Die Woche am Alsensund

„Rodeln im Kriegsgebiet“

Rodeln im Kriegsgebiet

Rodeln im Kriegsgebiet

Sonderburg/Sønderborg
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Warten auf einen Gesprächspartner für ein Interview im Freien – diese Situation kommt dieser Journalistin derzeit sehr bekannt vor … Foto: Karin Riggelsen

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In den Winterferien zog es Journalistin Sara Wasmund auf die Düppeler Schanzen, um im ehemaligen Kriegsgebiet zu rodeln. Was ihr dabei wie Schneeflocken von den Augen fiel, beschreibt sie in ihrer neuen Kolumne „Die Woche am Alsensund“.


Die Woche am Alsensund begann wie im Bilderbuch: Eiskalt und mit Faschingsferien. Wie jedes Jahr in Woche 7 hatte sich das gesamte Land in einen kollektiven Winterurlaub verabschiedet, um Fastelavnsboller zu essen. Auch ich loggte mich für einige Tage aus dem Redaktions-Backend aus und verzehrte eine Faschingswecke nach der anderen, bis mir die „Remonce“ aus den Ohren rauskam.

Statt Tagesordnungen des Stadtrates und Pressemitteilungen studierte ich Rezepte über „Finnisches Brot“ und „Schweine-Rollbraten“. Interviews waren rein privater Natur, und anstelle der morgendlichen Telefonkonferenz mit dem Polizeisprecher begab ich mich in den Stall, um das Ferienpony nach ungewöhnlichen Vorkommnissen zu befragen. Das einzige „Breaking“ am Morgen war die Eisschicht des Wassertroges.

Wo Schanzen draufsteht, müssen auch Schanzen drin sein

Winterferien mit Winterwetter im eigenen Land – diese für Sonderburg und Süddänemark äußerst ungewöhnliche Kombination musste ausgenutzt werden. Und so galt es, zusammen mit dem angereisten Ferienkind die besten Rodelberge der Gegend zu entdecken.

Meine erste Eingebung führte uns zu den Düppeler Schanzen vor den Toren Sonderburgs. Wo Schanzen draufsteht, müssen auch Schanzen drin sein, dachte ich ­– und richtig. Mit Blick auf die Sonderburger Bucht vor Wenningbund rutschte es sich gar ausgezeichnet die Koppel hinab, und die kleineren Befestigungsanlagen waren hervorragende Hügel für den „Po-Bob“. Jene kleine Scheibe aus Plastik, auf der man sich als Erwachsener die schlimmsten Verstauchungen am Steißbein zuziehen kann, das sei an dieser Stelle verraten.

Rodeln auf den Düppeler Schanzen – klingt nach einem Werbespot für Wintersport. Foto: Sara Wasmund

Rodeln auf den Düppeler Schanzen bedeutet Schlittenfahren auf Dänemarks Geschichte. Und auf der Geschichte der deutschen Minderheit in Nordschleswig. Hier haben sich einst Dänen und Preußen in einer entscheidenden Schlacht bis aufs Blut bekämpft, von hier aus flogen preußische Kanonen im Frühjahr 1864 weit hinein in die Sonderburger Innenstadt, zerstörten nicht nur das Rathaus der Stadt, sondern schlussendlich auch die Verteidigungslinie des ganzen Landes.

Süddänemark wurde dem Preußischen Reich einverleibt, Sonderburg zu einer deutschen Stadt. Mit Sonderburg statt Sønderborg auf dem Ortsschild.

Die Schleswigschen Kriege hatten es in meiner Schulzeit in Süddeutschland nicht auf den Stundenplan geschafft, und so tippte ich in Sachen Düppeler Schanzen zunächst auf einen Austragungsort für Wintersport.

Sara Wasmund, Freizeitrodlerin

Als ich damals zum ersten Mal nach Nordschleswig kam, wusste ich von all dem nichts. Die Schleswigschen Kriege hatten es in meiner Schulzeit in Süddeutschland nicht auf den Stundenplan geschafft, und so tippte ich in Sachen Düppeler Schanzen zunächst auf einen Austragungsort für Wintersport.

Mittlerweile weiß ich, dass es am 18. April auf Düppel nicht um einen Skisprungwettbewerb geht, sondern um eine Gedenkfeier für alle Gefallenen jenes Krieges.

Das Bild zeigt die traditionelle Gedenkfeier, die jedes Jahr am 18. April auf den Düppeler Schanzen stattfindet. Foto: Karin Riggelsen (Archivbild)

Das alles galt es, dem Ferienkind zu vermitteln, während wir ein ums andere Mal über jenes Gelände rodelten, auf dem im Sommer die Kühe grasen und im April 1864 die Soldaten den Berg hinaufstürmten. Knapp 157 Jahre später standen wir in den Rodelpausen auf den Hügeln und genossen Wintersonne und Aussicht. Mit Kaffee im Thermobecher und Finnischen Keksen aus einer Plastikschale mit Klickverschluss.

So vieles hat sich seit 1864 verändert. Damals konnte man Rezepte weder googeln noch im strombetriebenen Herd backen. Heute schießen wir mit Kanonen nur noch auf Spatzen, und Kriegsgebiete sehen wir höchstens in den Abendnachrichten, während wir unser Schwein rollen.

Das Jahr 2021 scheint unendlich weit weg von einst

Doch damals war der Krieg genau hier. Junge Männer, Väter und Brüder sind auf den Düppeler Schanzen in Stücke gerissen worden. Kriegsminister konnten Siege und Niederlagen weder twittern noch leugnen, und es vergingen Wochen, bis Angehörige per Brief vom Tod ihrer Liebsten informiert wurden.

Das Jahr 2021 scheint unendlich weit weg von einst. Und doch ist unsere Geschichte Zeit unseres Lebens an die Geschichte geknüpft. An die jener Menschen, die vor anderthalb Jahrhunderten lebten, liebten und starben.

Beim Rodeln im ehemaligen Kriegsgebiet und mit den Gedanken an all die geschichtlichen Weichen, die weit vor der Geburt meiner Eltern und Großeltern gestellt wurden, fiel es mir wie die Schneeflocken von den Augen: Wir haben nicht alles im Leben in der Hand. Aber ab und an mit Glück eine Schlitten-Schnur im Faustling.

 

Schlittenfahren an den Düppeler Schanzen Foto: Sara Wasmund
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Cornelius von Tiedemann
Cornelius von Tiedemann Stellv. Chefredakteur
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