Gedenkstein

Das späte Gedenken an elf junge Männer

Das späte Gedenken an elf junge Männer

Das späte Gedenken an elf junge Männer

Sonderburg/Sønderborg
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Der Gedenkstein für die hingerichteten deutschen Marinesoldaten steht zwischen dem Multikulturhaus und dem Hotel Alsik in Sonderburg an prominenter Stelle an der Hafenfront. Foto: Karin Riggelsen

Vor 75 Jahren wurden elf deutsche Marinesoldaten vor Sonderburg hingerichtet und im Alsensund versenkt. Nun wurde ein Gedenkstein errichtet.

Es war Frühling und der Zweite Weltkrieg war vorbei, Deutschland hatte am 4. Mai 1945 unter anderem in Dänemark kapituliert. Junge Männer in der ganzen Welt konnten wieder erleichtert aufatmen, denn nun war endlich Schluss mit dem Grauen des Krieges. In Dänemark wurde die Befreiung auf den Straßen gefeiert. Doch für elf junge deutsche Marinesoldaten gab es kein glückliches Ende. Sie wurden am 5. Mai vor Sonderburg wegen angeblicher Meuterei auf der See hingerichtet und ihre Leichen, mit Torpedoteilen erschwert, im Alsensund versenkt.

Nun gab es ein spätes Gedenken an die deutschen Marinesoldaten – alles junge Männer im Alter von 20 bis 24 Jahren. In Sonderburg wurde am Donnerstag an der Hafenfront ein Gedenkstein enthüllt und somit eine 26 Jahre alte Idee ausgehend von Jürgen Karwelat, Berliner Geschichtswerkstatt, und der verstorbenen Museumsinspektorin Inge Adriansen umgesetzt.

Bei der Umsetzung haben außerdem der Sonderburger Politiker und frühere Minister Frode Sørensen sowie der frühere Chefredakteur des „Nordschleswigers“, Siegfried Matlok aktiv mitgewirkt.

Hilde Ritz und Ida Gatz erinnern sich genau an ihren Bruder Gustav, der 1945 vor Sonderburg hingerichtet wurde. Sie waren damals zehn und zwölf Jahre alt. Foto: Karin Riggelsen

Initiator: „Es geschah genau hier“

„Manchmal braucht man einen langen Atem, um etwas durchzusetzen“, sagte ein zufriedener Jürgen Karwelat. Anfangs sei die Idee noch auf „emotionslose und kalte Ablehnung“ gestoßen.

„Die Dänen hätten nichts mit der Sache zu tun, hieß es. Aber es geschah genau hier“, sagt der Berliner Historiker und zeigt auf den Alsensund.

An der Enthüllung nahmen auch zwei Schwestern des damals hingerichteten Gustav Ritz teil. Die Familie würde sich über diesen Gedenkstein freuen, so Hilde und Ida.

Das steht auf der Gedenktafel in Sonderburg

Efter kapitulationen i Nordtyskland og Danmark 
blev om natten mellem den 5. og 6. mai 1945
11 tyske marinesoldater dømt for mytteri
ombord på minestrygeren M 612.
De blev henrettet, og deres lig sænket i Alssund.
Syv af de henrettede drev senere
i land her langs kysten og blev stedt til hvile
på kirkegården ved Christianskirken.
De var blandt de sidste meningsløse ofre i den krig,
der fra 1939 - 1945 hærgede verden.
I taknemmelighed over krigens afslutning
og i erindring om dens mange ofre
blev denne tavle sat.
1945 Sønderborg 2020

 

