Deutschenkinder
„Oh nein – nicht noch ein Halbbruder!“
„Oh nein – nicht noch ein Halbbruder!“
„Oh nein – nicht noch ein Halbbruder!“
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Thorkild Meyer Jensen ist ein Deutschenkind, ein „Tyskerbarn“. Allein das Wort klingt wie ein Peitschenschlag. Es ist ein Stigma, das seine Kindheit und sein Leben wie ein stiller Fluch begleitet hat. Davon ist der heute 76-Jährige erst erlöst worden, als er im reifen Alter von 53 Jahren seinen deutschen Vater kennenlernte.
Thorkild Meyer Jensen hat es sich an der Haderslebener Förde gemütlich gemacht. Jeden Tag, bei Wind und Wetter, außer bei Sturzregen, zieht es ihn an den Hafen: „Ich genieße die Ruhe hier“, sagt er.
„Tyskerbarn“
Er ist eines dieser sogenannten „Deutschenkinder“, Tyskerbørn, wie sie in Dänemark – man könnte fast sagen – geschimpft werden. Es sind Kinder, die dänische Frauen während der dunklen Jahre der Besatzung Dänemarks durch Hitler-Deutschland mit deutschen Soldaten zeugten.
„Darüber reden wir nicht“
Seine Herkunft ist zugleich das Stigma seiner Kinderjahre: „Keiner wollte sie, diese Deutschenkinder“, erinnert sich der Rentner. Und keiner wollte darüber reden.
Kamen Gäste ins Haus, musste sich der kleine Thorkild verstecken. Sein Vater, ein deutscher Wehrmachtssoldat namens Friedrich Meyer, war Ingenieur und Testpilot auf dem damaligen Fliegerhorst Grove in Mitteljütland. Auf dem Fliegerhorst, dem heutigen Helikopter-Stützpunkt Karup, erblickte Meyer Jensen 1945 auch das Licht der Welt.
Die große Liebe
Der deutsche Wehrmachtsingenieur sei die große Liebe seiner Mutter Anna gewesen, erinnert sich Meyer Jensen. Eine Liebe, die sie nicht auf den Sohn übertrug: „Als meine Mutter starb, war dies für mich kein trauriger Tag“, stellt Thorkild Meyer Jensen fest.
Umso mehr Liebe brachten ihm die Großeltern entgegen, die damals ein großes landwirtschaftliches Anwesen in der Nähe des Fliegerhorstes bewirtschafteten: „Mein Großvater war ein angesehener, einflussreicher Mann. Die Schmach, als „Deutschenflittchen“ beschimpft und als solches behandelt zu werden, blieb meiner Mutter daher erspart.“
Anders als andere Kinder
Schon sehr früh ist sich der kleine Thorkild bewusst, dass er anders ist als andere Kinder: „Was soll ich sagen, wenn mich jemand fragt, wer mein Vater ist?“, hatte er seinen Großvater einmal auf einem Spaziergang gefragt: „Dann sagst du einfach, dass ich das bin. Dann herrscht Ruhe!“, entgegnete der Großvater.
So geschah es. Kam die Rede auf den Vater des Jungen, herrschte Funkstille. Anfangs habe ihm die Mutter erzählt, sein Vater sei tot, erinnert sich Thorkild Meyer Jensen.
Eine Lüge, wie er Jahre später herausfand.
Hausarzt Hansen half bei der Vatersuche
Sein langjähriger Hausarzt Ernst August Hansen habe ihn ermutigt, sich auf die Suche nach dem Vater zu machen. Hansen half ihm dabei: Er hatte einen Brief an das Rote Kreuz in München geschrieben. Auch dort hieß es zunächst, Friedrich Meyer sei verstorben.
„Doch das war ein Irrtum!“, erzählt sein Sohn. Auf Umwegen und ebenfalls über das Deutsche Rote Kreuz fand er schließlich den Schwiegersohn seines Vaters – und damit seine Halbschwester Gisela. Nur zu gut erinnert er sich an deren Reaktion: „Oh nein – nicht noch ein Halbbruder!“
Glück bei den Frauen
Ja, sein Vater habe bei Frauen nichts anbrennen lassen, stellt Thorkild Meyer Jensen fest. Er selbst übrigens auch nicht: „Ich bin zum vierten Mal verheiratet. Seit 25 Jahren“, betont er stolz: „Meine Frau Jytte hat mir das Leben gerettet. Sie hat mich verstanden.“
Als meine Mutter starb, war dies für mich kein trauriger Tag.
Thorkild Meyer Jensen
Bei anderen Menschen ist seine jahrelange Suche nach dem deutschen Vater auf wenig Verständnis gestoßen. Als er seinen Vater im Alter von 53 Jahren zum ersten Mal traf, in einem Pflegeheim in Delmenhorst, sei dies der größte Tag in seinem Leben gewesen: „Ich wusste endlich, wo ich herkomme, wer mein Vater ist. Endlich konnte ich zur Ruhe kommen.“
Der Vater aber hat den wiedergefundenen Sohn aus Dänemark nie wirklich kennengelernt: „Er hatte Alzheimer. Nur meine Halbschwester hat er noch erkannt.“
Das, was bleibt, ist der Name
Das war 1998. Friedrich Meyer ist inzwischen verstorben, im hohen Alter von 92 Jahren. Das Einzige, was dem Sohn vom Vater blieb, ist dessen Name: „Ich habe Meyer zu einem Teil meines Familiennamens gemacht.“
Seither hat Thorkild Meyer Jensen kaum Kontakt zu dem deutschen Teil seiner Familie in Delmenhorst: „Es ist besser so“, sagt er: „So kann ich alles in schönster Erinnerung behalten.“