Leitartikel

„Klein, aber oho“

„Klein, aber oho“

„Klein, aber oho“

Apenrade/Aabenraa
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Kann der DSSV nun nicht mehr mit seinen vergleichsweise kleinen Klassengrößen prahlen? Doch. Denn es geht in der Schule um mehr als nur Leistung, die sich in Zeugnisnoten widerspiegelt, meint Cornelius von Tiedemann.

Die Formel klingt einleuchtend und galt bisher in Politik, Pädagogik und bei Eltern als unzweifelhaft: Je weniger Schüler in einer Klasse sind, desto besser, denn desto mehr Zeit haben Lehrer für die einzelnen Kinder. Untersuchungen bestätigen die Faustregel immer wieder. Und Schüler, die zum Beispiel von Schulen in Deutschland an eine Schule des DSSV in Nordschleswig mit kleinen Klassen gewechselt sind, erzählen uns von der Zeitung immer wieder, wie anders der Unterricht sei, wie viel besser wahrgenommen sie sich hier fühlten.

Eine umfassende, 2012 veröffentlichte schwedische Studie kam sogar zu dem Schluss, dass es volkswirtschaftlich von großem Vorteil wäre, die Klassengrößen zu reduzieren. Die Mehrausgaben für Lehrpersonal würden durch das deutlich höhere erreichbare durchschnittliche Bildungsniveau, die bessere Lernfähigkeit und -bereitschaft und die somit erfolgreicheren Karriereverläufe der Schüler mehr als ausgeglichen.

Und jetzt kommt das Doch: Die größte und gründlichste wissenschaftliche Untersuchung aller Zeiten zu dem Thema kommt zu  folgendem Urteil: „Kleine Klassen sorgen nicht für fachlich bessere Schüler“. Hinter der Untersuchung steht das Nationale Forschungs- und Analysezentrum für Wohlfahrt, Vive, mit Sitz in Kopenhagen und Aarhus. 127 Untersuchungen aus 41 Ländern wurden ausgewertet und am Ende steht, dass der Effekt „im besten Fall sehr klein“ sei.

Mehrere Jahre haben die Wissenschaftler damit verbracht, die Studien systematisch auszuwerten. Schüler in kleinen Klassen können etwas besser lesen, aber dafür sind sie ein wenig schlechter in Mathe, heißt es da.

Kann der DSSV nun nicht mehr mit seinen vergleichsweise kleinen Klassengrößen prahlen? Doch. Denn es geht in der Schule um mehr als nur Leistung, die sich in Zeugnisnoten widerspiegelt. Natürlich sind die Ausbildungseinrichtungen dazu da, Kinder für das Erwachsenenleben –eben – auszubilden. Und das möglichst gut entsprechend der Zielvorgaben. Es geht aber auch um Gemeinschaft, um Anerkennung, um Nähe, um Aufmerksamkeit auf anderes als nur die fachlichen Ergebnisse. Das alles können kleine Schulen und kleine Klassen nicht per se besser – aber die Voraussetzungen dafür sind günstiger als an riesigen Zentralschulen.

Hätte man nach der persönlichen Entwicklung der Schüler oder ihrem Wohlbefinden gefragt, wäre die Untersuchung womöglich anders ausgefallen. Das meint auch Per Fibæk Larsen, der Professor an der Pädagogischen Uni von Aarhus ist, zu videnskab.dk.
Denn Forschung zeigt auch: Große Klassen sorgen für schlechte Luft (im wahrsten Sinne des Wortes) und schlechte Stimmung bei Schülern – und Lehrern.

Klein, aber oho – die deutschen Schulen in Nordschleswig können das getrost weiterhin von sich behaupten.

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