Nach der Kapitulation in Norddeutschland und Dänemark
wurden in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1945
elf deutsche Marinesoldaten an Bord des
Minensuchschiffes M 612 wegen Meuterei verurteilt.
Sie wurden hingerichtet und ihre Leichen im Alsensund versenkt.
Sieben der Hingerichteten trieben in den folgenden Wochen
an Land entlang der Küste und wurden auf dem
Friedhof der Christianskirche zur Ruhe gebettet.
Sie gehörten zu den letzten sinnlosen Opfern eines Krieges,
der von 1939 bis 1945 die Welt verwüstete.
In dankbarem Gedenken an das Ende des Krieges
und in Erinnerung an dessen viele Opfer
wurde diese Tafel errichtet.
1945 Sonderburg 2020

Die elf Soldaten

Von den elf hingerichteten Marinesoldaten wurden sieben Leichen aus dem Wasser geborgen. Sie liegen auf dem Sonderburger Ostfriedhof.

Maschinenmaat Heinrich Glasmacher (21. 02. 1924)
Matrosenobergefreiter Gustav Ritz (5. 8. 1922)
Bootsmannsmaat Reinhold Kolenda (20.11. 1924)
Matrose Wilhelm Bretzke (20.10. 1922)
Matrosenobergefreiter Rolf Peters (6. 2. 1924)
Maschinenmaat Bruno Rust  (1. 3. 1923)
Matrosenobergefreiter Gustav Kölle (14. 7. 1923)

Die vier anderen Erschossenen wurden nie gefunden:

Feuerwerkshauptgefreiter Helmut Nuckelt (19. 4. 1921)
Matrosenobergefreiter Gerhard Prenzler (1. 4. 1924)
Matrosenobergefreiter Anton Roth (22. 10. 1924)
Matrosenobergefreiter Heinz Wilkowski (25. 10. 1923)

Bürgermeister: „Eine sinnlose Tat“

Die Enthüllung des Gedenksteins hätte bereits im Mai am 75. Jahrestag des Geschehens stattfinden sollen, doch Corona machte den Veranstaltern zunächst einen Strich durch die Rechnung.

Sonderburgs Bürgermeister Erik Lauritzen (Soz.) sagte bei der Enthüllung, es seien viel zu viele Jahre vergangen. „Der Stein hätte schon vor vielen Jahren errichtet werden müssen“, so der Bürgermeister.

Der Akt von damals sei sinnlos gewesen, stellte Lauritzen fest. „An Land wurde der Frieden gefeiert. Auf dem Marineschiff wenige Meter von hier wurden junge Männer hingerichtet. Vielleicht hatten sie sich sogar schon auf das Kriegsende gefreut.“

Lauritzen bedankte sich bei Karwelat und posthum bei Adriansen dafür, „dass ihr für die Stummen, die nicht mehr selbst sprechen können, und ihre Hinterbliebenen, den Anstoß für diesen Gedenkstein gegeben habt.“

Honorarkonsul: „Den Toten ihre Würde zurückgeben“

Deutschland übernehme Verantwortung für die Verbrechen der NS-Zeit und das gelte in den vergangenen Jahren auch vermehrt für Verbrechen an der eigenen Bevölkerung, so wie es im Mai 1945 in Sonderburg geschehen sei, sagte der Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland, Carsten Friis.

Die elf Soldaten seien hingerichtet worden, weil sie nicht mehr an einem verbrecherischen Krieg teilnehmen wollten, und ihr Freiheitsdrang wurde ihnen zum Verhängnis. Die Hinrichtung sei eine Absurdität, die das Grauen des Krieges nur zu deutlich zeigte, meinte Friis.

„Am Unrecht gegen diese elf jungen Soldaten können wir nichts ändern, aber wir können dafür sorgen, dass ihre Namen nicht vergessen werden, und wir können den elf Toten ihre Menschenwürde zurückgeben, die ihnen am 4. Mai 1945 genommen wurde“, so Friis.

Honorarkonsul Carsten Friis hielt eine Rede bei der kleinen Gedenkfeier an der Sonderburger Hafenfront. Foto: Karin Riggelsen

Kleinschmidt: Aus der Vergangenheit lernen

Vizebürgermeister Stephan Kleinschmidt von der Schleswigschen Partei bezeichnete Gedenksteine als „einen wichtigen Teil der Erinnerungskultur in unserem Grenzland“.

