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Lalou singt an gegen das Schweigen nach sexuellem Missbrauch

Lalou singt an gegen das Schweigen nach dem Missbrauch

Lalou singt an gegen das Schweigen nach dem Missbrauch

Hadersleben/Haderslev
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Steffie Kristensen, Lalou mit Künstlernamen, singt in ihren Songs davon, wie schwer es sein kann, Gefühle und Traumata in Worte zu fassen – und sie singt über die traumatische Erfahrung, den besten Freund durch Selbstmord zu verlieren. Ihre Lieder ermutigen dennoch dazu, sich dem Leben zuzuwenden. Foto: Ute Levisen

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Steffie Kristensen ist eine Musikantin, wie sie im Buche steht. Mehr noch: Sie hat eine Botschaft an Menschen mit Narben auf der Seele. Menschen, die wie sie in der Kindheit Opfer von sexuellem Missbrauch wurden und noch als Erwachsene darunter leiden. Mit ihren Liedern gibt die deutsch-dänische Singer-Songwriterin mit dem Künstlernamen Lalou Betroffenen eine Stimme.

Es ist Freitag. Für die Sängerin Steffie Kristensen ist es ein Tag wie viele.

Seit drei Jahren tritt die Sängerin mit dem Künstlernamen Lalou im ganzen Land mit ihren Erzähl-Konzerten auf. Darin gibt sie jenen Menschen eine Stimme, die wie sie lange, sehr lange über ihr Trauma geschwiegen haben.

Steffie Kristensen und ihr Mann Leo Larsen bereiten sich auf das Konzert im Haderslebener Gesundheitszentrum vor. Foto: Ute Levisen

Schuld und Scham

Lalou ist bereits im Kleinkindalter und später als Jugendliche sexuell missbraucht worden.
Schuldgefühle und Scham, das seien die alles beherrschenden Gefühle ihrer jungen Jahre gewesen, erinnert sich Steffie Kristensen.

Vor drei Jahren zog die heute 46-Jährige die Reißleine: „Es ist an der Zeit, dass wir den Mut aufbringen, uns zu öffnen – zu sagen, wer wir sind! Es gibt so viele, die aus Angst davor, abgestempelt zu werden, schweigen.“

Mit ihren Erzähl-Konzerten, „Fortællekoncerter“ wie es auf Dänisch heißt, gibt sie anderen Betroffenen eine Stimme und macht ihnen Mut, sich ihres seelischen Jochs zu entledigen.

 

Beim Soundcheck im Gesundheitszentrum. Steffie Kristensen wohnt heute mit ihrer Familie, zu der zwei Kinder im Alter von 17 und 19 Jahren gehören, in Odense. Foto: Ute Levisen

Narben auf der Seele

„Keep the Change“ – so lautet der Titel ihres aktuellen Albums. Auch in ihren Liedern bricht Lalou das Schweigen, das sie sich allzu viele Jahre selbst auferlegt hat.

„In meinen Songs offenbare ich offen und ehrlich mein Innerstes“, sagt die Singer-Songwriterin: „Ich singe davon, wie es sich anfühlt, gegen Erinnerungen an Traumata anzukämpfen.“

Seit ihrem 4. Lebensjahr spielt Lalou Klavier. Die Musik habe ihr geholfen, zu sich selbst zu finden, sagt sie. Foto: Ute Levisen

„Ich singe für das Kind in mir“

Selbst hat die gebürtige Schleswig-Holsteinerin lange gebraucht, sich zu offenbaren – ihre Narben auf der Seele zu entblößen.

Die Musik sei ein Weg zu diesem sehr persönlichen Befreiungsschlag gewesen, erzählt Lalou, die seit ihrem 4. Lebensjahr Klavier spielt – und die Musik später auch zu ihrem Broterwerb gemacht hat.

Die Musik und das Singen spielen auch heute noch, vor allem in ihren Erzähl-Konzerten, eine wichtige Rolle bei der Selbstheilung: „Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich für das Kind in mir singe.“
 

Berufliche Purzelbäume

Beruflich hat die Sängerin und Pianistin Steffie Kristensen viele Purzelbäume geschlagen, um zu dieser Erkenntnis zu kommen – und sich von eigenen Minderwertigkeitskomplexen zu befreien.

