Leitartikel

Effektiv in den Burnout

Effektiv in den Burnout

Effektiv in den Burnout

Apenrade/Aabenraa
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Foto: picture-alliance/dpa

Die Dinge sollen in Dänemark runder laufen, alles wird auf Effizienz getrimmt. Ob das Leben dadurch besser wird, daran hat Sara Wasmund ihre Zweifel.

Besser! Effektiver! Gründlicher! Nachhaltiger! Schneller! Ob auf dem Arbeitsmarkt, im Ausbildungssektor oder in der Wohlfahrt:  ehrgeizige Reformpakete sind in der dänischen Politik nun wirklich keine Mangelware. Die Dinge sollen runder laufen, der Wirtschaft dienen, bestenfalls weniger Geld kosten und dabei mehr Ergebnisse hervorbringen. Alles in allem sinnvolle Ansinnen – doch kommen die Reformen im Alltag der Bürger an? Bringen sie tatsächlich einen besseren Alltag mit sich? Mit Blick auf die Entwicklung von Stresserkrankungen darf das zumindest angezweifelt werden. Tatsache ist: Immer mehr Menschen fühlen sich gestresst, Kinder, Schüler, Erwachsene in zunehmendem Maße.

Ein paar Zahlen: Rund 430.000 Dänen, also rund zehn bis zwölf Prozent der Bevölkerung, leiden unter starken Stresssymptomen. Jeden Tag melden sich 35.000 Dänen krank, weil sie mit den Arbeitsanforderungen nicht mehr zurechtkommen und deshalb mit der Diagnose Stress oder Depression krankgeschrieben werden. 500.000 Dänen fühlen sich während der Arbeit ausgebrannt, nicht wenige nehmen Medikamente, um durch den Alltag zu kommen. 1,5 Millionen Krankentage kommen jährlich wegen der Diagnose Stress zusammen, Millionenkosten in zweistelliger Höhe zulasten der Gesellschaft sind die Folge.

Jedes Fließband in diesem Land wird auf Gefahren für Arbeitnehmer durchgecheckt, höhenverstellbare Schreibtische sind in Büros arbeitsgesetzlich vorgegeben. Aber der Stress als Krankmacher bleibt in einer vagen Grauzone zwischen Tatsache und Nicht-wahr-haben-Wollen. Während Gefahrenquellen für den Körper am Arbeitsplatz konkret ausgemacht und ausgeschaltet werden können, ist es bei den Ursachen von Stress weitaus komplizierter. Einen Schreibtisch kann man per Knopfdruck nach oben fahren – aber wo ist der Knopf, mit dem der Stress reduziert werden kann? Wahrlich  kein einfaches Unterfangen, des Stresses im Land Herr zu werden.  Wo bleibt die Stress-Reform, sowohl politisch als auch gesellschaftlich?

Stressforscher machen unter anderem den hohen Konkurrenzdruck, zu hohe Anforderungen an sich selbst, zunehmende Aufgaben und die immer stärkere Nutzung von sozialen Medien für das hohe Stresslevel in Dänemark verantwortlich. Die Definition des Selbstwertes läuft  leider allzu häufig darüber, was und wie viel man tut. Wie und wie viel man arbeitet. Was und wie viel man leistet. Besitzt. Erreicht.

Die Herausforderung, im eigenen Leben nicht an den Ansprüchen anderer kaputt zu gehen und sich nicht selbst unter Druck zu setzen, ist zunächst eine ganz persönliche. Nein zu sagen, wenn es zu viel wird. Sich nicht mit anderen messen, sondern dem eigenem Maßstab an sich selbst folgen. Sich selbst genügen.

Doch nicht jeder ist so souverän, die Grenzen zum eigenen Wohl jedes Mal gesund ziehen zu können. Daher benötigt es Grenzen, die gesetzt werden. Solange Politik und Gesellschaft nicht aufhören, die Effektivität von Mensch und Maschinerie in den Himmel zu loben und als roten Faden durch die Politik zu weben, wird die Zahl derer, die da nicht hinterherkommen und am Stress erkranken, steigen. Eine Reform für ein Leben in Balance, beispielsweise mit neuen Ansätzen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wäre ein gesunder Schritt nach vorne.

 

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