Deutsch-Dänisch

Wilhelm Dreesen: Fotograf in Flensburg und Sandacker – ein Ausstellungsbesuch

Wilhelm Dreesen: Fotograf in Flensburg und Sandacker – ein Ausstellungsbesuch

Wilhelm Dreesen: Fotograf in Flensburg und Sandacker

Jürgen Ostwald
Jürgen Ostwald Freier Mitarbeiter
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Strand von Sandacker, Flensburger Förde um 1894 Foto: Museumsberg Flensburg

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Den Werdegang und das künstlerische Schaffen des Fotografen präsentiert der Museumsberg mit zahlreichen Werken Wilhelm Dreesens – darunter etwa 300 alte Glasnegative und deren heutige Abzüge. An der Konzeption der Ausstellung hat Jürgen Ostwald aber einiges zu kritisieren.

Der Flensburger Museumsberg zeigt noch bis zum 13. Februar die Ausstellung „Discovering Dreesen. Fotograf, Globetrotter, Influencer“. Im Mittelpunkt der Schau stehen 300 alte Glasnegative und deren heutige Abzüge des Flensburger Fotografen Wilhelm Dreesen, der von 1840 bis 1926 lebte. Sie bestehen in Teilen aus Aufnahmen, die auf verschiedenen Norwegen-Reisen des Fotografen entstanden sind und die damals auch zu selbstständigen Publikationen führten. Das ist der Grund der Übernahme der jetzigen Ausstellung durch das neue Norsk Reiselivsmuseum in Balestrand nördlich von Bergen im Anschluss an die jetzige Schau.

Erweitert wird die  Ausstellung durch beträchtliche fotografische Flensburger Museumsbestände: Flensburg und Ekensund, Hamburg und Altona, die Nordsee und die Ostsee, Nordeuropa und Südeuropa, Amerika. Dafür ist das gesamte Untergeschoss des Christiansenhauses für den Fotografen freigeräumt worden. Mehrere Säle, das alte Treppenhaus und der Korridor sind verschiedenen Themen seines Schaffens gewidmet. Sowohl die großen neuen Abzüge wie die kleinen alten Porträtfotos im handtellergroßen Visit-Format und die Landschaftsaufnahmen, etwa aus Ekensund, begeistern jeden Besucher.

Schön gehängt, aber falsch beschriftet

Die Arbeiten sind schön gehängt, gut ausgeleuchtet und in Vitrinen präsentiert, jedoch unzureichend und gelegentlich falsch beschriftet. Die Ausstellung wurde ohne viel Vorbereitung und offenbar überstürzt in Szene gesetzt. Einen Katalog gibt es nicht. Der Besucher wird alleine gelassen. Die spärlichen Texttafeln und Erläuterungen helfen kaum weiter. Wie verlautete, soll ein Katalog in diesem Jahr vorgelegt werden.

Das Museum wäre gut beraten, ihn nicht zu publizieren. Denn die Ausstellung ist, wie ein kritischer Gang durch die Schau offenbart, auf sehr dünner Grundlage geschaffen. Im Grunde verlässt sie sich auf den Wikipedia-Eintrag zu Dreesen und die dort angegebene Literatur. Keine weitere Archivarbeit wurde geleistet, keine weiteren Bestände anderer Museen gesichtet. Der erste Schritt wäre ein Gang ins Flensburger Stadtarchiv und in die dänische Centralbibliotek gewesen. Nicht nur deutsche, dänische, norwegische und österreichische Museen und Foto-Sammlungen haben (teils alte) Dreesen-Bestände. Wäre es etwa nicht lehrreich für die Flensburger Kulturgeschichte gewesen, man hätte sich um einen Abzug des Kinderfotos Dreesens von Emmy Ball-Hennings (1885-1948) bemüht (Schweizerisches Literaturarchiv, Bern)?

Porträt Wilhelm Dreesen, von Alex Eckener um 1880 Foto: Museumsberg Flensburg

Schleswig-Holstein hat in der Geschichte der Fotografie einen besonderen Platz. Schließlich ist die Kieler Firma Renard das älteste noch bestehende Fotofachgeschäft der Welt! Auch Wilhelm Dreesen gehört zu den wichtigen zahlreichen Fotografen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Lande.

