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Sommerhaus-Kultur: Architektin warnt vor tickender Zeitbombe

Sommerhaus-Kultur: Architektin warnt vor tickender Zeitbombe

Sommerhauskultur: Architektin warnt vor tickender Zeitbombe

Frank Jung/shz.de
Flensburg/Aalborg
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Dänische Sommerhäuser sind begehrte Miet- und Kaufobjekte. Foto: Utzon Center

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Für Schleswig-Holsteiner ist es eine der beliebtesten Urlaubsformen: sich in einem Sommerhaus bei den dänischen Nachbarn zu erholen. Aber warum hat sich gerade in Dänemark diese Art der Unterkunft so stark entfaltet.

Die Architektin Line Nørskov Eriksen hat die seit Jahrzehnten umfassendste Ausstellung über das dänische Sommerhaus-Phänomen zusammengestellt. Noch bis zum Jahresende ist die Ausstellung im Architekturmuseum Utzon-Center in Aalborg zu sehen.

Wozu überhaupt besitzen so viele Dänen ein Sommerhaus - wo man sich doch für einen Bruchteil der Kosten seine Ganzjahreswohnung umso komfortabler einrichten könnte?

Es geht um Symmetrie. Das Sommerhaus ist ein Gegenstück, eine Alternative zur Ganzjahreswohnung. In der normalen Wohnumgebung dominiert ein von der Arbeit geprägter Alltag, im Sommerhaus dominieren Freizeit und Nähe zur Natur. Das eine Phänomen hängt vom anderen ab.

Welche Funktion konkret erfüllt ein Sommerhaus?

Es ist ein Rahmen, in dem man das stille, kleine Leben pflegt. Mit der Möglichkeit, jederzeit barfuß übers Gras zu gehen oder ohne jeden Zeitdruck am Strand um die Ecke Steine zu sammeln. Die Wurzeln reichen tief in die europäische Kulturgeschichte; ein Startpunkt ist schwer zu finden. Sogar schon Philosophen in der Antike haben die Stadt als unrein und schurkenartig beschrieben. Schon damals haben sich Menschen Villen auf dem Land als eine Art Atemloch gebaut, als ihre Version vom Paradies. Aber halt nur die Allerreichsten; anders als heute war das Phänomen nicht demokratisiert.

Bis wann reicht die Sommerhaus-Kultur in Dänemark zurück?

Die ersten richtigen Sommerhäuser sehen wir zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zu der Zeit beginnen in Dänemark die Städte auch außerhalb von Kopenhagen deutlich zu wachsen. Im Takt damit werden sich die Menschen bewusster darüber, wie die Stadt sie beeinflusst. Das fördert die Suche nach Alternativen. Zugleich ist der Anfang des 20. Jahrhunderts eine Phase der wirtschaftlichen Hochkonjunktur, das Wochenende mit zwei freien Tagen etabliert sich. Gebaut werden gerade die ersten Sommerhäuser in geringer Entfernung zum Hauptwohnsitz, sodass die Anfahrt dorthin auch nur für Sonnabend und Sonntag lohnt.

Auch in anderen Ländern gibt es durchaus Sommerhäuser, aber nicht in dem Umfang wie in Dänemark. Wie kommt es, dass sich ausgerechnet in Ihrem Land die Idee so ausgebreitet hat?

In uns Dänen liegt eine tiefe Liebe zum stillen, kleinen Leben. Ich bin mit einem Engländer verheiratet, und er macht sich gern lustig über diese Beobachtung. Auch unser eigenes Haus ist ganz klein. Manchmal kann das unpraktisch sein, aber es bedeutet eben Intimität und Hygge für mich. Das ist das eine. Und dann war der vergleichsweise frühe Wohlfahrtsstaat mit seiner finanziellen Umverteilung und bezahlten Urlaubstagen ausschlaggebend dafür, dass sich Sommerhaus-Kultur ausbreiten konnte. Phasen mit besonders reger Bautätigkeit gingen mehrfach mit wirtschaftlichen Aufschwüngen einher, so auch in den 30er und den 60er Jahren.

Wieviel haben die Häuser, die in den letzten Jahrzehnten gebaut worden sind, noch mit der Ursprungs-Idee zu tun?

Seit den 80er Jahren sind die Sommerhäuser deutlich größer geworden und auch eintöniger. Mehr und mehr ähneln vielen Einfamilienhäusern in der Stadt. Der Komfort von dort ist mit umgezogen. Aber sowohl die Größe als auch die Konformität sind eine Bombe unter der Sommerhaus-Idee. Denn wenn wir uns dort mit Flachbildschirm und Fußbodenheizung und breiten Betten einrichten, sind sie kein Gegenentwurf zum Alltag mehr. Auch die Zuneigung der Deutschen zu dänischen Sommerhäusern und der Profit, der sich damit machen lässt, hat Einfluss gehabt auf die Sommerhausarchitektur in Dänemark. Zum Beispiel in Form riesengroßer, auch für Gruppen tauglicher Immobilien. Die ähneln schon eher Hotels als Sommerhäusern. Wir erinnern in unserer Ausstellung deshalb mit vielen Beispielen an vorbildliche Häuser aus früheren Jahrzehnten, zur Inspiration auch für heute.

Gelingt eine Wende?

