5. Mai 1945

„Es ist wichtig, dass wir die Geschichte kennen“

„Es ist wichtig, dass wir die Geschichte kennen“

„Es ist wichtig, dass wir die Geschichte kennen“

Apenrade/Aabenraa
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Die ersten regulären britischen Truppen erreichen Tondern am 7. Mai 1945. Foto: Nationalmuseet

Am 5. Mai jährt sich die Befreiung Dänemarks von der deutschen Besatzung zum 75. Mal. In Nordschleswig wurde dieser Tag genauso wie in den anderen Landesteilen Dänemarks seinerzeit auf offener Straße gefeiert. "Der Nordschleswiger" hat unter anderem mit drei Experten gesprochen, die die Bedeutung dieses Tages aus heutiger Sicht bewerten.

Bereits am Vorabend, dem 4. Mai 1945 um 20.36 Uhr, erhielten die Bewohner Nordschleswigs zusammen mit der dänischen Bevölkerung im ganzen Land die Nachricht, dass die deutsche Besatzung Dänemarks endlich vorüber war. Die Neuigkeit wurde vom dänischsprachigen Nachrichtenservice der BBC verbreitet:

In diesem Augenblick wird mitgeteilt, dass Montgomery bekannt gab, dass sich die deutschen Truppen in Holland, Nordwestdeutschland und in Dänemark ergeben haben.

Nachrichtenservice der BBC

Die Kapitulation trat am nächsten Tag, dem 5. Mai, um 8 Uhr in Kraft. Dieser Tag wurde ein Tag der Freude.

Seitdem sind 75 Jahre vergangen. Aufgrund der Coronakrise finden in diesem Jahr jedoch keinerlei öffentliche Zusammenkünfte und Gedenkfeiern statt.

„Der Nordschleswiger“ hat Stimmen von einigen Experten sowie von Hinrich Jürgensen, dem Vorsitzenden des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN), eingeholt, um zu erfahren, wie sie diesen Tag in der historischen Perspektive bewerten.

Gedenken an alle, die dem Krieg zum Opfer gefallen sind

Aus der persönlichen Sicht von BDN-Vorsitzendem Hinrich Jürgensen war Deutschland zur damaligen Zeit so indoktriniert, dass sich ganz zuletzt noch Kinder freiwillig gemeldet haben. Aus heutiger Sicht könne man nur mit dem Kopf schütteln.

„Aber trotzdem glaube ich, dass die meisten heilfroh waren, als es vorbei war. Damals wie heute muss man sagen, dass es ein Segen war, dass dieses fürchterliche Regime beendet wurde und die Gräueltaten ein Ende hatten.“ In Kriegen gäbe es nur Verlierer, vor allem die Zivilbevölkerung leide stark, so Jürgensen. „Wir gedenken deshalb jedes Jahr allen, die dem Krieg zum Opfer gefallen sind.“

Der „letzte“ interessante Gedenktag der Geschichte

Für Steen Bo Frandsen, Historiker und Leiter des Centers für Grenzregionsforschung an der Süddänischen Universität in Sonderburg, ist der 5. Mai der „letzte“ interessante Gedenktag der Geschichte, auch da es keine weiteren gibt. „Der 5. Mai markierte den Abschluss eines dunklen Kapitels – sowohl national, regional als auch generell in der Nachbarschaft.“

Seiner Meinung nach ist jedoch das zeremonielle Erinnern an diesem Tag aus der Mode gekommen. Nationale Gedenktage beruhen nach Meinung von Frandsen sowohl auf nationalen Erfolgen als auch auf traumatischen Erlebnissen. Die Frage sei deshalb, wie viel Geschichte wir heute noch benötigen, und er gibt sogleich selbst die Antwort: „Es ist wichtig, dass wir die Geschichte kennen und wissen, was passiert ist; aber es ist auch wichtig, nicht zu politisieren.“

Mit dem 5. Mai als Erinnerungstag könne man nicht so viel anfangen außer, dass der Tag dazu diene, Erinnerungen zu bewahren. Er symbolisiere somit das, was ihm vorausgegangen sei, und dies stehe außer Frage: „Als Abschluss von etwas Schlimmen – und zugleich als Beginn von etwas Besserem, zumindest auf längere Sicht“, so der Historiker. Aus diesem Grunde sei der 5. Mai auch kein Konflikttag, der instrumentalisiert würde, sondern ein Gedenktag, dem sich alle anschließen können.

Zeitpunkt der Neufindung

Hauke Grella, Leiter des Deutschen Museums in Nordschleswig, teilt diese Ansicht. „Das Datum 5. Mai ist auch für die deutsche Minderheit ein Zeitpunkt der Neufindung. Damals stellte sich die Frage, wie es mit der Minderheit weitergehen sollte. Zunächst musste sie sich an den Gedanken gewöhnen, Teil des dänischen Staatengebildes und dessen Gesellschaft zu sein. Aus heutiger Sicht jedoch ist der 5. Mai ganz klar der Tag der Befreiung.“

Bereits kurze Zeit später habe sich die Minderheit loyal gegenüber dem dänischen Staat erklärt.

Ein längerer Blick zurück in der Geschichte offenbart, dass die Lage um 1920 noch eine ganz andere war. Zu dieser Zeit gab es klare Bestrebungen für eine erneute Grenzrevision, und in der Folgezeit erhofften sich viele eine Zeitenwende von den Nationalsozialisten. Das Gefühl, ungerecht an Dänemark abgegeben worden zu sein, herrschte vor, weshalb man sich Hoffnungen auf einen Anschluss an das Deutsche Reich machte.

