Nordschleswigsche Geschichte

Jeder Vortrag gibt Ilse Friis neuen Input

Jeder Vortrag gibt Ilse Friis neuen Input

Jeder Vortrag gibt Ilse Friis neuen Input

Apenrade/Aabenraa
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Ilse Friis an „ihrem“ Arbeitsplatz im Archiv der deutschen Minderheit im Deutschen Museum in Sonderburg Foto: Karin Riggelsen

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Als die frühere Rektorin des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig anfing, sich mit den Biografien nordschleswigscher Frauen während der NS-Zeit zu beschäftigen, hieß es, dass es sich maximal um 10 bis 12 Namen drehen würde. Inzwischen hat sie aus dem Archivmaterial des deutschen Museums in Sonderburg spannende Informationen von mehr als 150 Frauen zusammentragen können und ist damit längst noch nicht am Ende ihrer Forschung.

Mit ihren Vorträgen über nordschleswigsche Frauen und ihre Rollen während des Nationalsozialismus ist Ilse Friis in den vergangenen zehn Monaten fast schon in allen Orten und Vereinen der deutschen Minderheit des Landesteils gewesen.

Inzwischen hat die frühere Rektorin des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig ihren Vortrag auch auf Dänisch übersetzt und kann deshalb auch Anfragen von lokalhistorischen Vereinen der Mehrheitsbevölkerung wahrnehmen. Der Kalender füllt sich zusehends.

Das freut sie einerseits, andererseits bleibt ihr dann weniger Zeit für die weitere Forschung.

Keine eigene Doktorarbeit

Denn das ist eine Erkenntnis des vergangenen Jahres: Jeder Vortrag gibt Ilse Friis neuen Input für ihre Recherchen.

Nicht im Entferntesten hatte sie damit gerechnet, dass sie, die Geschichte studiert hat, auf ihre „alten Tage“ auf eine so reizvolle Forschungsaufgabe stoßen würde. „Ich habe allerdings nicht vor, eine Doktorarbeit daraus zu machen. Ich würde meine bisher zusammengetragenen Ergebnisse und Erkenntnisse aber sehr gern jungen Studierenden zur Verfügung stellen“, sagt sie. Ilse Friis überlegt deshalb gerade, wie sie ihre Arbeit für andere zugänglich machen kann.

Als auf Wunsch von Archivleiterin Nina Jebsen (r.) im Frühjahr 2021 eine Gruppe Ehrenamtlicher damit begann, gesammeltes Archivmaterial zu registrieren, ahnte Ilse Friis (l.) nicht, auf welchen interessanten „Schatz“ sie bei dieser Arbeit stoßen würde. Foto: Karin Riggelsen

Beginn vor zweieinhalb Jahren

Ilse Friis ist seit 2016 Vorsitzende des Trägervereins des Deutschen Museums Nordschleswig in Sonderburg (Sønderborg). „Als Nina (Jebsen, Historikerin und Archivleiterin, red. Anm.) mir gegenüber bedauerte, dass viel Archivmaterial noch nicht registriert sei, haben wir im Frühjahr 2021 eine Gruppe gebildet, die genau das zum Auftrag hat. Seitdem treffen wir uns einmal wöchentlich im Archiv des Museums, um Schriften, Briefe, Dokumente und Fotos zu sortieren und zu registrieren, die aus dem Nachlass von Privatpersonen, Vereinen und Verbänden stammen“, erzählt Ilse Friis.

Das sei eine wichtige Arbeit; sie erfordere viel Sorgfalt und zum Teil auch detektivisches Gespür, wie sie feststellt. Besonders beim Fotomaterial sind ganz viele der abgelichteten Personen noch ohne Namen. Derzeit sucht das Team nach einer Möglichkeit, die Leute zu identifizieren.

Spannender Briefwechsel

Im Rahmen dieser Arbeit waren die ehrenamtlich Tätigen auf den Briefverkehr zwischen dem Führer der Nationalsozialisten Deutschen Arbeiterpartei Nordschleswig (NSDAP-N), Jens Møller, und dessen Ehefrau Mimi während der Inhaftierung (bis 1950) des Ehemannes gestoßen. Sie hatten sich gefragt, warum in den bisherigen Forschungsarbeiten meistens nur die Männer im Mittelpunkt stünden, wenn es um die Geschichte der deutschen Minderheit in Nordschleswig während der NS-Zeit ging.

