Diese Woche in Kopenhagen

„Stellen wir die richtigen Fragen und wie radikal denken wir die Zukunft?“

„Stellen wir die richtigen Fragen und wie radikal denken wir die Zukunft?“

„Stellen wir die richtigen Fragen und wie radikal denken wir die Zukunft?“

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Kopenhagen
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Jan Diedrichsen, der Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit in Dänemark, befasst sich in seinem Kommentar in dieser Woche mit den beiden bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament und dem Folketing.

Gefühlt befinden wir uns in zwei Wahlkämpfen. Die Wahl zum Folketing wird kommen, recht bald, wenngleich niemand genau sagen kann, wann. Die Europaparlamentswahlen finden Ende Mai statt. Falls es Ihnen dabei wie mir geht, freuen Sie sich bereits, wenn die Wahlkämpfe schnell und schmerzlos vorbeigerauscht sind. Haben Sie schon mal ein Wahlprogramm gelesen? Ich meine nicht das der Schleswigschen Partei, das kennen wir natürlich alle. Aber ein Programm der Parteien in Dänemark oder gar der Parteifamilien auf europäischer Ebene? Haben Sie nicht? Macht nichts, es wird auch von den meisten Regierungspolitikern nach der Wahl nicht mehr angewandt. Was ich sagen will: Wahlkampf ist die Zeit des wohldosierten Populismus. Dem Wähler wird „aufs Maul geschaut“. Und eines mag der Wähler bekanntlich nicht: großartige Veränderungen. Uns geht es gut und so soll es bleiben. Dieses Grundgefühl müssen die Parteien und Politiker bedienen, wenn sie Erfolg haben wollen. Doch leider verdeckt diese Sehnsucht nach einer stabilen, heimeligen Welt einige grundlegende Fragen, die gestellt werden müssen, auch wenn sie zum Teil weh tun können und zum Widerspruch einladen. Es braucht Veränderungen und den Mut, diese zu denken; Veränderungen, die auch an Grundfesten unserer lieb gewonnen Realität rütteln. 

Vor 50 Jahren, also 1969, war es für Eltern noch relativ einfach, sich ungefähr eine Zukunft ihres Kindes auszumalen. Natürlich kam dann vieles anders als geplant, doch die meisten im Jahr 1969 geborenen Menschen, sind heute in Berufen tätig und finden sich in gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wieder, die bereits damals, nicht völlig abwegig erschienen wären.

Doch schauen wir uns die Gegenwart an. Was rät man Eltern, die 2019 ein Kind bekommen haben, wie sie ihren Nachwuchs auf die Zukunft vorbereiten können? Allein in den letzten 10 Jahren hat sich durch die Digitalisierung unser Leben grundlegend gewandelt, und die technologische Entwicklung wird sich rasant weiterentwickeln. Wie werden wir kommunizieren, wie werden wir reisen, wie werden wir wohnen, wie werden leben?

Es wird sich sicher Widerspruch regen, denn gerade das Jahr 1969 als Chiffre der Studentenunruhen, der revolutionären Utopien und der Versuch die Welt zu verändern. Der Systemkampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Die Angst vor einem Atomkrieg. Doch es ist nicht die politische Frage, (wenngleich diese auch mit Blick auf 2050 völlig offen erscheint) die mich zu der Unterscheidung zwischen 1969 und 2019 bringt. Es ist die technische und umweltbedingte Veränderung, die wir derzeit sozusagen in Echtzeit miterleben.  Wir sind mitten in einer radikalen Veränderung, ja einer Revolution, unserer gesellschaftlichen Grundbedingungen. Die Stichwörter sind hierbei vor allem Digitalisierung: die komplette Änderung des Arbeitsmarktes, der Mobilität stehen bevor. Der Klimawandel stellt uns als Menschheit vor existenziellen Fragen des Überlebens unserer Spezies. Als dritte Komponente wird die Biotechnologie, bald für alle sichtbar, das Spielfeld betreten und die Frage wird lauter werden: was ist der Mensch und wohin entwickelt er sich in Zeiten der technischen Modifizierbarkeit des Körpers.

Zurück zum Anfang, zurück zu den bevorstehenden Wahlen.  Lassen Sie uns Realisten bleiben. Die oben genannten Zukunftsfragen werden nicht von Politikern im Wahlkampf thematisiert. Politiker wollen wiedergewählt werden. Die Klimadiskussion und die Frage der Geschlechtergerechtigkeit als Beispiele zeigen jedoch, dass es durchaus grundlegende Themen in die Politik schaffen können, wenn sich genügend Druck aufbauen lässt. Also: engagieren Sie sich, gerne auch in Parteien und regen Sie dort an, die großen Fragen zu diskutieren. Oder schließen sie sich gleich den vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren, Menschrechtsorganisationen und NGOs an, die sich mit der Zukunft beschäftigen. Diesen Druck braucht die Politik, auch nach der Wahl. 

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