Deutsche Minderheit

Thea Jürgensen: Ein Bericht aus Armenien

Thea Jürgensen: Ein Bericht aus Armenien

Thea Jürgensen: Ein Bericht aus Armenien

Thea Jürgensen
Jerewan/Apenrade
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Thea Jürgensen verteilt mit ihrem Team Lebensmittel und andere Notwendigkeiten an Flüchtlinge aus Bergkarabach. Foto: Thea Jürgensen

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Die Apenraderin Thea Jürgensen ist nach ihrem Schulabschluss für ein freiwilliges soziales Jahr nach Armenien gezogen. In ihrem Bericht schildert die 20-Jährige Freiwilligenarbeiterin ihre Erfahrungen, Eindrücke und Erlebnisse.

Als ich 9 Jahre alt war und noch in Ghana in Westafrika gelebt habe, hatten wir ein Mädchen aus Berlin bei uns zu Besuch. Sie hat zu der Zeit ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) an einer Schule in Ghana gemacht. Als kleines Mädchen fand ich sie natürlich super cool. Sie war so mutig, wunderschön mit ihren wilden Locken und sie hat so viele Geschichten über ihre Erlebnisse als Freiwillige erzählt. Sie war oft bei uns.

Ich glaube, ich wusste schon damals, dass ich später auch in ein neues Land reisen möchte, um dort den Menschen zu helfen und einer neuen Kultur näherzukommen. Und das habe ich auch gemacht.

Seit April 2023 wohne ich in Armenien, einem Land, das vielen Menschen leider noch unbekannt ist. Es liegt im Kaukasus, umgeben von der Türkei, Georgien, Aserbaidschan und dem Iran. In den 9 Monaten, die ich schon hier verbracht habe, ist so viel passiert, positives sowie auch negatives.

Hier lebe ich definitiv ein anderes Leben als zuhause in Apenrade, in Nordschleswig. Ich will von meiner Zeit hier berichten, damit mehr Menschen Armenien kennenlernen und um zu inspirieren.

Durch das Europäische Solidaritätskorps habe ich mein Projekt gefunden und arbeite für ein Hilfswerk, welches Menschen in Not hilft. Die Zielgruppen sind arme Familien mit Kindern, Menschen mit Behinderungen, Seniorinnen und Senioren und leider auch sehr viele Flüchtlinge aus Bergkarabach.

Die Freiwilligen bereiten Lebensmitteltüten für Geflohene aus Bergkarabach vor. Foto: Thea Jürgensen

Ich wohne in der Hauptstadt Jerewan, eine Stadt, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Meine Arbeitsaufgaben bestehen aus dem Packen von Essenspaketen und anderen Hilfsgütern, in die Dörfer fahren, um die Pakete zu verteilen, Berichte für deutsche Sponsoren zu schreiben und ich gebe auch Englisch-Unterricht in einem Dorf außerhalb der Hauptstadt.

Es ist unfassbar interessant, und ich lerne durch das viele Reisen in die Dörfer Armenien und seine Menschen sehr gut kennen. Es ist toll, so nah am Volk zu sein. Aber manchmal ist es auch schwierig, vor allem emotional schwierig.

Ich habe 5 Jahre meiner Kindheit in Ghana verbracht, ich habe dort täglich gesehen, wie Menschen in Armut leben, wie Kinder aussehen, die unterernährt sind. Mit meinen Eltern bin ich immer viel gereist und habe sehr viel von der Welt gesehen, und irgendwie gewöhnt man sich dann fast schon an die Armut im Ausland.

Aber es ist anders, wenn man zu jemandem ins Haus, oder in einigen Fällen die Hütte, geht und sich dort mit ihnen unterhält. Wenn man den Menschen kennenlernt. Ich mache das durch meine Arbeit, wir besuchen die Menschen zuhause, wenn wir Hilfsgüter verteilen und hören uns ihre Geschichten und Probleme an. Oft sind es sehr kinderreiche Familien.

Zurzeit hat mein Hilfswerk ein Projekt in einem Dorf im Norden des Landes, wo wir täglich eine warme Mahlzeit an 100 Familien in diesem Dorf verteilen. Vor einer Woche bin ich auch dorthin gefahren, um einige Videos zu filmen und um mir das Projekt anzuschauen.

Im Sommer war ich schon für 2 Wochen dort, weil dort jedes Jahr ein Ferienlager abgehalten wird. Einige Menschen sind zu uns gekommen und haben das Essen geholt, und einige Familien haben wir auch daheim besucht.