Ilse Friis hat einen Grundvortrag, den sie jedoch je nach Ort oder Anlass anpassen kann. So konzentrierte sie sich kürzlich bei einer Veranstaltung des Apenrader Mittwochstreffs auf Frauen aus der Kommune. Foto: Karin Riggelsen

Im Laufe der Monate erfuhren die ehrenamtlichen Archivarinnen und Archivare über das Studium von Briefen und Dokumenten von weiteren interessanten Frauenschicksalen.

Einige dieser Geschichten fasste Ilse Friis in einem Vortrag zusammen, den sie anlässlich des Volkstrauertages im November 2022 in der Bildungsstätte Knivsberg (Knivsbjerg) erstmals öffentlich hielt. Seitdem hat sie ihren Vortrag in ganz Nordschleswig gehalten.

„Ich habe einen gewissen Grundvortrag, den ich aber je nach Ort und Anlass anpassen kann“, sagt sie.

Bei der Sankelmarktagung der Minderheit im Januar dieses Jahres wurde ihr Vortrag mit großem Beifall quittiert. Foto: Walter Turnowsky

Positive Rückmeldungen

Ilse Friis war selbst gespannt, wie die Zuhörerschaft auf ihre Ausführungen reagieren würde. Würde sie als „Nestbeschmutzerin“ angefeindet werden? „Die Rückmeldungen waren aber stets positiv“, freut sie sich. Ilse Friis weiß auch aus etlichen Gesprächen, dass sie viele Vorurteile und Ängste bei den Angehörigen der erwähnten Personen ausräumen konnte, gerade weil sie mit sehr viel Sorgfalt recherchiert hat und die Frauen nicht im Nachhinein verurteilt. „Das steht uns nicht zu“, findet sie.

Selbstverständlich gab es unter den nordschleswigschen Frauen auch überzeugte Nationalsozialistinnen und bestimmt auch Gegnerinnen, auch wenn die ehrenamtlichen Archivarinnen und Archivare bislang dazu nur sehr wenig Material gefunden haben. Aber: Egal, zu welcher der beiden Gruppen sie auch gehörten, so haben sie sich um Familie und Betrieb gekümmert, während ihre Männer an der Front, im Lazarett oder später in Haft waren.

Bei aller Sorgfalt und „trockener“ Registrierung von Schriftstücken und Fotos haben die Archivarinnen und Archivare auch viel Spaß bei der Arbeit, wie hier Ingemarie Tietje und Ilse Friis. Foto: Karin Riggelsen

Eigenes Konto seit 1952

„Das war bestimmt nicht immer leicht. Es war ja zu der Zeit auch noch nicht üblich, dass die Frauen Einblicke in die Ökonomie eines Betriebes hatten, geschweige denn Zugriff auf das Konto des Ehemannes“, sagt Ilse Friis und fügt erläuternd hinzu, dass es selbst im so fortschrittlichen Dänemark Frauen erst ab 1952 erlaubt war, über ein eigenes Konto zu verfügen.

„Ich weiß aus Erzählungen von Angehörigen, dass einige Frauen nicht nur die Höfe oder Betriebe am Leben gehalten haben, sondern in diesen Jahren auch mehr Geschäftssinn und Geschick an den Tag gelegt haben als ihre Männer“, erwähnt Ilse Friis.

Es muss (…) für (…) Frauen nicht ganz einfach gewesen sein, sämtliche Entscheidungen über den Hof und Betrieb wieder ihren Männern zu überlassen, als die aus der Gefangenschaft oder aus dem Krieg zurückkehrten

Ilse Friis

Frauen leisteten in vielerlei Hinsicht Aufbauarbeit

„Es muss insbesondere für solche Frauen nicht ganz einfach gewesen sein, sämtliche Entscheidungen über den Hof und Betrieb wieder ihren Männern zu überlassen, als die aus der Gefangenschaft oder aus dem Krieg zurückkehrten“, fügt sie hinzu. Diesen Aspekt würde sie gerne noch näher beleuchten.