Es ist Aufgabe der Architektur, stärker zeitgemäße Alternativen für Sommerhäuser aufzuzeigen. Es ist ja mit Blick auf Nachhaltigkeit ohnehin die Frage, ob wir uns noch zwei Häuser für ein- und dieselbe Familie erlauben können. Das verbraucht Fläche und Energie. Deshalb zeigen wir in unserer Ausstellung Beispiele für kreative einfachere Varianten von Sommerhäusern. Zum Beispiel eines, bei dem das Flur-Areal außerhalb des Hauses liegt. Dadurch wird das Haus kleiner; es füllt weniger in der Landschaft. Andererseits bedeutet das, dass man auf eine ganz andere Art mit den Jahreszeiten konfrontiert wird, wenn man nachts auf Toilette muss.

Das werden aber die meisten Leute nicht wollen.

Das weiß ich gar nicht. Dann muss man sich eben einen Extra-Pullover überziehen. Dafür bewahrt solch ein Ansatz die Essenz der Sommerhauskultur besser. Da geht es darum, eins mit der Natur zu sein und nicht darum, die Heizung aufzudrehen. Wir haben eine erstaunliche Erkenntnis zu Tage gefördert, als wir Sommerhaus-Bewohner zu der Wohnform befragt haben. Demnach ist das, was ein Sommerhaus können soll, unverändert gegenüber den Anfangszeiten der Sommerhäuser. Trotzdem hat die Architektur diese eigentlich gewünschte Art zu leben ein Stück weit verdrängt. Es gibt eine Disharmonie zwischen dem, was die Häuser können sollen und dem, was viele bieten. Wenn viele Häuser diese Erwartungen aber nicht einlösen, erfüllt Architektur ihre Aufgabe nicht. Und andere Beteiligte der Baubranche, etwa das Handwerk, auch nicht.

Warum sind dänische Sommerhäuser auch bei Touristen aus Deutschland so erfolgreich?

Vielleicht, weil sie damit ein leicht exotisches, kleines, dichtgepacktes Universum dänischer Lebensart betreten. Und ganz grundsätzlich haben Menschen anderer Nationalität ja auch ein Bedürfnis nach einem Gegenentwurf zum Alltag und damit auch zu normalen Ganzjahreshäusern. Außerdem liegen die Sommerhäuser ja in den landschaftlich privilegierten Gegenden unseres Landes. Das trägt sicher auch zum Interesse bei.

Einen Gegenentwurf zum Alltag kann man auch an jedem anderen Urlaubsziel der Welt verwirklichen, auch im Hotel.

Die dänischen Sommerhäuser sind aber weniger anonym als Hotelzimmer. Das Persönliche in Ihnen gefällt den Touristen sicher auch. Und intuitiv suchen viele Leute eben doch das Einfache, das sie mit Sommerhäusern in Dänemark verbinden.

Neugierig geworden? Detaillierte Informationen zur Sommerhaus-Ausstellung in Aalborg

Was fällt den Dänen an „den“ Deutschen Sommerhaus-Urlaubern auf? Nerven sie nicht auch mal?

Nein, sie sind gute Gäste. Sie sind neugierig und an den lokalen Gegebenheiten interessiert. Sie haben aber auch die Erwartung, dass die Dinge sprachlich auf Deutsch von statten gehen - während alle anderen Touristen sich mit Englisch leicht tun. Das kann manchmal etwas unpraktisch sein. Dennoch: Wir zum Beispiel haben unser Ausstellungsmaterial extra ins Deutsche übersetzt, weil wir wissen, dass es einen Unterschied für unser deutsches Publikum macht. Und wir haben die Texte extra ausgedruckt, weil wir wissen, dass die Deutschen die Papierform so schätzen. Für unser dänisches Publikum gibt es ausschließlich die digitale Variante.

Viele Deutsche tun sich schwer damit, dass sie als Mieter für teures Geld zwar willkommen sind, aber kein Sommerhaus in Dänemark kaufen dürfen. Warum eigentlich nicht, während sich die Dänen in anderen Ländern eifrig am Erwerb von Ferien-Immobilien erfreuen?

Das Kaufverbot für Ausländer aller Nationalitäten gilt seit dem EU-Beitritt Dänemarks 1973. Man möchte damit unter anderem vermeiden, dass viele Sommerhäuser den größten Teil des Jahres verwaist dastehen. Das würde das lokale Umfeld veröden lassen - wir Dänen hingegen sind ja oft in unseren Sommerhäusern, weil wir selten weit weg wohnen. Wir sind uns bewusst, dass unsere Sommerhauskultur stark ist und attraktiv gegenüber anderen Ländern. Man möchte eine Bremse setzen, um diese Kultur zu erhalten.

Wird sich das Kaufverbot in absehbarer Zeit ändern?

Das glaube ich nicht. Ich kann nicht erkennen, was die Ausgangslage verändern sollte. Wenn, könnte das allenfalls Gewinnstreben sein, ein Interesse, Verkäufe zu machen. Aber das könnte tendenziell weitere Bauaktivitäten fördern. Ob das noch Sinn macht, weiß ich nicht. Wir haben heute in Dänemark im Durchschnitt eine Gebäudefläche von 60 Quadratmetern pro Person; unter Nachhaltigkeitsaspekten sollten es nicht mehr als 15 sein. Wir bauen insgesamt viel zu viel. Die Gesetzgebung wird sich darüber wahrscheinlich noch bewusster werden. Unsere jetzige Regierung hat ja eine hohe Ambition, den CO2-Ausstoß massiv zu reduzieren.

 

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