Gesellschaft
Demenz: Wenn der Partner langsam verschwindet
Demenz: Wenn der Partner langsam verschwindet
Demenz: Wenn der Partner langsam verschwindet
Rund 90.000 Menschen leiden in Dänemark an Demenz. Wie nimmt man Abschied von einem geliebten Menschen, dessen Bewusstsein Stück für Stück verschwindet? Zwei Ehefrauen berichten von ihrem Alltag.
Die Warnzeichen waren da. Doch wer will sich schon gerne eingestehen, dass mit dem eigenen Gehirn etwas nicht stimmt? Auf der Fahrradtour falsch abgebogen, links rum Richtung Deutschland anstatt Richtung Sonderburg. Die eigene Adresse, die plötzlich nicht mehr abrufbar war.
„Im Nachhinein betrachtet, ergab alles Sinn. Es waren klare Anzeichen einer Demenzerkrankung“, erzählt Wiwi Christensen. Bei ihrem Mann wurde 2015 die Diagnose gestellt. Zuvor dauerte es Jahre, die Krankheit festzustellen. Und noch länger, sie zu begreifen.
Heute ist ihr Ehemann 72 und mittlerweile so von der Krankheit gezeichnet, dass er im Pflegeheim lebt.
Die 72-jährige Wiwi Christensen ist Vorsitzende des lokalen Vereins „Netværkshuset“. Ein Verein für Menschen mit Demenz und für deren Angehörige und Freunde.
„Demenz ist noch immer ein Tabuthema“
Sie sagt: „Demenz ist noch immer ein Tabuthema. Keiner will sich eingestehen, dass etwas mit dem eigenen Hirn nicht stimmt. Es gibt so viele alte Vorurteile, dass man nicht mehr ganz bei Sinnen ist oder plötzlich komisch wird. Das sind aber alles Symptome einer Krankheit“, sagt Christensen.
In der Kommune Sonderburg leben aktuell 1.409 Personen mit einer Demenzdiagnose, die Anzahl der (noch) nicht diagnostizierten Erkrankungen ist hoch.
Wo endet Vergesslichkeit, wo beginnt die Demenz?
Wo endet Vergesslichkeit, wo beginnt die Demenz? „Jeder kennt das, wenn man mal den Schlüssel vergisst. Aber wenn plötzlich leere Stellen im Gehirn sind, wenn man sich einfach nicht mehr an die Adresse erinnern kann, dann ist etwas nicht, wie es sein sollte. Viele Betroffene verwechseln plötzlich links und rechts und fahren lange in die falsche Richtung, bevor sie es merken“, sagt Wiwi Christensen.
Auch Birgit Siiger ist mit einem Demenzkranken verheiratet. Ihr Ehemann ist 82. Seit 2004 leidet er an Demenz, die offizielle Diagnose wurde 2011 gestellt. Die 82-jährige Seniorin betreut ihren Mann zu Hause. Der Alltag mit ihm, er ist oft einsam.
Kurze Entlastung durch die Tagespflege
„Ich kann meinen Mann ja nicht einfach alleine zu Hause lassen. Am Wochenende abends weggehen oder sich zum Kaffeetrinken mit Freunden treffen, das ist unmöglich.“ Viermal in der Woche kann ihr Mann von 10 bis 15 Uhr in die Tagespflege. Das bedeutet fünf Stunden durchatmen für Birgit Siiger.
Demenz ist eine Krankheit, die langsam zerstört. Menschen. Beziehungen. Leben. Ein Platz im Pflegeheim kostet zwischen 10.000 und 13.000 Kronen monatlich, viele Betroffene müssen ihr Zuhause verkaufen, um sich die Pflege leisten zu können.
Auch menschlich fordert die Krankheit einen hohen Preis. Der Partner verändert sich, verliert sich selbst. Alles verschwindet. Die eigenen Erinnerungen, der Name des Partners, die Körperkontrolle. Socken anziehen wird zur Herausforderung, der Partner ein Fremder.
