Leitartikel

„Zeit für mehr Gerechtigkeit – oder für weniger Populismus?“

Zeit für mehr Gerechtigkeit – oder für weniger Populismus?

Zeit für mehr Gerechtigkeit – oder für weniger Populismus?

Apenrade/Aabenraa
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Wenn Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) jetzt fordert, dass Kriminelle härter bestraft werden sollen, dann ist das ein weiteres Indiz dafür, dass wir von der Ankündigung baldiger Neuwahlen wohl nicht mehr allzu weit entfernt sind, meint Nils Baum.

Staatsministerin Mette Frederiksen (Soz.) will am Dienstag eine Initiative für härtere Strafen für Kriminelle vorstellen. Vor allem bei Verbrechen, bei denen personengefährdende Kriminalität im Spiel ist, soll härter durchgegriffen werden können. Dazu zählen Gewalt, Vergewaltigung und Wiederholungskriminalität. Auch organisiertes Verbrechen oder das Filmen und Verbreiten von Gewalt in sozialen Netzwerken soll härter bestraft werden.

Die Staatsministerin betont dabei, dass die neuen Initiativen vor allem gegen Kriminelle mit ausländischem Hintergrund gerichtet seien, weil genau diese in der Kriminalitätsstatistik überrepräsentiert seien. Deshalb sieht sie Dänemark auch vor großen Herausforderungen stehen, denn die sich dadurch ausbreitende Unsicherheitsei mit einem einen enormen Verlust an Freiheit verbunden.

Die Zeiten, in denen Dänemark ein Land mit niedriger Kriminalität ist und Resozialisierung statt harte Strafen die Lösung aller Probleme darstellt, seien vorbei, so Frederiksen.

Doch Experten widersprechen. Längere Gefängnisstrafen hätten keine präventive Wirkung, das einzige wirkungsvolle Mittel gegen Kriminalität sei nun einmal die Prävention. Auch sei das durchschnittliche Strafmaß in den vergangenen Jahren bereits erheblich gestiegen.

Justizminister Mattias Tesfaye (Soz.) springt seiner Chefin bei und meint denn auch, dass es bei den Plänen nicht nur um Vorbeugung, sondern auch um das Gerechtigkeitsempfinden der Opfer gehe. Das Selbstverständnis einer Gesellschaft definiere sich eben auch durch gemeinsame Normen und Werte.

Dass unser Rechtsstaat der gesellschaftlichen Prämisse des Gefühls von Gerechtigkeit große Bedeutung zumisst, darf zwar nicht außer Acht gelassen werden. Doch ist das Gerechtigkeitsempfinden eben individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt und schon deshalb nur bedingt als Argument für ein bestimmtes Strafmaß geeignet.

Zudem ist eine Debatte um höhere Strafen sinnlos, wenn sie in der Praxis ohnehin nicht umgesetzt werden können. Denn die dänischen Gefängnisse sind bereits komplett ausgelastet.

Mette Frederiksen möchte auch hier ansetzen und mehr Geld für die Einstellung von Strafvollzugspersonal bereitstellen, Staatsanwaltschaften und Gerichte sollen ebenfalls personell besser ausgestattet werden, und sogar ein neues Gefängnis soll gebaut werden.

Da dürfte die Meldung, dass nur sechs von 25 Ausbildungsplätzen an der neuen Schule für Gefängnisbedienstete in Nykøbing Falster besetzt wurden, und das trotz finanzieller Anreize bereits während der Ausbildung, nicht so recht ins Bild der Staatsministerin passen.

Vielleicht räumt Justizminister Mattias Tesfaye (Soz.) deshalb selbst ein, dass die Pläne der Regierung lange Aussichten auf Erfolg haben. Wie er sagt, können die Kapazitäten in den Strafvollzugsanstalten kaum über Nacht ausgeweitet werden, aber andererseits müsse man irgendwann ja damit anfangen.

Dass Politikerinnen und Politiker längerfristig denken und planen, ist natürlich begrüßenswert. Allerdings muss sich die Regierung die Frage gefallen lassen, warum solche Programme ausgerechnet in einem Wahljahr präsentiert werden.

Wenn sie dann auch noch mit Ausländerpolitik verbunden werden, dann kann man sich schon denken: bis zur Verkündung von Neuwahlen kann es nicht mehr lange dauern. Eine jede und ein jeder sollte sich deshalb fragen, ob es tatsächlich an der Zeit für mehr Gerechtigkeit ist – oder vielleicht einfach für etwas weniger Populismus?

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