Die Frauen kümmerten sich in Abwesenheit der Männer nicht nur um Familie und Betrieb, sondern mussten auch nach der Rückkehr wichtige „Aufbauarbeit“ leisten. Heute ist es eine anerkannte Krankheit, wenn Menschen, die Kriege, Unfälle, Katastrophen und andere extreme Ereignisse überlebt haben (auch mit Verzögerung), psychische Reaktionen aufweisen.

„Damals gab es den Begriff der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, red. Anm.) zwar noch nicht, aber die Menschen werden dennoch traumatisiert von den Schützengräben, Lazaretten und Gefangenenlagern zurückgekehrt sein“, ist sich Ilse Friis sicher. Frauen und Kinder haben deshalb neben der rein körperlichen Hilfe auch psychologische Aufbauarbeit leisten müssen, ist mehr als nur eine Vermutung.

Beispiele hierfür hat sie nach ihren Vorträgen immer wieder erhalten.

Ilse Friis
Bei einer Veranstaltung im November 2022 auf dem Knivsberg berichtete Ilse Friis anlässlich des Volkstrauertags erstmals über mutige Frauen, die Familien zusammenhielten und Leben retteten – aber auch über überzeugte Nationalsozialistinnen, die Menschen ans Messer lieferten. Seitdem hat sie in ganz Nordschleswig über ihre „Entdeckungen“ erzählt. Foto: Karin Riggelsen

Willkür der Behörden

Dass die Frauen während der Inhaftierung ihrer Männer vielen Schikanen und Schwierigkeiten von behördlicher Seite ausgesetzt waren, ist ein weiterer Aspekt, den Ilse Friis gerne näher beleuchten würde. „Es scheint hier auch eine gewisse Willkür seitens der Behörden gegeben zu haben“, drückt sie es aus.

So wurden einige Lehrkräfte aus dem Schuldienst entlassen, ohne volle Pensionsansprüche. Ähnlich erging es Krankenpflegerinnen, die anschließend auch keine Anstellung in ihrem Beruf fanden.

Bei ihren Recherchen stießen die ehrenamtlichen Archivare auch auf viele positive Geschichten, die die Schwesternsolidarität in Nordschleswig aufzeigen. So gab es Frauen, die Mittagstische und Kinderbetreuung anboten, damit andere Frauen arbeiten konnten. Ganz zulässig war das nicht. Die Frauen wussten sich jedoch zu helfen. „Ich habe entsprechende Chiffreanzeigen im ,Nordschleswiger‘ gefunden“, erzählt Ilse Friis.

Es gibt noch so viel zu untersuchen.

Ilse Friis

Gespräche mit Zeitzeuginnen und -zeugen

Ihre Recherchen sind auch in der dänischen Fachwelt auf Interesse gestoßen. So schreibt Ilse Friis demnächst einen Beitrag für eine Anthologie des Historikers Mikkel Leth Jespersen mit dem Titel „Kvinder i Sønderjyllands historie“ für den nordschleswigschen Geschichtsverein „Historisk Samfund for Sønderjylland“ über Anna Martensen und den Wohlfahrtsdienst. Sie ist zudem vom Lokalhistorischen Verein von Apenrade gebeten worden, einen Aufsatz über die Frauen- und Mädchenschaft in der Fördestadt für deren nächstes Jahrbuch zu schreiben.

Doch noch wichtiger als das Schreiben von Beiträgen und das Halten von Vorträgen, so spannend das auch ist, ist ihr das Sammeln von weiteren Fakten zum Thema. Sie möchte noch mit möglichst vielen Zeitzeuginnen und -zeugen sprechen. Von ihnen kann Ilse Friis vielleicht noch Details zu einigen Ereignissen und Personen erfahren, die ihr fehlen. Zwei Gesprächstermine sind kürzlich geplatzt, weil die Personen verstarben. „Ich kann diese Interviews also nicht auf die lange Bank schieben“, ist Ilse Friis bewusst.

Dass sie sich in ihrem eigenen Rentnerinnendasein langweilen könnte, kann sie sich nicht vorstellen: „Es gibt noch so viel zu untersuchen.“

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