Leitartikel

„Vereint stehen, getrennt fallen“

Vereint stehen, getrennt fallen

Vereint stehen, getrennt fallen

Apenrade/Aabenraa
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Die EU ist das Licht am Ende des Corona-Tunnels, meint Cornelius von Tiedemann. Dabei spielt sie in den Gedanken vieler Bürger und in den Äußerungen vieler Politiker derzeit eine untergeordnete Rolle.

Die Corona-Krise – sie ist auch eine europäische Krise. Denn Krisen sind immer die Zeit, in der Regenten sich hervortun können. Während die nationalen Regierungen das weidlich ausnutzen, verhallen die Rufe aus Brüssel nach einer gemeinsamen, koordinierten Strategie öffentlich fast ungehört.  

Kein Wunder. Die Beliebtheitswerte der nationalen Regierenden steigen nicht nur in Dänemark. Auch in Schweden zum Beispiel und – ein wenig überraschend vielleicht, auch außerhalb der EU in den USA. Wer oft genug sagt, dass er alles unter Kontrolle hat, dem wird offenbar geglaubt, selbst wenn er als notorischer Lügner bekannt ist.

In Krisen sammeln sich die Menschen wie Schafe hinter dem Hirten. In Ungarn müssen sie das jetzt. Viktor Orbán hat den Rechtsstaat dort einfach aufgehoben. Kritischen Journalisten droht dort Gefängnis. Mitten in der EU.

Länder wie Dänemark haben ihre Corona-Maßnahmen fast völlig ohne Abstimmung mit den anderen EU-Staaten einfach eingeführt. Ursula von der Leyen und die restliche EU-Führung haben zugesehen – und vielleicht nicht verstanden, was  kommen würde. Anstatt selbst das Ruder an sich zu reißen, wurde empfohlen, die Grenzen offen zu lassen.

Mag sein, es war möglicherweise damals eine fachlich-sachlich angemessene Reaktion. Doch an der Realität der ersten Panik ging diese Reaktion vorbei. Die EU zeigte keine Stärke. Sie zeigte keine Entschlossenheit. Sie zeigte keine Emotionen. Kein Gesicht.

Während es ihre große Stärke ist, Krisen vorzubeugen und abzuwenden, sind Krisenzeiten selbst, wo die Menschen an die Hand genommen werden wollen, die große Schwäche der EU.

Die Mitgliedsländer pfeifen aber nicht nur deshalb derzeit nach außen auf Brüssel. Es liegt auch an dem ganz einfachen Umstand, dass Gesundheitspolitik weiterhin Sache der Mitgliedsstaaten ist. Deshalb sind die Strategien so unterschiedlich, deshalb wirkt alles so unkoordiniert.

Damit die EU überhaupt die Möglichkeit hätte, hier Stärke zu zeigen und den europäischen Einsatz zu koordinieren, müssten die Mitgliedsstaaten, müsste auch Dänemark, aktiv die Zusammenarbeit suchen und auf lange Sicht institutionalisieren und bereit sein, Kompetenzen zu teilen.

Und es liegt auch daran, dass die Regierungen der reichen Länder geringes Interesse daran zeigen, derzeit laut von europäischer Solidarität zu sprechen. Denn bei vielen Wählern kommt dann doch nur wieder an, dass wir im Norden die Länder im Süden herausreißen müssen.

Doch heißt all dies, dass wir, nach der sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 nun vor dem endgültigen K. o. der EU stehen?

Wohl kaum. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass es trotz allem noch europäische Solidarität gibt.

Länder nehmen Patienten aus anderen Ländern auf, es werden Materialien gestiftet, gemeinsame Bestellungen aufgegeben, es wurde der Im- und Export von Lebensmitteln und medizinischen Gütern sichergestellt, zum Beispiel indem Sonderspuren für die Lkw an den ansonsten geschlossenen Grenzen eingerichtet werden, der Schengen-Raum wurde gemeinsam abgeriegelt, gemeinsam wurde Geld für die Forschung an Corona-Impfstoffen abgesetzt, es wurden Ausnahmeregelungen für die Wirtschaftsförderung bzw. -subventionierung erlassen, die Mitglieder dürfen mehr Schulden machen als sonst, es wurde ein riesiges Rettungspaket über fünf Billionen fünfhundertachtundneunzig Milliarden einundvierzig Millionen zweihundertfünfzigtausend Kronen geschnürt, und der Stabilitätsmechanismus, der aus der Finanzkrise hervorging, soll auch genutzt werden.

Vielleicht ist die EU gerade nicht die lauteste Stimme in der Krise. Aber sie funktioniert in dem Rahmen, den die nationalen Regierungen zulassen, einigermaßen effektiv. Wie heftig wir auch auf sie schimpfen, sie ignorieren oder uns selbst und unsere nationalen Errungenschaften loben – sie stützt uns dessen ungeachtet.

Europa ist ein Licht am Ende des Corona-Tunnels. Auch Dänemark ist gut beraten, sich daran zu orientieren.

 

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