein entscheidender Partner, um dabei zu helfen, eine Ausweitung des Konflikts in der Region zu verhindern», schrieb Blinkens Sprecher Matthew Miller in der Nacht auf X. Blinken will noch Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien sowie Israel, das Westjordanland und Ägypten besuchen. Parallel setzte sich EU-Chefdiplomat Josep Borrell im Libanon für eine Deeskalation ein.

Baerbock vor Nahostreise: Terror und humanitäre Not müssen enden

Außenministerin Annalena Baerbock ruft drei Monate nach Beginn des Gaza-Kriegs eindringlich zum Ende der Gewalt auf. «Der Terror muss ein Ende haben. Die humanitäre Not der Menschen muss ein Ende haben. Die Region muss aus dem ewigen Zyklus der Gewalt herauskommen», forderte die Grünen-Politikerin zu Beginn einer knapp einwöchigen Reise in den Nahen Osten und nach Südostasien. Israel habe das Recht und die Pflicht, sich gegen den Terror zu verteidigen, müsse aber Zivilisten bei seinem militärischen Vorgehen viel besser schützen, verlangte sie. Im Gazastreifen sei viel mehr humanitäre Hilfe gegen Hunger, Seuchen und Kälte nötig.

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Gerrit Hencke
Gerrit Hencke Journalist
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