KIELER LANDTAG

Serpil Midyatli: Empfindsam, aber nicht empfindlich

Serpil Midyatli: Empfindsam, aber nicht empfindlich

Serpil Midyatli: Empfindsam, aber nicht empfindlich

Kay Müller/shz.de
Kiel
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Will künftig sowohl Partei als auch Fraktion führen: Serpil Midyatli. Foto: Marcus Dewanger

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Am Dienstag will Serpil Midyatli an die Spitze der SPD-Landtagsfraktion gewählt werden – ein Porträt.

Es ist die Geschichte mit den Leibwächtern von Ministerpräsidentin Heide Simonis, die Sonja Plambeck noch heute lachen lässt, wenn sie sie erzählt. „Die sind so betont männlich aufgetreten und komisch gegangen“, sagt die 69-Jährige. „Serpil und ich haben das immer nachgemacht, wie Männer vor Kraft kaum laufen konnten – und uns dabei kringelig gelacht.“ 

Die Szene, die sich vor über 15 Jahren abgespielt hat, hat kein großes Gewicht in der politischen Karriere von Serpil Midyatli – aber sie zeigt eine Menge über die 45-Jährige, die heute als zweite Frau an die Spitze der SPD-Landtagsfraktion gewählt werden will. „Denn Serpil hat zwar die Politik immer sehr ernst genommen, aber nie zu ernst“, sagt Sonja Plambeck, die viele Jahre ihre engste Vertraute im Ortsverein Kiel-Gaarden war. 

 

Die junge Serpil Midyatli diskutiert viel 

Und die Szene zeigt, dass Serpil Midyatli nichts darauf gibt, wenn Männer in der Politik den starken Max markieren. „Sie hat sich noch nie damit abgefunden, dass Verhältnisse einfach so bleiben müssen wie sie sind“, sagt ihre Freundin Sonja Lentz-Marohn. Seit der sechsten Klasse ist sie mit der heutigen SPD-Chefin befreundet. Beide haben sie die Realschule in Kiel-Mettenhof besucht – einem Stadtteil, der nicht zu den besten Adressen in der Landeshauptstadt gehört. „Ich habe darüber nachgedacht“, sagt Sonja Lentz-Marohn: „So wie Serpil damals war, so ist sie bis heute geblieben.“ 

 

In der Schule habe die Tochter türkischer Einwanderer sich oft mit Lehrern angelegt. „Nicht weil sie frech oder aufmüpfig war, sondern weil sie immer viel diskutieren wollte.“ Eines habe Midyatli immer ausgezeichnet: ihr Gerechtigkeitssinn.

 

Kinder türkischer Einwanderer: Serpil Midyatli (rechts) und ihre große Schwester Sevda Tabasi im Jahr 1978. Foto: Privat

„Sie ist stark von ihrer Mutter geprägt worden“, sagen gleich beide Sonjas über ihre Freundin Serpil. Die Mutter habe ihr gezeigt, dass man sich in einer Männerwelt durchsetzen kann – und zwar nicht nur in der einer muslimischen Familie. „Das hat sie früh geprägt.“ 

Midyatlis Eltern gründen in Kiel-Gaarden das große Restaurant „Mega Saray“, das heute Midyatlis Brüder führen. Doch die Anfangszeit ist schwer, die Tochter muss mithelfen – und irgendwann die Verantwortung übernehmen. Das Wirtschaftsgymnasium kann sie nicht abschließen, auch nicht Jura studieren, weil sie als Geschäftsführerin gebraucht wird. Da ist sie 19. „Es war nicht so, dass ich eine Wahl gehabt habe“, sagt sie viele Jahre später.

Etablierte Geschäftsfrau: Serpil Midyatli in ihrem Lokal – vor fast zwanzig Jahren. Foto: Privat

Aber sie wird zu einer selbstbewussten Unternehmerin. Mit ihrem Mann übernimmt sie später ein anderes Lokal, baut einen Kultur- und Veranstaltungsservice auf. „Und Attila hat sie familiär voll unterstützt – auch als sie in den Landtag kam“, sagt Sonja Plambeck. „Er kümmert sich bis heute viel um die Kinder – das ist nicht selbstverständlich.“ Seine Frau versucht, alles unter einen Hut zu bringen. „Serpil war schon immer sehr gut organisiert“, sagt Sonja Lentz-Marohn. Midyatli lernt, mehrere Bälle in der Luft zu halten.

2000 nimmt sie als Unternehmerin an einer Podiumsrunde der SPD mit Heide Simonis teil. Midyatli echauffiert sich wegen der Kampagne des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) gegen die doppelte Staatsbürgerschaft – und tritt spontan in die SPD ein. „Ich bin wegen Heide Simonis eingetreten und wegen Sonja Plambeck geblieben“, sagt Midyatli heute. Ihre Freundin sagt, dass es nicht leicht gewesen sei für Frauen in der Partei, schon gar nicht für selbstbewusste wie Serpil. „Frauen durften wenn es hoch kam, mal das Protokoll führen.“ Im Ortsbeirat muss Midyatli auch Vorurteile bekämpfen. „Da war einer von der CDU, der war wirklich rassistisch. Serpil hat ihre Meinung gesagt – und ihm dann offen ins Gesicht gelacht“, erzählt Sonja Plambeck. So habe sie die Leute beeindruckt. 

