Grenzziehung 1920

„Wiedervereinigung“? „Wir respektieren das, feiern es aber nicht“

„Wiedervereinigung“? „Wir respektieren das, feiern es aber nicht“

„Wiedervereinigung“? „Wir respektieren das"

Apenrade/Aabenraa
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Das letzte Treffen zwischen deutschen und dänischen Grenzwächtern bei Frederikshøj, kurz nach der Abstimmung im Februar über die neue Grenze zu Deutschland. Foto: Holger Damgaard / Ritzau Scanpix

Warum feiert die deutsche Minderheit 2020 nicht die „Wiedervereinigung“, sondern die Grenzziehung? Um die Verwendung des Wortes „genforening“ ist eine Diskussion entbrannt. Was ist gefühlte Wahrheit und was ist historisch korrekt? Wir haben nachgefragt.

Während man in Dänemark 2020 ganz offiziell „genforening“, also die „Wiedervereinigung“ feiert, feiern die deutsche und die dänische Minderheit die Grenzziehung von 1920 und den eigenen 100. Geburtstag.

Doch warum will man in der deutschen Minderheit nicht den Namen „Wiedervereinigung“ verwenden? Diese Frage hat der Sonderburger Sozialdemokrat Bjørn Allerelli Andersen gestellt – und zwar in anklagendem Ton. Es tue ihm im Herzen weh, dass die Minderheits-Deutschen nicht von Wiedervereinigung sprechen, die Minderheit solle „klar und öffentlich anerkennen, dass es sich um eine Wiedervereinigung handelt“, so der Stadtratspolitiker.

Warum feiert ihr nicht Wiedervereinigung? Der Hauptvorsitzende der Minderheitenorganisation Bund Deutscher Nordschleswiger, Hinrich Jürgensen, bezieht Stellung. „Wir feiern 2020 unseren 100. Geburtstag. Wir können nicht Wiedervereinigung feiern, weil es für die deutsche Minderheit keine Wiedervereinigung gab. Aber das bedeutet ja nicht, dass wir etwas dagegen haben, wenn die Dänen Wiedervereinigung feiern.“

 

Hinrich Jürgensen, Hauptvorsitzender der deutschen Minderheit, macht auf die Vielfalt aufmerksam, die im Begehen von 2020 liegen kann – und darf. Foto: Karin Riggelsen

 

Aus Sicht der deutschen Minderheit sei die Grenzziehung 1920 keine Wiedervereinigung gewesen. „Man kann nicht von den Menschen verlangen, dass man eine Wiedervereinigung feiert, wenn es für die Deutschen in Nordschleswig keine war. Wenn die Dänen das so empfinden und feiern, können wir uns aber mitfreuen.“

Für Jürgensen ist es unverständlich, dass die Diskussion geführt wird. „Wir haben ja großen Respekt davor, dass die Dänen das feiern. Aber wir begehen in der Minderheit 2020 unseren Geburtstag, denn das war es für uns damals.“ Dass der Begriff „Wiedervereinigung“ in Deutschland nicht verwendet wird, habe auch einen anderen Grund. „In Deutschland steht Wiedervereinigung als Wort für die Wiedervereinigung des Landes mit der DDR.“

Ist es historisch richtig, von einer Wiedervereinigung zu sprechen? „Ich denke, es ist ein Begriff, der ausdrückt, was viele Bürger empfinden. Ob das juristisch und historisch nun korrekt ist oder nicht, da mische ich mich nicht ein. Es wird auf jeden Fall von vielen Menschen in Dänemark als Wiedervereinigung empfunden.“


 

Es gibt die historischen Tatsachen und die nationale Gefühlslage. Wurde 1920 durch die Abstimmung zur Grenzziehung ein vorheriger Zustand wiederhergestellt? Nein.

Frank Lubowitz, Leiter der Forschungsstelle

Frank Lubowitz, Leiter des Archivs und der Forschungsstelle der deutschen Volksgruppe ordnet den Begriff „genforening“ historisch korrekt ein: „Es gibt die historischen Tatsachen und die nationale Gefühlslage. Wurde 1920 durch die Abstimmung zur Grenzziehung ein vorheriger Zustand wiederhergestellt? Nein. Staatsminister Neergaard selbst hat 1920 in seiner Rede betont, dass Nordschleswig vorher nie als solches zu Dänemark gehört hatte.“

Staatsrechtlich sei auch in den Gesetzen von 1920 von einer „Eingliederung“ die Rede („Lov af 1920 om indlemmelse af de sønderjyske Landsdele i kongeriget“, d. Red.).

„Die gefühlte Wiedervereinigung ist vor dem Trauma von 1864 zu verstehen"

„Die gefühlte Wiedervereinigung ist vor dem Trauma von 1864 zu verstehen. Es war der Triumph, mit der Dänisch gesinnten Bevölkerung Nordschleswigs, die man 1864 an Preußen verloren hatte, wieder vereint zu werden.“ Von „Wiedervereinigung“ zu sprechen, sei also als historische Begrifflichkeit falsch, „es entspricht aber der Gefühlslage der Bevölkerung“.

Für den deutschen Teil der Bevölkerung sei das Ergebnis der Abstimmung ein sehr schmerzhafter Abschied von Deutschland gewesen, so Lubowitz. „Das war ein ähnliches Trauma wie 1864 für die Dänen. 1920 fiel eine Entscheidung, die die deutsche Minderheit heute ohne Wenn und Aber anerkennt. Aber für die Deutschgesinnten war es eine Abtretung, ein Verlust. Es ist wichtig, dass auch diese Seite der Geschichte Raum findet.“ Deshalb, so Lubowitz, passt der Begriff der „Wiedervereinigung“ nicht für die deutschen Nordschleswiger, und es ist völlig abwegig, ihnen diesen Begriff von dänischer Seite aufzwingen zu wollen. 

 

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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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