Leitartikel

„Das biegen wir uns schon hin!“

Das biegen wir uns schon hin!

Das biegen wir uns schon hin!

Apenrade/Aabenraa
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Demokratie lebt vom Vertrauen der Bürger und von der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit. Empfehlungen sollten deshalb nicht so verkündet werden, als seien sie Gesetz, meint Nils Baum.

Die Parteien des roten Blocks haben sich am Montagabend auf ein vorläufiges Nerz-Verbot in Dänemark geeinigt und damit die Grundlage für ein Gesetz geschaffen, das die Keulung aller Nerze erlaubt.

Besser spät als nie, könnte man da spontan denken. Doch geht es hier um weit mehr als einfach um irgendein Gesetz. Das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Regierung und in die Demokratie schlechthin steht auf dem Spiel.

Als Staatsministerin Mette Frederiksen am 4. November mit besonders ernster Miene vor die Presse trat, um zu verkünden, dass sämtliche Nerze im Lande getötet werden müssen, hätte man glauben können, dass sie über ihren Gesichtsausdruck der besonderen Schwere der Situation Rechnung tragen und bereits auf diese Weise hinreichend Legitimation für das schaffen wollte, was dann folgen sollte.

Reichspolizeichef Thorkild Fogde merkte später an, dass dies immer noch ein freies Land mit freien Bürgern sei und die verkündeten Maßnahmen für die sieben nordjütischen Kommunen lediglich Empfehlungen, an die sich jedoch hoffentlich alle Bürger halten würden. Warum wohl fühlte er sich gezwungen, dies vor laufenden Kameras zu sagen?

Weil die Regierung mit Staatsministerin Mette Frederiksen an der Spitze teilweise auftritt wie Heilsverkünder, die ihren Schäfchen immer neue Hiobsbotschaften überbringen. Ist die Miene nur ernst genug, können noch so große Einschränkungen grundrechtlich verbriefter Freiheiten verkündet werden, scheint die Überzeugung in der obersten Kommandozentrale des Landes zu sein.

Doch wenn Empfehlungen so verkündet werden, als seien sie Gesetz, ist das ein echtes Problem. Das gilt zunächst auf der Ebene der Vertrauenswürdigkeit. Ist die Sorge vor der Gleichgültigkeit der eigenen Bevölkerung denn so groß, dass man sich im Staatsministerium nicht traut, die Dinge so beim Namen zu benennen, wie sie nun mal sind? Je authentischer jemand auftritt, desto glaubwürdiger ist er oder sie in der Regel. Und Glaubwürdigkeit ist ein hoher Motivationsfaktor, wenn es darum geht, andere davon zu überzeugen, eine Sache zu unterstützen.

Als dann vier Tage später ans Licht kam, dass es gar keine gesetzliche Grundlage für die Tötung aller Nerze in Dänemark gibt, nahmen die Probleme eine neue Dimension an. Das Entsetzen war groß, und der Nahrungsmittelminister bekam plötzlich so große Gedächtnislücken, dass er sich hinter ein Papier seiner Ministerialbeamten geflüchtet hat, das ihn nun retten soll. Dafür hat er sich sogar sieben Tage Zeit genommen.

„Das biegen wir uns schon hin“, scheinen sich einige in der Regierung offenbar zu denken. Doch Demokratie lebt von Transparenz, einer offenen Debatte und vor allem von der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit.

Wenn der Parteivorsitzende der Liberalen Allianz, Alex Vanopslagh, sich nun der Worte bedient, dass nur Despoten sich so aufführen würden und der Umgang mit der Nerztötung einer der größten politischen Skandale der jüngeren Zeit sei, dann sind das für einen Vorsitzenden einer Oppositionspartei vielleicht die richtigen Worte.

Allerdings tut man immer gut daran, nicht mit zu großer Munition auf andere zu schießen. Denn das Beispiel der Nerze steht nicht allein. Der Vorwurf gegen die sozialdemokratische Regierung, eine Anordnung mit gravierenden Folgen für eine ganze Branche zu treffen, ohne die dafür erforderliche Gesetzesgrundlage zu haben, kann nämlich auch in Richtung der bürgerlichen Parteien gesendet werden: Waren sie es doch, die in der letzten Regierungsperiode die schützende Hand über Inger Støjberg gehalten hatten, als diese Asylzentren auferlegte, (Ehe-)Paare voneinander zu trennen, sofern mindestens einer der Partner unter 18 Jahre alt war. Die Arbeit der Untersuchungskommission ist noch nicht abgeschlossen, doch der Ombudsmann hat bereits die Rechtswidrigkeit dieser Vorgehensweise festgestellt.

Dennoch wittert die Opposition jetzt Morgenluft. Nachdem die Zustimmungswerte zu Mette Frederiksen und ihr Umgang mit der Corona-Krise im Frühjahr bei 73 Prozent lagen, blieb den Oppositionsparteien nicht viel anderes übrig, als sich demütig unter die Verkündungen und Maßnahmen unterzuordnen und diese mitzutragen. Doch jetzt, wo die Zustimmung zu Mette Frederiksen und ihrer Regierung auf vorläufig 56 Prozent gesunken ist, sieht die Opposition ihre Stunde gekommen. Sie kann wieder Flagge zeigen und Mette etwas von ihrer Machermentalität nehmen.

Wer und ob überhaupt jemand in diesem Trauerspiel am Ende als Sieger vom Schlachtfeld davonzieht, wird sich noch zeigen. Verloren hat schon jetzt das in einer Demokratie so wichtige Kapital „Vertrauen“. Denn das Motto „Das biegen wir uns schon hin!“ hat in einer Demokratie nichts verloren!

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