Generationswechsel: Serpil Midyatli will Ralf Stegners Nachfolgerin werden. Foto: Carsten Rehder

„Vielleicht hat Serpil damals das erste Mal ein politisches Feld gefunden, in dem Veränderungen möglich waren“, sagt Rolf Fischer, der lange Kreisvorsitzender in Kiel war. Denn die „älteren Herren“, wie Sonja Plambeck die Nachkriegsgeneration nennt, die in dem alten Arbeiterstadtteil die SPD lange geprägt hat, treten langsam ab. Und Midyatli lernt, wie man politische Macht einsetzt. 

Allerdings klappt das nicht immer – etwa als sie 2009 erstmals für einen Wahlkreis für die Landtagswahl kandidiert. „Sie hat sich auf dem Ostufer in der SPD nicht gegen die anderen durchsetzen können“, sagt Ralf Stegner, der damals Landesvorsitzender war. „Ich habe sie dann auf der Landesliste nach oben gesetzt – das war nicht üblich, dass eine Frau ohne Wahlkreis so weit oben steht. Ich habe aber gesagt: ,Ihr könnt nicht nur Kerle aufstellen.‘ Das hat mir eine Menge Ärger eingebracht“, sagt Stegner. Aber eines sei ihm damals schon klar gewesen: „Die hat Talent, die können wir gebrauchen.“ Midyatli schafft es in den Landtag.

Nur einmal war bislang eine Frau SPD-Fraktionschefin. Foto: Yalim

Dort wehrt sie sich dagegen, nur auf Migrationspolitik reduziert zu werden – denn einige halten die junge, gut aussehende Frau mit Migrationshintergrund für ein Feigenblatt, damit die SPD aus Wählerschichten Stimmen bekommt, die so jemanden in der Politik sehen wollen. „Das war sie aber nie“, sagt Rolf Fischer. „Serpil ist einfach echt“, ergänzt Semra Basoglu, die seit 18 Jahren mit ihr befreundet ist. „Sie hat eine große Neugier auf Menschen“, sagt Sonja Lentz-Marohn. „Und sie war immer mutig“, sagt Sonja Plambeck. 

Auch wenn Serpil spontan ist, offen und empathisch – sie kann knallharte Entscheidungen treffen.

Semra Basoglu, langjährige Freundin

 

Aber Midyatli ist auch machtbewusst. Aus der Gastronomie weiß sie, dass man auch mit Leuten reden muss, die man nicht mag, weil man sie braucht. Und die Berufspolitikerin kann einstecken. „Sie ist empfindsam, aber nicht empfindlich“, sagt Stegner, den sie – man muss es so sagen – aus den Ämtern gedrängt hat. „Auch wenn Serpil spontan ist, offen und empathisch – sie kann knallharte Entscheidungen treffen“, sagt Semra Basoglu. „Sonst wäre sie nicht da, wo sie ist.“ 

Bei der Kandidatur für den Landesvorsitz 2019 zögert Midyatli lange. „Ich habe ihr nichts geraten, die Entscheidung musste sie am Ende selbst treffen“, sagt Sonja Lentz-Marohn. Midyatli kandidiert – und riskiert den Machtkampf mit Stegner. Doch die beiden machen einen Deal, über den keiner von ihnen öffentlich spricht. Jedenfalls ist er nun auf dem Weg in den Bundestag und sie Partei- und wohl ab heute auch Fraktionsvorsitzende – die erste, die beide Ämter vereinigt, was in der Nord-SPD ungewöhnlich ist. „Serpil hat ein Gespür für den Zeitgeist“, sagt Rolf Fischer dazu. „Sie kann Gelegenheiten erkennen und nutzen.“ Das ist auch so, als sie ein halbes Jahr später stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende wird. 

In Berlin wie in Kiel lernt sie weiter dazu – auch von Stegner. „Man muss gut vorbereitet sein in der Politik – und Ralf ist immer gut vorbereitet. Und man muss verlässlich sein – ein Wort muss zählen“, sagt Midyatli. Sie bezeichnet sich eher als Teamplayerin, die die Menschen mitnimmt. Stegner sagt, sie seien beide klar in der Sache und politisch einig – „und sonst komplett verschieden“. 

Serpil wird noch an Profil gewinnen müssen.

Rolf Fischer, Ex-SPD-Chef in Kiel

 

In der Fraktion wird Midyatli es nach 13 Jahren Stegner nicht leicht haben. In elf Monaten ist Landtagswahl, die SPD wird vermutlich viele Mandate verlieren. Jeder in der Fraktion ringt um Einfluss, um wiedergewählt zu werden. Da ist es nicht leicht, den Laden zusammenzuhalten. Midyatli wird als Spitzenkandidatin antreten müssen, wenn sie ihren Machtanspruch festigen will. „Sie darf auch verlieren – das wird ihre Karriere nicht zerstören“, sagt ein prominenter Genosse. So könne die Parteichefin zeigen, dass sie auch Niederlagen verkraftet und in unbequemen Lagen nicht davon läuft. 

„Serpil wird noch an Profil gewinnen müssen“, glaubt Rolf Fischer. Denn in der Tat kennen sie noch zu wenige. Und in der SPD? Sind Stegners Fußstapfen zu groß? Midyatli lacht – so wie sie es häufig macht, wenn sie einen Moment überlegt, um einen Konter zu setzen. Doch der kommt: „Ich weiß nicht, welche Schuhgröße Ralf hat, aber ich habe zumindest die höheren Absätze.“

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