„Mein Mann erkennt mich und die Kinder nicht mehr. Im Grunde ist mein Mann nicht mehr da – aber er lebt noch. Witwen können um ihren Verlust trauern, ich muss mit dem langsamen Verlust leben.“
Im Grunde ist mein Mann nicht mehr da – aber er lebt noch. Witwen können um ihren Verlust trauern, ich muss mit dem langsamen Verlust leben.
Wiwi Christensen, Angehörige
Kann man Abschied nehmen, wenn man die Krankheit erkannt hat? „Ich konnte es nicht. Mein Mann wollte nicht wahrhaben, dass er an Demenz leidet. Nein, wir konnten uns nicht voneinander verabschieden als die Menschen, die wir mal füreinander waren.“
Manchmal fragt ihr Mann: „Können wir jetzt nach Hause fahren?“ Wenn Wiwi Christensen dann fragt, wohin nach Hause, nennt er sein Elternhaus, in dem er aufgewachsen ist.
Ruhestand genießen? Die Realität sieht anders aus
Gemeinsam alt werden, den Ruhestand genießen – für Birgit Siiger ein Traum, der der Realität nicht standgehalten hat. „Ich bin jetzt 82, und ich dachte immer, dass ich in diesem Alter mit meinen Büchern auf der Couch sitze, ins Theater gehe und dass wir unseren Lebensabend genießen. Aber wir haben uns gut vorbereitet. Wir waren reisen, haben das Leben genossen und unser Haus verkauft, so lange wir es gemeinsam konnten.“
Manchmal wird man einfach wütend und ungeduldig, besonders am Anfang ging es mir so. Da denkt man schon mal: Jetzt reiß sich doch mal zusammen! Aber das kann der Partner nicht.
Wiwi Christensen, Angehörige
Immer wieder dieselben Geschichten hören, im Zehnminutentakt dieselben Fragen beantworten: Die Krankheit erfordert von Angehörigen enorm viel Geduld und Mitgefühl.
„Manchmal wird man einfach wütend und ungeduldig, besonders am Anfang ging es mir so. Da denkt man schon mal: Jetzt reiß sich doch mal zusammen! Aber das kann der Partner nicht“, sagt Wiwi Christensen.
Auch für Freunde und Bekannte ist Demenz eine Herausforderung, das wissen beide Frauen aus eigener Erfahrung. „Wie verhält man sich, wenn jemand plötzlich die gesamte Keksschüssel leer isst? Oder wenn der eigene Ehemann komische Sachen sagt, die völlig ungefiltert sind?“, fragt Birgit Siiger.
„Mensch bist du dick“ oder „ja, warum habt ihr denn alle Brillen auf“ – Sätze wie diese sind keine Seltenheit, Anstand und Feingefühl sind oft schlichtweg nicht mehr vorhanden. Vergessen.
Das Einkaufen wird zur großen Herausforderung
Auch das Einkaufen wird zur großen Herausforderung, wenn der Partner beginnt, im Geschäft „zu arbeiten“ und Kisten und Regale neu verräumt.
„Ich gehe immer in die gleichen Geschäfte. Dort wissen die Mitarbeiter, dass mein Mann demenzkrank ist, und sie haben Verständnis für sein Verhalten. Wir wünschen uns auch, dass andere Geschäfte in der Kommune mehr über die Krankheit erfahren – denn wo sollen wir sonst einkaufen?“
Wiwi Christensen und Birgit Siiger wünschen sich, dass generell offen über Demenz gesprochen wird. Dass die Kommune Sonderburg neue Betreuungsangebote schafft, was die Tagespflege angeht. Das sei nicht zuletzt auch für die Gesellschaft die günstigere Variante, da die Erkrankten auf diese Weise länger im eigenen Zuhause betreut werden können.
Ein freier Abend alle zwei Woche – das wäre ein Traum
Ein Abend alle zwei Wochen, an denen man den Partner für ein paar Stunden in guten Händen weiß und man selbst etwas anderes tun kann als zu pflegen. „Das wäre ein Traum“, sagt Birgit Siiger.
Und sie hoffen auf mehr Mitglieder in ihrem Verein, 120 sind es derzeit. Der Vortrag des Vorsitzenden des dänischen Alzheimervereins am Dienstag im Multikulturhaus war ein weiterer Schritt, das Thema Demenz in die Öffentlichkeit zu transportieren.