Porträt

Künstler aus der Minderheit: „Ich bin grenzuntersuchend“

Künstler aus der Minderheit: „Ich bin grenzuntersuchend“

Künstler aus der Minderheit: „Ich bin grenzuntersuchend“

Tondern/Tønder
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Claus Carstensen vor einem seiner großen Gemälde Foto: Karin Riggelsen

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Der gebürtige Sonderburger Claus Carstensen gehörte zu „den Wilden“ in der Kopenhagener Kunstszene. Außerdem hat er 110 Bücher herausgegeben. Warum er nicht grenzenlos, aber durchaus grenzuntersuchend ist, verrät er im Gespräch.

Für den gebürtigen Sonderburger und seit Jahren in Kopenhagen lebenden Claus Carstensen gab es nie Grenzen. Das meinen zumindest jene, die ihn schon als jungen Mann in der Staatsschule in Sonderburg (Sønderborg) kannten. Doch der Ausdruck grenzenlos trifft nicht auf ihn zu, stellt er bei einem Gespräch im Tonderner Kunstmuseum klar. Dort hat Claus Carstensen als Kurator die neue Ausstellung „Res Publica“ zusammengestellt. 

„Ich bin nicht grenzenlos, sondern grenzuntersuchend. Alle Formen haben eine Abgrenzung. Nur so kann eine scharfe Angelegenheit überhaupt und korrekt definiert werden“, meint er. Soll er sich selbst mit drei Worten beschreiben, antwortet er: neugierig, interessiert und grenzbildend.

Carstensen lebt und arbeitet an der Grenze

Der an der dänischen Kunstakademie und am Institut für Literaturwissenschaft in Kopenhagen ausgebildete Künstler ist ein besonderes Kapitel der dänischen Kunstgeschichte. Und dabei hat ihn das Grenzland als solches schon immer begleitet.

Der 67-Jährige sagt dazu: „Es war eigentlich ein Zufall des Schicksals. Aber seit 31 Jahren wohnen wir an der Adresse Ved Grænsen 22 in Frederiksberg. In Kopenhagen und Köln lebte ich in der Mysundegade, Hedebygade, Dannebrogsgade, Dannevirkegade und Lübecker Straße.“ Die Tochter Zoe kam in Bensberg bei Köln zur Welt, wo die Familie von 1986 bis 1993 lebte. 

Claus Carstensen neben seiner Skulptur „Pegeren", der Zeiger. Das Selbstporträt in Bronze wurde 2008 vor der Staatsschule eingeweiht. Claus Carstensen war selbst einst Schüler an der „Sønderborg Statsskole“. Foto: Karin Riggelsen

Was vielleicht nicht alle wissen: Der 1957 in Sonderburg geborene Künstler Claus Carstensen kommt aus einer deutschgesinnten Familie in Sonderburg. Seine Eltern waren Tilli Friis und Hans Emil Carstensen.

Deutscher Kindergarten, dänische Schule

Claus Carstensen hat den deutschen Kindergarten in Sonderburg besucht. Dann beschloss seine Mutter, dass er in die dänische Schule überwechseln sollte. „Das war eine feine Balance“, so Claus Carstensen. 

Die Großmutter väterlicherseits wünschte sich ihren Enkel Claus lieber auf der deutschen Schule. Nach dem Krieg war das Ehepaar Carstensen Teil der deutschen Minderheit. Aber Claus Carstensen fühlte sich nicht deutsch. „Es passte gut mit einigen Jahren im deutschen Kindergarten mit Tante Erika. Dann kam ich zur Sønderskov-Skole und dann ins dänische Gymnasium“, so der Künstler.

Claus Carstensen in der Ausstellung „Res Publica" Foto: Karin Riggelsen

Du warst mal ein Teil der deutschen Minderheit, als Junge mit dem Papa im Ruderboot bei Germania unterwegs und im deutschen Kindergarten

„Mein Vater war beim Bund deutscher Nordschleswiger, und meine Mutter kam auch aus der Minderheit. Mit 15 Jahren war ich bei auch bei Germania zu Eisbein und Sauerkraut eingeladen. Wir kauften ja damals nur in den deutschen Geschäften ein. Die Zeiten waren anders, und die Dänen gingen nicht zum deutschen Schlachter.“ 

Wenn du in Sonderburg bist, ist es nicht ein wenig wie nach Hause kommen?