Und so trifft auch die Einschätzung der Homepage des Flensburger Museums zur Ausstellung nicht zu, Dreesen sei ein vergessener Fotograf. Alle einschlägigen Arbeiten zur Fotografie nennen seinen Namen. Auch sind die Glasnegative, wie behauptet, keine Neuentdeckung, sondern in ihrem Wert und ihrer Bedeutung bereits vom Vorgänger des jetzigen Museumsdirektors erkannt. Wahrscheinlich sind dergleichen Behauptungen wie auch der sonderbare Titel der Ausstellung dem Marketing geschuldet.

Seit dem 1880er Jahren Hoffotograf

Des Weiteren wird auf der Homepage, in der Ausstellung selbst und in den Erläuterungen zum schön gedruckten großformatigen Dreesen-Kalender 2022 (an der Museums-Kasse erhältlich) behauptet, Dreesen sei offizieller Hoffotograf des Kaiserhauses gewesen. Das war er natürlich nicht. Wie sollte das auch geschehen sein? Vielmehr war Dreesen seit den 1880er Jahren Hoffotograf Ihrer Königlichen Majestät Wilhelmine von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Mit ihrem Tod erlosch der Titel. Wilhelmine (1808-1891) war eine Tochter des dänischen Königs Friedrich VI. Sie heiratete 1828 ihren Vetter, den späteren König Friedrich VII. Die Heirat wurde in Dänemark wie in den Herzogtümern im Überschwang gefeiert. Mehrere Dutzend Schriften erschienen, so viele wie selten. Doch die Ehe war unglücklich, er ging ihr zu viel fremd, Scheidung 1837. Im Jahr darauf heiratete sie den Glücksburger Herzog Karl (1813-1878).

Das Archiv auf Schloss Glückburg hätte zur Verfügung gestanden, hätte man nicht zu vorschnell auf Kaiser Wilhelm I., Friedrich III. oder Wilhelm II. gesetzt.

Im Waisenhaus aufgewachsen

Wer war Wilhelm Dreesen? Die Ausstellung geizt mit Nachrichten und gibt über sein Leben wenig preis. Nach dem frühen Tod der Eltern wuchs der am 18. Dezember 1826 in Flensburg geborene Wilhelm Dreesen im Waisenhaus für Kinder von Armeeangehörigen in Eckernförde auf. Dort besuchte er auch –  und das ist wichtig für seine späteres Leben – die Waisenhaus-Schule, die kurz vor seinem Eintritt einer gründliche Erneuerung unterzogen worden war und als Musterschule unter Einschluss naturwissenschaftlichen Unterrichts angesehen werden kann.

Zahlreiche Schriften der Zeit belehren uns. Dreesen war nach unsicherer Überlieferung dann (sehr kurze Zeit) Schwimmlehrer und später tatsächlich Regimentstrompeter in der dänischen Armee. Um das Salär aufzubessern war er als Militär-Hornist für eintausend Kronen bereit, als „Stellvertreter“ weiter Militärdienst zu leisten und nahm so am Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 und an den Kämpfen um die Düppeler Schanzen auf dänischer Seite teil. (Die Durchsicht der Regiments-Akten im Kopenhagener Reichsarchiv dürften Aufschluss bringen.) Es heißt, er habe auf Düppel den etwas älteren Fotografen Friedrich Brandt (1823-1891) getroffen, der das Schlachtfeld fotografierte und so die (neben den Fotos des Krimkrieges) ersten fotografischen Dokumente von Kriegsereignissen in Europa überhaupt lieferte.

Über Brandt sind wir durch eine Ausstellung und einen profunden Katalog des Flensburger Museums aus dem Jahr 1985, der noch heute immer wieder benutzt wird, gut unterrichtet und der als Muster für einen Dreesen-Katalog hätte dienen können. Wie weit Brandt Dreesen im Fotografen-Handwerk unterwiesen hat, liegt im Dunkeln. Jedenfalls eröffnete Dreesen in der Norderstraße in Flensburg eine „photographische Anstalt“ und verließ somit das dänische Heer. Das war übrigens zufällig in der Zeit, als Carl Nielsen geboren wurde (9. Juni 1865), der seinerseits wie Dreesen mit 14 Jahren zum Regimentstrompeter ernannt wurde und dieser Tätigkeit auf Fünen einige Zeit nachging.

Gestrandet bei List auf Sylt von 1894 Foto: Museumsberg Flensburg

Das Handwerk des Fotografen, das es ja erst wenige Jahre gab, erlernten meist Angehörige aus dem Mechaniker-, Optiker- oder Uhrmachergewerbe. Dass Dreesen nicht aus diesen Handwerken kam, war ein Vorteil. Er konnte völlig unabhängig und ohne Beschränkung hindernder Vorkenntnisse der anderen Handwerke neue Wege beschreiten, was er als ehrgeiziger und jede Innovation nutzender Selfmademan auch tat.

