Die Woche am Alsensund

„Keiner schiebt heutzutage sein Auto ins Moor“

Keiner schiebt heutzutage sein Auto ins Moor

Keiner schiebt heutzutage sein Auto ins Moor

Sonderburg/Sønderborg
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Journalistin Sara Eskildsen hat über diese Woche am Alsensund nachgedacht. Foto: Karin Riggelsen

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Was werden Ethnologen über uns denken, wenn sie in ein paar Hundert Jahren auf das Jahr 2022 zurückblicken? Über Lebenswirklichkeit im Wandel und Opfergaben im Moor oder per MobilePay schreibt Sara Eskildsen in ihrer neuen Kolumne.

In dieser Woche am Alsensund beschäftigte ich mich mit der Frage, wie die Menschen lange vor unserer Zeit hier in der Region gelebt haben. Damals, als es weder Strom noch Telefone gab, als Stammesväter über Stadtstrategien bestimmten und nicht kommunal einberufene Bürgertreffen.

Damals, als es nicht darum ging, die Häuser klimafreundlich zu renovieren, sondern darum, wie man die Hütte überhaupt erwärmt, um nicht vor Kälte umzukommen. Als Männer in Pelzgewändern Boote bauten, um Fische zu fangen, lange bevor es den Sonderburger Fischhändler Udo mit seinen gläsernen Auslagen an der Sundgade und Hygienebestimmungen der Lebensmittelbehörde gab.

Konkret tauchte ich ein in die Geschichte des Nydambootes, die derzeit von einer Handarbeitsgruppe in einem Wandteppich verstickt wird. In einem Moorgebiet am Satruper Wald einige Kilometer nördlich von Sonderburg am Alsensund war 340 nach Christus ein Kriegsboot ins Moor geschoben worden – als Opfergabe an die Götter.

Mittlerweile opfern wir per MobilePay

Dass man früher Ziegenböcke geschlachtet hat, um ein Opfer darzubringen, war mir bekannt. Aber ein Boot? Das war mir neu. Das wäre ungefähr so, als würde ich meinen Toyota Aygo ins Moor vor Satrup schieben, meine wertvollsten Ohrringe auf den Fahrersitz legen, mich dankend von dannen schleichen, um dann auf eine Gehaltserhöhung zu hoffen.

Gut, dass dieser Brauch aus der Mode gekommen ist. Viele Kleinwagen stünden in den Mooren Nordschleswigs, und in 2.000 Jahren würden Archäologen die Wrackteile ausgraben und sich fragen, was um aller Welt wir uns dabei gedacht haben.

Mittlerweile machen es sich die Menschen etwas leichter – zahlen am Opferstock der Kirchen per MobilePay oder schnipsen eine Münze in einen Brunnen, um sich Glück zu wünschen. Opfer gibt es heutzutage hauptsächlich noch auf den Schulhöfen dieser Welt. Mobbing hat das Morden als subtile Art des Tötens großflächig abgelöst.

 

Ein Motiv des Teppichs, das die kriegerische Geschichte vor Ort abbildet. Foto: Sara Eskildsen

Ein weiterer Termin im Ziegeleimuseum Cathrinesminde führte mir vor Augen, dass die Welt im Wandel ist. Dort, wo bis 1968 Ziegel gewonnen und gebrannt wurden, steht heute ein Museum, in dem Besucher über das Leben von einst informiert werden.

iPhone trifft Tongrube

Dass mir beim Fotografieren ausgerechnet an einer alten Tongrube mein iPhone in den Lehm fiel, war ein ausgesprochen interessantes Zusammentreffen zwischen damals und heute, wenn auch ein unglückliches. Als Opfergabe war es jedenfalls nicht gedacht!

Damals verdienten sich die Menschen im Ziegeleiwerk ihr Brot mit Steinen, heutzutage sind es digitale Daten und Technologie, die es uns ermöglichen, unserer Arbeit nachzugehen. Wir kriegen Geld ausgezahlt, das wir nie in der Hand halten werden.

340 nach Christus war es normal, Boote in ein Moor zu schieben. 1900 war es normal, mit der Schubkarre in die Lehmgrube zu trillen, um Ziegelsteine per Hand zu schöpfen. 2022 ist es normal, sich von fremden Menschen ein Wattestäbchen in die Nase schieben zu lassen.

Sara Eskildsen, Kolumnistin

„Der Nordschleswiger“ erscheint seit nunmehr einem Jahr als Tageszeitung ausschließlich digital. Ohne Computer, Onlineverbindung und digital übertragene Fotos würden wir nicht erscheinen. Die Druckmaschinen von damals hat der Verlag zwar nicht ins Moor geschoben, sie stehen aber immerhin in den heiligen Hallen des Apenrader Medienhauses.

 

Lebenswirklichkeit im Wandel. 340 nach Christus war es normal, Boote in ein Moor zu schieben. 1900 war es normal, mit der Schubkarre in die Lehmgrube zu trillen, um Ziegelsteine per Hand zu schöpfen. 2022 ist es normal, sich von fremden Menschen ein Wattestäbchen in die Nase schieben zu lassen. Noch vor  zwei Jahren hätten wir schwören können, dass man mit Nasebohren kein Geld verdienen kann. Das sehen die Mitarbeiter von Carelink und Co. mittlerweile anders.

Lebenswirklichkeit im Wandel

Auch wenn wir unsere heutige Lebenswirklichkeit im Grunde als unvergänglich und alternativlos halten – in ein paar Hundert Jahren werden das die Menschen in Nordschleswig anders sehen. Wir können ja versuchen, einen nicht allzu merkwürdigen Eindruck zu hinterlassen. Und uns bemühen, damit es in ein paar Hundert Jahren überhaupt noch eine Welt gibt.

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