Gastkommentar

„Volkstrauertag: Und was hat das mit mir zu tun?“

Volkstrauertag: Und was hat das mit mir zu tun?

Volkstrauertag: Und was hat das mit mir zu tun?

Friederike Kuhrt
Friederike Kuhrt
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Sie verstehe, warum man müde ist. Keine Reserven mehr hat, um sich nun auch noch die Vergangenheit aufzuladen, schreibt Knvisberg-Teamkoordinatorin Friederike Kuhrt in ihrem Gastkommentar. Sie fragt: Wie können wir von Jugendlichen erwarten, Energie und Zeit in etwas zu stecken, was wir selbst nicht tun?

Seit vier Jahren beschäftige ich mich mit dem Volkstrauertag. Als ich die Stelle in der Bildungsstätte Knivsberg angetreten habe, gehörte das zu meinen ersten Aufgaben. Den Volkstrauertag gestalten, ausrichten, organisieren. 

Mit meinem Projekt „Gegen das Vergessen“ besuche ich die Schulen in Nordschleswig und seit diesem Jahr auch Konfirmationsunterricht. Ich halte in Gesellschaftskunde oder Geschichte (je nachdem welche Lehrkraft mich in den Unterricht einlädt) einen Vortrag darüber, was der Volkstrauertag ist und erarbeite mit den Jugendlichen verschiedene Formen von Gedenken.

So weit, so gut.

Zum Abschluss lade ich immer alle zum Volkstrauertag auf dem Knivsberg ein. Dort wird in der Gedenkstätte jedes Jahr ein Kranz niedergelegt und Opfern von Krieg und Gewalt gedacht.

Aber es kommt einfach keiner. Im vergangenen Jahr mussten wir die Veranstaltung absagen und auch in diesem Jahr wird am 17.11. kein Besuch auf dem Knivsberg erscheinen.

Die Jugendlichen antworten dann gern „Weil es Sonntagmorgen ist, da hat man keine Lust aufzustehen.“ Das verstehe ich ehrlicherweise. Habe ich auch nicht. 

„Das ist alles zu lange her.“ Auch diese Antwort verstehe ich. Die Weltkriege liegen so weit in der Vergangenheit, dass manchmal mehr als eine „Ur“ Silbe vor den Großvater gesetzt werden muss, um da einen Bezug herzustellen. Gott sei Dank.

Krieg herrscht heute auch nur woanders. An den Krieg in der Ukraine hat man sich irgendwie gewöhnt, den Gaza-Streifen kennt man aus den Nachrichten. Aber was hat das schon mit mir zu tun?

Es erscheint nur zu leicht, es dabei zu belassen. Die Frage in den Raum zu stellen und dann dem betretenen Schweigen zu lauschen, die sie nach sich zieht. 

Gedenken geht uns alle an. Aus der Vergangenheit lernen, die Geschichte nicht wiederholen. Laut sein gegen Ungerechtigkeit. Besonders zu solch turbulenten Zeiten, wo nur Kopfschütteln hilft, um die ganzen Nachrichten zu verarbeiten, die auf einen einprasseln. Ich verstehe, warum man müde ist. Keine Reserven mehr hat, um sich nun auch noch die Vergangenheit aufzuladen. Aber wie können wir von Jugendlichen erwarten, Energie und Zeit in etwas zu stecken, was wir selbst nicht tun?

Gedenken kann viele Formen haben. Häufig ist es Licht, sind es Kerzen, die angezündet werden. Blumen für verstorbene Menschen, Bilder im Album oder in Fotorahmen. Wir gedenken alle auf unsere Weise, immer wieder im Alltag. Vielleicht beziehen wir in diesem Jahr also auch andere in unser Gedenken ein. Menschen, die schon lange nicht mehr da sind und es trotzdem verdient haben, dass man sich an sie erinnert. Vielleicht sogar am 17. November… 

 

Die in diesem Gastkommentar vorgebrachten Inhalte sind nicht von der Redaktion auf ihre Richtigkeit überprüft. Sie spiegeln die Meinung der Autorin oder des Autors wider und repräsentieren nicht die Haltung des „Nordschleswigers“.

Mehr lesen

Leitartikel

Gerrit Hencke
Gerrit Hencke Journalist
„Klimaschutz vor Wirtschaftsinteressen“

Diese Woche in Kopenhagen

Meinung
Walter Turnowsky
„Demokratie ist nicht gleich Demokratie: Vom deutschen Vertrauen und dänischen Misstrauen“