Sie hat in Flensburg Dänisch und Musik studiert, eine Logopädie-Ausbildung durchlaufen und sich zur psychiatrischen Krankenschwester ausbilden lassen.

Ständig ist sie in Bewegung, kommt locker auf eine 80-Stunden-Arbeitswoche.

 

Die gebürtige Schleswig-Holsteinerin begleitet an der Sprachenschule in Odense Geflüchtete. Foto: Ute Levisen

Immer auf Achse

Die Mutter zweier Kinder gibt seit vielen Jahren Konzerte im In- und Ausland und berät andere, vor allem Songwriter, darin, sich durch ihre Kunst auszudrücken.

„Dabei treffe ich viele Menschen, die Schwierigkeiten haben, an sich zu glauben. Ich kann mich nur zu gut in sie hineinversetzen.“

Überdies unterstützt Steffie Kristensen an der Sprachenschule in Odense Geflüchtete.

„Viele leiden an PTBS, hervorgerufen etwa durch Kriegstraumata“, erzählt sie.

PTBS – das ist eine Diagnose, die die junge Frau aus eigenem Erleben kennt. Sie wisse, wie es ist, aus Scham zu schweigen und sich schuldig zu fühlen, erzählt sie zwischen Aufbau und Soundcheck im Haderslebener Gesundheitshaus bei einem ihrer vielen Erzähl-Konzerte. Lange sei sie in Therapie gewesen.

Das alles liege seit 15 Jahren hinter ihr.
 

Vor drei Jahren hat Lalou mit ihren Erzähl-Konzerten begonnen und macht seither damit anderen Menschen Mut. Foto: Ute Levisen

Licht am Ende des Tunnels

Durch die Musik habe sie wieder Licht am Ende des Tunnels gesehen.

Es sind diese Lichtblicke, die sie seit nunmehr drei Jahren mit anderen bei ihren besonderen Erzähl-Konzerten teilt. Oft handelt es sich bei ihrem Publikum um Menschen, die noch heute unter den Spätfolgen sexuellen Missbrauchs leiden.

Ein Geben und Nehmen

„Ich gebe viel von mir in meinen Konzerten, aber ich bekomme auch so unendlich viel zurück“, erzählt Lalou.

Das Konzert in Hadersleben war keine Ausnahme: „Es war bewegend! Das Publikum hat – wie oft nach meinen Erzähl-Konzerten – seine Geschichten mit mir geteilt und meine eigene Lebensgeschichte mit so viel Herz angenommen.  Wir haben viel geweint in dem Publikum, das zwar klein gewesen ist, aber so viel auf dem Herzen hatte.“

„Kvisten“ und „Selvhjælp Haderslev“

Das Erzähl-Konzert in Hadersleben fand in Regie von „Kvisten“ und „Selvhjælp Haderslev“ statt. „Kvisten“ ist eine Non-Profit-Organisation, die sich auf die Unterstützung von Menschen spezialisiert hat, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexuellen Missbrauch erlebt haben. Die Organisation bietet kostenlose Therapie und Beratung an. Weitere Informationen sind auf der Webseite Kvistene.dk abrufbar.

„Selvhjælp Haderslev“ hilft Menschen in schwierigen Lebenssituationen – unter anderem bei PTBS. Darunter sind posttraumatische Belastungsstörungen zu verstehen. Sie treten nach traumatischen Erlebnissen auf, können lebensbedrohlich sein oder seelische Qualen verursachen. Die Organisation bietet Selbsthilfegruppen und individuelle Gespräche an. Weitere Informationen sind unter Selvhjælp Haderslev erhältlich.

Mette Albinsdatter ist Leiterin von „Selvhjælp Haderslev“ und damit die einzige Festangestellte der Organisation, die Menschen in schwierigen Lebenssituationen zur Seite steht. Sie hat das Konzert gemeinsam mit Anke Herlev, Koordinatorin von „Kvisten“ für die Region Süddänemark, organisiert.


„Keep the Change“ heißt das neue Album von Steffie Kristensen. Vor zwei Jahren hat sie „Secret Smiles“ herausgebracht. Alle Alben können bei den gängigen Musikdiensten gestreamt werden. Wer das CD-Format bevorzugt, kann es unter der Mailadresse lalou@lalou.dk erwerben.

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Leitartikel

Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
„Orbáns Schatten reicht bis zu uns ins Grenzland“