Noch immer nicht ganz geklärter Punkt der dänischen Geschichte

Für Dänemark war hingegen klar, dass die Jahre der Besatzung nichts Positives hatten. Grella ist überzeugt, dass Dänemark immer noch der Besatzungszeit hadert. Diese Zeit sei ein „noch immer nicht ganz geklärter Punkt der dänischen Geschichte“, gibt der Museumsleiter zu bedenken. Und verweist auf den Widerspruch zwischen Widerstand und Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern. Da sei immer noch Arbeit zu leisten, wie man mit diesem Zwiespalt umgehen solle.

Die Widerstandskämpfer hatten sich nämlich mit ihrer Forderung durchgesetzt, den Tag der Besatzung Dänemarks am 9. April 1940 als das Datum festzulegen, ab dem während des Krieges begangene Verbrechen geahndet werden sollten. Dies bedeutete, dass Bürger, die den Anweisungen des Naziregimes in den Jahren der Besatzung Folge geleistet hatten, nun als Verbrecher betrachtet wurden, die unter anderem entsprechend dem neuen Zusatz zum Strafgesetzbuch mit der wiedereingeführten Todesstrafe bestraft werden konnten.

Keine rechte Vorstellung von dem, was im Zuge der Befreiung passieren würde

Man habe keine rechte Vorstellung von dem gehabt, was im Zuge der Befreiung passieren würde, beschreibt Frank Lubowitz, Leiter der historischen Forschungsstelle beim Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) die Situation. „Und so kamen dann die Männer der Freiheitsbewegung relativ überraschend in die Häuser, um in der Regel die Männer, bei denen irgendeine Verbindung zur nationalsozialistischen Bewegung bekannt war, abzuholen und in die örtlichen Gefängniszellen und später dann im Sonderburger Schloss und im jetzt zum Faarhus-Lager umbenannten Frøslev-Lager zu internieren.“

Im Rückblick mag die Rolle des Faarhus-Lagers für die deutsche Minderheit eine Bedeutung in der Klärung ihres Selbstverständnisses gespielt haben, jedoch sei dies nach Meinung von Frandsen aus heutiger Sicht von keinerlei Bedeutung mehr. „Das Argument des Fårhuslejrs ist weder konstruktiv noch nützlich“, gibt er zu bedenken. Und auch die dänische Minderheit hätte nichts davon, zu erzählen wie sie schikaniert worden sei. Schließlich habe sie die Geschichte ohnehin auf ihrer Seite. Und von deutscher Seite hätte man vor allem von den widerfahrenen Ungerechtigkeiten gesprochen anstelle von den von deutscher Seite begangenen Verbrechen.

Vermeintliche Ungerechtigkeiten werden bloß dazu benutzt, sich an ihnen aufzureiben, wenn man selber der Meinung sei, die Geschichte hätte einem Unrecht getan. Stattdessen benötigen wir jedoch den Blick auf die Möglichkeiten, die wir haben, um uns gemeinsam zu entwickeln.

Steen Bo Frandsen

Dänemark musste mit seinen Staatsbürgern selbst zurechtkommen

Eine andere Sorge, nämlich die Angst vor einer Ausweisung, verschwand 1945 schnell. Die vielen deutschen Flüchtlinge aus den Ostgebieten, die nach Nordschleswig kamen, mussten zunächst hierbleiben, da sich die Bevölkerung in Schleswig-Holstein aufgrund der Fluchtbewegungen verdoppelt hatte, was eine weitere Aufnahme von Flüchtlingen dort unmöglich machte.

„Die Situation war so desolat, dass die Alliierten keinen weiteren Zuzug aus Dänemark zugelassen hätten. Also musste Dänemark mit seinen dänischen Staatsbürgern – deutscher Gesinnung – selbst zurechtkommen, und dies geschah recht schnell, indem die Strafzusatzgesetze schon im Juni erlassen wurden und damit die individuelle Ahndung der nationalsozialistischen Verstrickung der Minderheit erfolgen konnte“, erläutert Lubowitz.

Langer Weg bis zu einem gewissen "Normalzustand"

Dennoch dauerte es nach Ende des Krieges Jahre, bis ein gewisser „Normalzustand“ wiederhergestellt war. Der Prozess, als deutsche Volksgruppe die eigene Verstrickung in die nationalsozialistischen Verbrechen anzuerkennen, sei ein langer Weg gewesen, der teilweise von der jüngeren Generation 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg angestoßen und fortgeführt wurde, gibt Lubowitz zu bedenken.

Eine wichtige Rolle habe dabei möglicherweise auch die Weizsäcker-Rede von 1985 gespielt. Lubowitz sieht in ihrem Einfluss einen Grund für den Umschwung in Nordschleswig, „nicht mehr von Kapitulation und Niederlage zu sprechen, sondern den Begriff der Befreiung vom Nationalsozialismus auch für sich anzuerkennen – 40 Jahre nach Kriegsende.“

Begrenztes Interesse an deutscher Minderheit

Für Frandsen stellt sich deshalb auch die Frage nach der Gutgläubigkeit der nationalen Minderheiten gegenüber nationalen Ideologien. „In Deutschland gab es kein besonderes Interesse an der Minderheit. Die deutsche Minderheit in Dänemark war mehr interessiert an Deutschland als Deutschland an der Minderheit“, gibt er zu bedenken. Die Minderheitenkultur könne es dabei schwer machen, seine nationale Ideologie zu relativieren, weshalb es auch ein großes Problem gewesen sei, dass die Minderheit nach dem Krieg die Realitäten in Schleswig zunächst nicht anerkennen wollte.

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