Sein Atelier lieferte üblicherweise immer mehr nachgefragte Porträtfotografien. Es sind dies jene kleinen handtellerbreiten Aufnahmen im sogenannten Visit-Format, die bis ins frühe 20. Jahrhundert in allen Familien beliebt waren und noch heute in vielen Familien vorhanden sind. Die hauchdünnen Abzüge wurden auf starken vorgefertigten Karton (mit der gedruckten Adresse des Fotografen auf der Vorder- oder Rückseite) aufgezogen.

In Flensburg ein größeres Atelier eröffnet

Zunehmend beschäftigte sich Dreesen auch mit der Landschaftsfotografie. Sein Flensburger Unternehmen war erfolgreich. Er zog ins Flensburger Zentrum und eröffnete ein größeres Atelier. In Kiel und Kappeln errichtete er Filialen. Später kam Apenrade hinzu. Ein großer heute noch bestehender Neubau Dreesens in Flensburg zeugt von dem Erfolg des Mannes. Mitte der 70er Jahre suchte er händeringend weitere Mitarbeiter, die er in Schleswig-Holstein trotz mittlerweile großer Fotografendichte nicht fand, in Berliner Zeitschriften: „Ein sehr tüchtiger und zuverlässiger Operateur und Negativ-Retoucheur wird gesucht. Antritt vor dem 15. September. Gage bis zu 180 Mark. Dauernde Stellung. Anmeldungen an Photograph Wilhelm Dreesen in Flensburg.“

In der Zwischenzeit hatte sich Dreesen im ganzen deutschen Sprachraum bekannt gemacht. Er beschickte die großen einschlägigen Ausstellungen. Auf der dritten deutschen fotografischen Ausstellung in Hamburg 1868 errang er seine erste Medaille. In der Jury der Ausstellung saß übrigens auch Julius Stinde, der aus der Nähe von Eutin stammende promovierte Chemiker und Autor der bald erscheinenden Romanreihe der „Familie Buchholz“, die damals jeder gelesen hatte. Stinde war begeisterter Amateur-Fotograf und kannte natürlich die Arbeiten Dreesens. Besonders intensiv entwickelte sich die Beziehung zur Photographischen Gesellschaft in Wien. Die Erste Ausstellung der Gesellschaft schloss übrigens ihre Pforten am Tag des „Übergangs nach  Alsen“, jenes damals berühmten militärischen Meisterstücks während des Deutsch-Dänischen Krieges von 1864.

Teilnahme an Ausstellung in Florenz

Hier und dort finden wir in den kommenden Jahren Dreesens Arbeiten. So kam es auch zur Teilnahme an der Internationalen Ausstellung in Florenz 1887 und zum Gewinn einer Medaille. Das war eine international beachtete Schau, die allerdings überstrahlt wurde von drei anderen  Ereignissen: 500 Jahre Donatello, dann Einweihung der Domfassade (sie war bis dato immer noch unvollendet), und schließlich Überführung des Leichnams von Gioachino Rossini, der noch mehr gefeiert wurde als Donatello. Könige, Königinnen und andere gekrönte Häupter und Potentaten und so fort besuchten die Veranstaltungen, europäische Großereignisse.

Dreesens Fürsprecher in Florenz war Giuseppe Pizzighelli (1849-1912), österreichischer Militärfotograf und Fototechniker, Mitglied der Photographischen Gesellschaft, Verfasser zahlreicher einführender Anleitungen in die Fotoarbeit und Mitglied der Jury in Florenz. Er kannte natürlich die schon damals berühmten Fotos Friedrich Brandts vom Schlachtplatz auf Düppel. Und auch die Arbeiten Dreesens wurden immer wieder seit Anfang der 70er Jahre auf den Sitzungen der Photographischen Gesellschaft in Wien besprochen (und ausgestellt), an denen Pizzighelli teilnahm.

Vorher schon in Nordschleswig bekannt

Lange vorher hatte sich Dreesen auch in Nordschleswig bekannt gemacht. Er nahm an der Haderslebener Industrie-Ausstellung von 1873 teil, die am 4. August zu Ende ging, und gewann eine Medaille. Diese wurde (in preußischer Zeit) von der bekannten Kopenhagener Gold- und Silberschmiede-Firma Vilhelm Christesens (1822-1899) geschlagen, und zwar nach einer Zeichnung des Haderslebener Malermeisters Chr. Matthiesen.

