Amphibien
Klaus Schlie: Warum Nationalismus in die Dunkelheit führt
Klaus Schlie: Warum Nationalismus in die Dunkelheit führt
Klaus Schlie: Warum Nationalismus in die Dunkelheit führt
In den kommenden Wochen kommen Amphibien ins deutsch-dänische Grenzland. Das Theaterstück beschäftigt sich mit der Volksabstimmung 1920 – und warnt vor der Rückkehr zum scharfen Nationalismus.
Herr Schlie, Sie waren ja schon bei der Premiere des Theaterstückes. Ihr erstes Fazit: Das Stück ist sensationell. Warum?
Dafür gibt es mindestens drei Gründe: Der erste ist, dass ein wirklich anspruchsvoller und auch in seiner Ausdrucksweise schwieriger Roman (Anm. der Redaktion: Riss durchs Festland von Uwe Pörksen) in eine szenische Darstellung umgemünzt wurde. Der zweite ist die absolut großartige Leistung insbesondere der jungen Schauspieler, aber auch der Inszenierung insgesamt. Dazu gehört auch die Leistung der Europa Universität Flensburg (EUF), die das in vielfacher Weise unterstützt hat.
Der dritte ist der wirklich herausragende pädagogische Effekt, den dieses Stück hat. Zu diesem schwierigen Thema, das in Schleswig-Holstein den Menschen auch erst einmal ein bisschen näher gebracht werden muss. Dass hier nämlich vor 100 Jahren diese Volksabstimmungen stattgefunden haben. Aber dass es eben auch diese Zerissenheit in der Grenzregion gab: Bin ich dänisch gesinnt? Bin ich deutsch gesinnt? Das aufkommende Nationalgefühl, das man damals gar nicht kannte. All das in eine szenische Darstellung umgewandelt zu haben, die auch die Lebenslagen der jungen Menschen heute wieder gibt, das ist schon grandios.
Das Stichwort ist die Lebenslage der jungen Menschen. Warum ist es wichtig, die Geschichte der Volksabstimmung auch einmal aus dieser Perspektive zu erzählen?
Das ist deswegen so wichtig, weil junge Menschen dieses Gefühl heutzutage gar nicht haben können, das es damals gab. Man kannte den Nationalstaat ja gar nicht in dieser Form. Man kannte diesen Nationalgedanken nicht, der wurde da erst entwickelt. Man sprach Deutsch, man sprach Dänisch, man sprach Friesisch – man hatte keine Zugehörigkeit zu einer nationalen Identität. Gerade in einer Phase, in der wir uns befinden, in der wir weiter europäisch denken müssen und wollen, keimt jetzt wieder Nationalismus auf. Keimt Rechtspopulismus auf. Deswegen hat das Stück auch einen ganz aktuellen Bezug: Nämlich in die Zukunft zu blicken, den Nationalismus hinter uns zu lassen und den europäischen Staat als gemeinsame Zukunft zu sehen.
Das Stück warnt vor der Rückkehr zum „scharfen Nationalismus“. Inwiefern ist das für die heutige Zeit relevant?
Weil wir leider auch hierzulande mit Rechtspopulismus und dem sich dahinter verbergenden Nationalismus zu tun haben. Aber auch in anderen europäischen Staaten ist dieses Phänomen zu erkennen. Wir müssen gerade die jungen Menschen davon überzeugen, dass das nur in eine dunkle Zukunft führen kann. Deswegen finde ich es so wichtig, dass junge Menschen das dokumentieren, verinnerlichen und gerade aus diesem historischen Beispiel für die Zukunft lernen. Das stellt dieses Theaterstück sehr plastisch dar, indem es die innere Zerrissenheit in Familien und Freundschaften zeigt, und das nationalstaatliche Denken deutlich macht, das sogar vorhandene Strukturen, bis hin zu einer Ehe, in Frage stellt.
Einer der Kernsätze des Theaterstückes lautet: „Wir gingen von der einen Sprache in die andere, wie durch eine offene Tür“. Würden Sie sagen, dass wir diesen Zustand heute nach 100 Jahren erreicht haben?
Das Thema mit der Sprache ist schon nach wie vor eine Herausforderung. Das muss man ehrlicherweise sagen. Aber man kann es anhand folgender Beispiele deutlich machen: Wer Dänisch in Schleswig-Holstein sprechen möchte, der kann in dänische Einrichtungen, zum Beispiel Kindertagesstätten oder Schulen gehen. Und wer in Süddänemark Deutsch lernen will, kann seine Kinder in deutsche Einrichtungen geben. Insofern ist es schon so, dass die Transparenz und die Kommunikation hier in einmaliger Weise funktionieren, zwischen den Minderheiten, durch die Minderheiten, aber auch darüber hinweg.
Der Satz bezieht sich auch auf den Titel des Stückes: „Amphibien“. Sie leben an Land und in Wasser, sind flexibel und anpassbar. Sind das Eigenschaften, die hier in der Grenzregion für die Menschen besonders bedeutsam sind?
Absolut. Dass die Amphibien verschiedene Lebensräume haben, haben können, macht sie aus. Für uns geht es heutzutage darum, sagen zu können: Wir sind Europäer. Wir merken ja aufgrund der offenen Grenzen gar nicht mehr, ob wir noch in Deutschland oder bereits in den Niederlanden sind. Je weniger man das spürt, desto mehr kann man die Bevölkerung als europäisch bezeichnen – ohne, dass die Menschen die Fähigkeit aufgeben, ihren Nationalstaat auch leben zu dürfen. Gleichzeitig stellen die Amphibien auch gut die Zerrissenheit dar: Wohin gehöre ich eigentlich? Damit sind wir wieder bei dem historischen Hintergrund, den das Stück dem Publikum ganz hervorragend nahebringt.
Als Landtagspräsident formulieren Sie ja unter anderem die Spielregeln für das Miteinander der Fraktionen. Gibt es aus Ihrer Sicht auch Spielregeln für das Miteinander an der Grenze?
Die Spielregeln, die es an der Grenze gibt, ergeben sich aus unseren europäischen Verträgen. Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn auch zwischen Deutschland und Dänemark das Schengener Abkommen wieder völlig gelebt werden würde. Die Grenzkontrollsituation beurteile ich zwar nachrangig, aber nichtsdestotrotz ist da eine Grenze. Die spürt man bei anderen Staaten, die im Schengener Abkommen sind, nicht. Ich würde mir wünschen, dass diese Spielregel wieder gelten würde. Ansonsten sind europäische Spielregeln kompliziert, das merken wir jetzt gerade wieder, wenn die Regierungschefs zusammenkommen. Ich finde, es sollte dort das gelten, was im Parlament auch gilt: Wir müssen zu Mehrheitsentscheidungen kommen.
Werden Sie am 5. März auch in Flensburg sein?
Leider nicht, aber die Abschlussveranstaltung in Apenrade werde ich besuchen.