„Gedenksteine gibt es, um das Gedenken wach zu halten. Aber Gedenksteine sollen auch dabei helfen, aus der Vergangenheit zu lernen. Kommende Generationen sollen daran erinnert werden, was geschehen ist und die Geschichte und ihre Verbrechen kennen. Es soll ein Wissensfundament sein, das ihnen hilft, ihre eigenen Meinungen zu bilden und Ansichten zu vertreten, die verhindern sollen, dass sich die Geschichte wiederholt“, sagte der SP-Politiker.

Die Kosten für den Gedenkstein haben sich die Deutsche Botschaft in Kopenhagen und die Kommune Sonderburg geteilt.

Die Geschichte – kurz

Die Kapitulation der deutschen Truppen in Nordeuropa trat am 5. Mai 1945 um 8 Uhr morgens in Kraft und galt für alle deutschen Truppenteile in Holland, Belgien, Nordwestdeutschland und Dänemark gegenüber den englischen Truppen, nicht aber gegenüber den sowjetischen Truppen.

Die Matrosen vom Minensuchboot M 612 hatten am Abend des 4. Mai von der Teilkapitulation der deutschen Truppen in Nordeuropa erfahren und widersetzten sich am Morgen des 5. Mai dem weiteren Kriegseinsatz. Der Kommandant Oberleutnant zur See Dietrich Kropp hatte trotz des Kriegsendes den Befehl gegeben, mit dem Schiff in Richtung Kurland zu fahren, wahrscheinlich, um dort deutsche Soldaten und Flüchtlinge zu evakuieren.

Die Mannschaft von M 612 setzte den Kommandanten und die Offiziere in der Kommandantenkammer  fest. Die Matrosen beschlossen, mit dem Schiff nach Kiel zu fahren. Als der Minensucher sich im Alsensund dem Sonderburger Hafen aus Richtung Norden näherte, versperrten deutsche Schnellboote in Höhe der Sonderburger Brücke die Fahrrinne und hinderten M 612 an der Durchfahrt.

Ein Offizierskommando der Schnellbootbegleitschiffe, die im Sonderburger Hafen lagen, enterte das Schiff. Es wurden 20 „Rädelsführer" ausgesucht, gegen die ab 18.10 Uhr auf dem M 612 ein Standgericht stattfand. 11 Matrosen wurden wegen „militärischen Aufruhrs“ zum Tode verurteilt, vier Personen erhielten drei Jahre Zuchthaus. Fünf Matrosen wurden freigesprochen.

Die Urteile wurden durch den Führer der Minenschiffe, Kapitän zur See Hugo Pahl, der im Sonderburger Schloss amtierte, am Abend des 5. Mai bestätigt. Dies war ungesetzlich, weil Todesurteile und deren Vollstreckung nur mit britischer Genehmigung durchgeführt werden durften.

Die 11 zum Tode Verurteilten wurden zwischen 23.25 Uhr und 1.00 Uhr jeweils zu zweit durch ein Erschießungskommando auf dem Bug des Minensuchbootes stehend hingerichtet. Die Leichen wurden, beschwert mit Torpedoteilen, ins Wasser geworfen.

Im Sommer und Herbst 1945 wurden nur sieben Leichen in der Møllebugten/Mühlenbucht, in unmittelbarer Nähe des Erschießungsorts, angeschwemmt. Die Toten sind auf dem Sonderburger Ostfriedhof bei der Christianskirche in einem Gräberfeld für deutsche Soldaten und Flüchtlinge beerdigt.

Den Erschießungen auf M 612 folgten nach Kriegsende keine Strafprozesse gegen die Verantwortlichen.

Eine längere Version der Ereignisse am 5. Mai 1945 gibt es hier:

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