Die Ausstellung zeigt Dreesens Aufstieg. Neben Dreesen nahmen zwei weitere Nordschleswiger teil: August Gäbel, aus Wismar geboren, hatte sein Fotoatelier in Sonderburg. Carl Paulsen, 1827 in Flensburg geboren, hatte bis Anfang 1873 sein Fotoatelier in seiner Vaterstadt, musste aber wegen des zunehmenden Erfolgs Dreesens und mangelnder Kundschaft die Stadt verlassen und praktizierte bis 1904 in Hadersleben. Beide gewannen keine Medaillen. Friedrich Brandt, dessen Flensburger Atelier immer weniger abwarf, nahm gar nicht erst teil.

Romsdalfjord, Norwegen von 1895 Foto: Museumsberg Flensburg

Dank der stets wachsenden Einnahmen konnte sich Dreesen ein Sommerhaus in Sandacker (Sandager) zwischen Ekensund (Egernsund) und Randershof (Rønshoved) leisten, das in den Folgejahren gewissermaßen eines der Hauptquartiere der Ekensunder Künstlerkolonie wurde und das Dreesen bis zu seinem Tod bewohnen wird.

Enttäuschendes Ekensund-Kapitel

Das Ekensund-Kapitel der Ausstellung interessiert hier natürlich am meisten. Doch man wird enttäuscht. Es werden einige bekannte Gemälde samt Großfotos präsentiert und in einigen Vitrinen eine größere Anzahl von Fotografien in historischen Abzügen. Auf das eigentliche Hauptmoment der Fotografie in Ekensund geht die Ausstellung nicht ein: Der Maler Fritz Stoltenberg brachte aus seinem Studienort München eine neue Kamera mit, die in Münchner Künstlerkreisen bereits überall zum Einsatz kam.

Die „Momentphotographie“ (mit kurzen Belichtungszeiten) revolutionierte die Amateurfotografie und erlaubte gewissermaßen jedermann zu fotografieren. Zahlreiche Optik-Firmen boten preiswerte transportable Kameras an. Stoltenberg hatte in München bereits mit seinen Studienfreunden Hans Olde usw. experimentiert. Wir erinnern daran, dass Stoltenberg eines der bekanntesten modernen Gemälde der dänischen Kunst zu verdanken ist. Als er 1884 in Skagen weilte, fotografierte er eine Geburtstagsfeier. Krøyer malte nach dem Foto das Bild „Hipp hipp hurrah“ (Kunstmuseum Göteborg).

Falsche Beschreibungen

Die Flensburger Ausstellung geht nicht nur nicht auf die Kamera Stoltenbergs (wohl eine Voigtländer) und ihre Benutzung im Kreis der Malerkollegen ein, sondern sie beschreibt auch die ausgestellten Alt-Fotografien Dreesens falsch. Nur ein Beispiel: Die Ausstellung zeigt das Foto „Fidele Kritiker“, das nach der Beschriftung den Maler Heinrich Petersen-Angeln (1850-1906) bei der Arbeit in Ekensund zeigen soll. Es ist zwar von Dreesen, stellt aber nicht Petersen-Angeln dar und entstand auch nicht in Ekensund.

Lassen wir Wilhelm Dreesen selbst zu Wort kommen, zumal er in der Ausstellung mit Selbstäußerungen nicht berücksichtigt wird. Er schrieb im Jahre 1891 in einem Brief, der zur Veröffentlichung vorgesehen war, zu dem damals „Freundliche Kritiker“ genannten Foto: „Die Aufnahme wurde vor 4 Jahren, im Monat Juni (…) bewerkstelligt. Herr Maler Runge aus München machte Herrn Dreesen damals einen Besuch und bat denselben ihn in Gegenden zu führen, welche ihm dankbare Sujets in reichlicher Anzahl liefern könnten. Da es namentlich auf malerische Figuren ankam, reisten sie nach dem Wattenmeer hinter Husum, wo die Krabbenfischer in höchst seltsamen, farbigen, zerrissenen Kleidern ihrer Arbeit nachgehen. Sowohl Männer als auch Frauen gehen während der Badezeit meilenweit übers Watt, beide Geschlechter weit übers Knie bloß und im Übrigen nur mit dürftigen Lappen behangen. Natürlich fand der Künstler dort häufig Veranlassung, Studien zu malen, die denn auch das Ergötzen und die Bewunderung des unvermeidlich sich um ihn sammelnden ländlichen Publicums erregten. Herr Dreesen als stummer Zeuge benutzte wieder um seinerseits eine solche Gelegenheit, um den Maler mißt seinen Bewunderern abzuconterfeien. Die hübsche Gruppe verdient als ein Muster photographischer Genremalerei bezeichnet zu werden.“

