Geschichte

Neue Erkenntnisse über die Grenzziehung 1920

Neue Erkenntnisse über die Grenzziehung 1920

Neue Erkenntnisse über die Grenzziehung 1920

Apenrade/Aabenraa
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Das Autorenteam der „Sønderjyske Årbøger 2020“ bei der Präsentation: (v. l.) Drude Terkildsen Bill, Hans Schultz Hansen, Johannes Brix, Mads Mikkel Tørsleff und Klaus Tolstrup Petersen. Foto: Volker Heesch

Die Volksabstimmungen vor 100 Jahren sind Schwerpunktthema in der neuen Ausgabe 2020 der „Sønderjyske Årbøger“. Autorinnen und Autoren stellten ihre Beiträge für den regionalen Geschichtsverein „Historisk Samfund for Sønderjylland“ im Apenrader Folkehejm vor.

„Sieben von neun Beiträgen des neuen Jahrbuchs haben das Jubiläum 1920/2020 zum Thema“, erklärte am Mittwoch Mads Mikkel Tørsleff bei der Begrüßung eines kleinen Kreises aus Autoren, Vorstand und Pressevertretern bei der Vorstellung der Ausgabe 2020 der „Sønderjyske Årbøger“ des nordschleswigschen Geschichtsvereins „Historisk Samfund for Sønderjylland" im Apenrader Folkehjem. 

Historische Einblicke

Als Vertreter der Redaktion des Jahrbuchs stellte Tørsleff einige der Autorinnen und Autoren vor, die teilweise neue historische Einblicke in das Geschehen um das Jahr 1920 im heutigen deutsch-dänischen Grenzland liefern. Tørsleff selbst hat einen interessanten Beitrag über alte Obstsorten aus Nordschleswig beigesteuert, der angesichts der Geschichte traditioneller Apfel- und Birnensorten den Schluss zulässt, dass diese teilweise aus dem Zusammentreffen dänischer und deutscher Pflanzen gezüchtet worden sind. Der Apenrader Arzt Johannes Brix, der seit Jahren die Geschichte der medizinischen Versorgung in Nordschleswig erforscht, ist im neuen Jahrbuch mit einem Beitrag über die Medicinalinspektoren im Herzogtum Schleswig vertreten, deren Posten im Zeitraum 1853-1864 als Teil der dänischen Bemühungen geschaffen wurden, den Landesteil verwaltungsmäßig vom Herzogtum Schleswig abzutrennen.

Nationale Identität durchleuchtet

Unter dem Titel „På vej mod en national Selvforståelse“ hat die aus Tondern (Tønder) stammende Historikerin Drude Terkildsen Bill auf Grundlage ihrer Examensarbeit sich der 1920 bei den Volksabstimmungen für das Abstimmungsverhalten ausschlaggebenden nationalen Identität der Einwohner Nordschleswigs gewidmet. Die Historikerin sagte, dass das „Nationale oft als etwas Konstantes, die nationale Zugehörigkeit als etwas Ererbtes“ präsentiert werde. Drude Terkildsen Bill weist darauf hin, dass mit der dänischen Abstimmungsagitation vielfach erst ein Identifikationsrahmen für die Menschen geschaffen wurde. In Nordschleswig in der Abstimmungszone 1 wurden in der Agitation Gefühle mit Begriffen wie der „Wiedervereinigung“ und der angestrebten Rückkehr der „geraubten Tochter“ nach Dänemark angesprochen. In der Abstimmungszone 2 in Mittelschleswig dominierten sozioökonomische Argumente, wie die Aussicht auf bessere materielle Bedingungen bei einer Entscheidung zugunsten Dänemarks, dominierten, vielfach mit deutschsprachigen Flugblättern und Plakaten.

Wirtschaftliche Argumente

Vor allem auch deutsche Schleswiger und Einwohner, die nur wenige Kenntnisse über Dänemark besaßen, sollten durch die wirtschaftlichen Argumente für Dänemark gewonnen werden. Forschungsleiter Hans Schultz Hansen, Reichsarchiv Apenrade, stellte zu seinem Beitrag fest, dass mit den über 40 Jahre alten Werken von Troels Fink über die Abstimmungen und Grenzziehung 1920 bis heute die Vorgänge vor 100 Jahren weitgehend durchleuchtet worden sind.

Entscheidende Monate 1918

Dennoch gebe es noch „Neuigkeiten“, wie es 1918 zur Abgrenzung der Abstimmungszone 1 mit späterer „En-bloc“-Abstimmung und der daraus folgenden Grenzlinie gekommen ist, die seitdem Bestand hat. Hans Schultz Hansen berichtete, dass er für seinen Beitrag „da grænsen blev trukket“ erst vor einigen Jahren genauer ausgewertete Schriften von Anders Lebeck (1868-1926) und Notizen des Spitzenmanns der dänischen Bewegung in Nordschleswig, H. P. Hanssen (1868-1936), analysiert habe. Diese dokumentierten die Ausformung der dänischen Forderungen im Vorfeld der bei den Friedensverhandlungen in Versailles 1919 festgelegten Abstimmungszonen und -modalitäten während der entscheidenden Monate im Herbst 1918.

. „Die Apenrader Resolution und ihre Forderungen, nach der sich die dänische Regierung richtete, war kein hastig verfasster Text, sie war eingehend diskutiert worden“, so Schultz Hansen über die von Hanssen vertretenen Grenzziehungsforderungen, die, am 17. November 1918 am Apenrader Folkehjem gebilligt, darauf abzielten, nur solche Teile Schleswigs für Dänemark zu gewinnen, in denen es zu erwartende klare dänische Mehrheiten gab.

Interessantes Notgeld

Ein weiteres Stück Abstimmungsgeschichte um das Jahr 1920 liefert ein Beitrag von Klaus Tolstrup Petersen, Leiter von „Den Slesvigske Samling“ in Flensburg. Er geht auf die bis heute in Nord- und Südschleswig bei Sammlern beliebten Notgeldscheine ein. Er berichtet, dass bereits im Dezember 1916 die Sonderburger Bank einen vom örtlichen Museumsleiter Jens Raben gestalteten Notgeldschein veröffentlicht hat. Hintergrund waren der um sich greifende Mangel an Münzen und die Inflation in Deutschland. Um Fälschungen zu verhindern, wurden die Notgeldscheine nach und nach immer kunstvoller gestaltet.
 

Der Notgeldschein Knivsberg ist das Werk eines zwielichtigen Druckers. Foto: Volker Heesch

 

Die Notgeldscheine wurden nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und während der sich abzeichnenden neuen Grenzziehung zwischen Dänemark und Deutschland auch Teil der Agitation zugunsten der einen oder der anderen Seite. „Es gab auch neutrale Scheine“, so Tolstrup Petersen und verweist auch auf Notgeldscheine, die erst nach den Abstimmungen am 10. Februar und 14. März 1920 erschienen.

Notgeld-Fälschungen

„Es waren teilweise Fälschungen oder auch Erinnerungsscheine, die beispielsweise in Angeln an dortige deutsche Mehrheiten bei der Abstimmung erinnern“, so der Historiker, und er präsentierte einen Notgeldschein „Knivsberg“, den der zwielichtige Zeitungsherausgeber und Drucker Heinrich Appel in Süderbrarup wie viele andere Geldscheine fabriziert hat. Der Geldschein habe nie einen Wert besessen, so Tolstrup Petersen. Die neue Ausgabe der „Sønderjyske Årbøger“, die auch zahlreiche Buchbesprechungen und weitere Beiträge enthält,  ist im Buchhandel oder über „Historisk Samfund for Sønderjylland“ erhältlich. 

 

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