Im Norden Armeniens hilft Jürgensen bei einem Sommercamp mit. Foto: Thea Jürgensen

Ein Erlebnis hat mich gerührt, und ich kann nicht aufhören, daran zu denken. In einer schäbigen Hütte auf einem Hügel haben wir eine Familie mit sieben Jungs besucht. Zwei von ihnen kannte ich schon aus dem Ferienlager. Normalerweise fallen mir die Hausbesuche nicht schwer, aber das hier war ein anderes Erlebnis für mich.

Überall waren Spinnweben, es war kalt und dreckig, in der Ecke stand ein kläglicher Weihnachtsbaum, und ich habe mich gefragt, ob dort zu Weihnachten überhaupt Geschenke liegen werden. Irgendwie fand ich diesen Weihnachtsbaum dort in der Ecke super ironisch.

Die Jungs haben mich ängstlich angeguckt, sie waren schmutzig im Gesicht und an den Händen, sie trugen viel zu wenig Kleidung für die kalte Zeit. Ich habe mit ihnen gespielt und sie haben sich mehr geöffnet. Sie haben mir ihren kleinsten Bruder gezeigt, ein kleines 4 Monate altes Baby. Eingepackt in einem Mantel der Brüder und mit schwarzem Schmutz in den Ohren.

In dieser Familie gibt es viele Probleme und der Mutter wird gedroht, dass die Kinder ihr weggenommen werden. Und dann würde jeder Bruder woanders hingeschickt werden. Mir bricht das Herz.

Die Freiwillige auf einer Wanderung mit ihrem Kollegen. Foto: Thea Jürgensen

In meiner Zeit hier habe ich viele Menschen besucht, die in Armut leben. Trotz ihres Schicksals sind die meisten freundlich und froh mit dem, was sie haben. Die Eltern kümmern sich um ihre Kinder, sind ihnen gegenüber liebevoll, die Kinder gehen zur Schule und in den meisten Fällen sind die Häuser sauber und aufgeräumt. Mir werden immer Kaffee, Früchte und Schokolade angeboten. Sie haben nicht viel, aber für ihre Gäste haben sie immer genug.

Die meisten Familien kennen nichts anderes als Armut und haben deshalb gelernt, wie sie damit umgehen. Deshalb ist es immer ein Schock, wenn man plötzlich bei einer Familie ist, wo die Kinder vernachlässigt werden und das Haus in sehr schlechtem Zustand ist.

Ich habe mich in Armenien verliebt. In die Gastfreundschaft, in die wunderschöne Natur – überall sind Berge zu sehen – , das leckere Essen und es ist ein Zuhause für mich geworden. Wenn ich auf der Straße verwirrt aussehe, kommt sofort jemand und hilft mir. Im Bus teilen sich die Menschen die Sitzplätze, sodass keiner stehen muss, sie nehmen die Kinder auf den Schoß, du wirst überall umarmt und geküsst und man merkt als Fremder sehr schnell, wie herzlich diese Kultur ist.

Thea Jürgensen liebt die Natur von Armenien – zum Beispiel auch, dass man den Berg Ararat überall in Jerewan sieht. Foto: Thea Jürgensen

Die armenische Gesellschaft ist noch sehr konservativ und natürlich werde ich hier als Frau anders behandelt als in Dänemark. Auf der Straße werde ich oft von Männern angestarrt und es gibt bestimmte Dinge, die ich hier nicht machen kann. Aber dieses Land hat so viel Gutes an sich und hat mein Leben auf positive Art und Weise verändert, dass ich davon absehen kann. Man sollte auch immer gucken, wie man von einer Kultur lernen kann, anstatt sie vorschnell zu verurteilen.

Ich bin schon seit 9 Monaten hier und habe so viel gelernt. Ich bin als Mensch gewachsen, meine Werte sind stärker geworden, ich weiß, was mir wirklich wichtig ist und wie meine Zukunft aussehen soll. Es ist allerdings auch hart, hier zu sein, weil es viele Probleme gibt.

Ich könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, wie es für mich war, im September hier zu sein, als Aserbaidschan die armenische Enklave Bergkarabach angriff. Aber man lernt, mit dem Negativen umzugehen und sich auf das Positive zu konzentrieren. Ich bin so stolz darauf, dass ich mich getraut habe, allein in ein fremdes Land zu ziehen, und hoffentlich traut sich das jetzt auch jemand anderes.

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