Verschenkte Pointe

Wie ersichtlich handelt es sich um den aus Mecklenburg stammenden Maler Julius Runge (1843-1922), der in München tätig war. Er gehörte zu den Malern um Gustav Schönleber, von denen viele dessen Rat befolgten, sommers nach Ekensund zu gehen. Er ging nach Ekensund. Aber nicht nur das: Er war bereits 1879 während der Anfangszeit der Skagener Künstlerkolonie in der nordjütischen Landschaft tätig. Mit Anna Ancher stand er im Briefwechsel. Auch er arbeitete nach Fotos, nachdem er sich in München niedergelassen hatte. Diese Beziehungen zu Julius Runge, die ein bislang völlig unbekanntes Kapitel der Ekensunder Kunst aufschlägt, findet man in der Flensburger Ausstellung nicht. Eine verschenkte Pointe.

Die nächste Abteilung der Ausstellung behandelt die Publikationen Dreesens. Von seinen zahlreichen Mappenwerken, die seine Fotos oft im aufwendigen Lichtdruck-Verfahren (heutige Herstellung wegen Gesundheitsschädigung verboten) gedruckt wurden, sind einige ausgestellt. Warum nicht alle dieser im wohlhabenden Bürgertum beliebten tea-table-books geboten werden, ist unerfindlich. In jedem Falle hätte man erwarten können, dass zumindest alle Norwegen behandelnden Mappenwerke beisammen sind, da die Ausstellung schließlich nach Norwegen weiterwandern soll. Sie fehlen aber.

Die folgenden Säle betreffen die Nordland- und Mittelmeer-Fahrten Dreesens, die er im Auftrag der Hapag unternommen hatte. Diese Schiffsreisen boten ihm den Stoff zu den lukrativen Mappenwerken und erlaubten den Abdruck seiner Fotos auf dem immer umfangreicheren Markt der Familien- und Publikumszeitschriften. Die Arbeit in seinen heimischen Ateliers hatte er längst aufgegeben. Wir gehen hier nicht darauf ein, es soll ein norwegischer Katalog erscheinen.

Neue Generation

Nach dem Verkauf seines Unternehmens kam nach 1900 eine neuere Generation der Fotografen zum Zuge. Die Kunst-Fotografie brach sich Bahn.  Auf den Ausstellungen begegnete man Dreesens Werken nicht mehr. Nur ein Beispiel: Die bekannte Fotografie-Ausstellung in Dresden von 1904, geleitet von Hugo Erfurth, parallel veranstaltet zur Internationalen Kunstausstellung, auf der Emil Nolde zugegen war, zeigte 40 Jahre nach Dreesens fotografischen Anfängen Fotos von Alfred Stieglitz, Alfred Renger-Patzsch, oder Rudolf Dührkoop. Das waren die neuen Namen der Zeit. Gleichwohl war Dreesen nicht vergessen. Er war der Nestor der schleswig-holsteinischen Fotografie.

Und nicht nur das! Vor über einhundert Jahren, am 5. Juli 1921, wurde Wilhelm Dreesen zum Ehrenmitglied des dänischen Fotografenvereins ernannt. Er wohnte damals bereits seit langen Jahren in Sandacker (Sandager). Diese Ernennung bedeutete etwas in einer national aufgewühlten Zeit, als sich im nördlichen Schleswig große Teile der Volksgruppen eher feindlich gegenüberstanden.

„Der Nordschleswiger“ berichtete in seiner Chronik Juli 2021 über diese Ernennung Dreesens. Dieses Faktum hätte aus Anlass der hunderttjährigen Wiederkehr der Ehrenmitgliedschaft der jetzt laufenden Ausstellung gut als Anlass der ganzen Unternehmung dienen können. Allein: Der Veranstalter weiß nichts von dem Ereignis.

Wir schließen und urteilen: Die Ausstellungsstücke sind – obwohl mangelhaft beschriftet – unbedingt sehenswert. Die Ausstellung selbst leidet jedoch an Insuffizienz.

Mehr lesen

Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Wenn Minderheiten als Gefahr für andere dargestellt werden“