„Nein, alles ist anders. Als sie den Ringvej und die Alsensundbrücke bauten, war Schluss. Aber ich komme regelmäßig nach Sonderburg und treffe mich immer noch mit früheren Schulkameraden.“

Widerstandsinstinkt war angeboren

Für Claus Carstensen hat es schon immer einen Widerstandsinstinkt gegeben. Auch als kleiner Junge im deutschen Kindergarten, wo er trotz damaligen Verbots Sønderjysk sprach und dafür stundenlang mit einem Pflaster auf dem Mund in der Ecke stehen musste.

Claus Carstensen in den schwarzen Ausstellungsräumen von „Res Publica“ im Kunstmuseum Tondern Foto: Karin Riggelsen

Hast du immer gewusst, dass du Künstler werden willst?

„Ja. Als ich ganz klein war, wollte ich mal Detektiv werden, dann Pädagoge. Aber ich habe immer gewusst, dass ich zeichnen und schreiben will. Das lag bei mir in den Karten. Vater und Großvater meiner Mutter waren Malermeister in Mögeltondern. Mein Onkel war auch Maler. Beide malten in ihrer Freizeit, und mein Onkel Alfred Friis war mein Vorbild. Er kam auf die Akademie. In der Werkstatt in Mögeltondern liebte ich das Zeichnen. Mit drei Mitgliedern in der Kunst auf der mütterlichen Seite war die Kunst sehr nah.“

Seine Arbeiten hängen überall

Claus Carstensen ist als Professor für Kunst und als Schriftsteller weit in der Welt herumgekommen. Er hat in Deutschland und in Dänemark gelebt, war Gastlehrer in Reykjavik, auf dem Otis College of Art und Design in Los Angeles und an der nordischen Kunstschule in Kokkola. Aber Claus Carstensen war und ist immer noch ein Nordschleswiger, der fließend Sønderjysk, aber auch Reichsdänisch spricht. 

Claus Carstensens Werke verschönern unter anderem das Folketing, Farum Arena, Københavns Universitet und Panum Instituttet. Seine Arbeiten stehen oder hängen auch im ARoS, Statens Museum for Kunst, Kobberstiksamlingen und KUNSTEN.

Claus Carstensen Foto: Karin Riggelsen

„Res Publica – en udstilling om kunst og offentlighed“ 

Claus Carstensen hat als Kurator die neue Ausstellung „Res Publica – en udstilling om kunst og offentlighed“ (Res Publica – eine Ausstellung über Kunst und Öffentlichkeit) im Kunstmuseum Tondern zusammengestellt. Für diese wurden Werke unter anderem vom Deutschen Museum Nordschleswig, Malmö Konstmuseum, Museum Sønderjylland, Broager Lokalarkiv, Statens Kunstfond und Allerød Gymnasium ausgeliehen. Die Ausstellung läuft bis einschließlich 2. März 2025. Es werden 250 Werke von über 80 Künstlern und sehr viele Bücher gezeigt – unter anderem von Claus Carstensen. 

Was haben deine Eltern zu deinen Künstler-Plänen gesagt?

„Damals sagten sie eigentlich nicht so viel. Aber kurz bevor meine Mutter starb, musste sie etwas loswerden. ,Jetzt kann ich dir das ja sagen. Aber wir machten uns Sorgen, als du Künstler werden wolltest. Was sollte aus dir werden?’, meinte sie. Zu dem Zeitpunkt war ich Professor an der Akademie, hatte Familie, Haus und Auto. Nun glaubte sie daran, dass ich es schaffen würde. Warum habt ihr mir das denn nicht damals gesagt, fragte ich sie. Dann wärst du wütend geworden, sagte sie. Eigentlich waren sie besorgt, aber sie ließen sich nichts anmerken. Im Gegensatz zu anderen Familien hatten wir auch damals schon abstrakte Kunst im Kobra-Stil an den Wänden.“ 

Claus Carstensen hatte aber nicht nur die Kunst. Er liebte auch Bücher.

Was bedeutet es für dich, dass du Nordschleswiger bist und Sønderjysk sprichst?

„Ich bin hier geboren, und ich habe sieben Jahre in Deutschland gelebt. Ich habe meine Ute in Griechenland im Zug kennengelernt. Wir haben die ersten Jahre immer Deutsch gesprochen. Aber ich denke auf Sønderjysk. Das muss doch bewahrt werden. Es ist eine Art Erbuntertänigkeit einer Sprache. Ich spreche Sønderjysk wie in den Siebzigern. Es ist keine Mission, aber ein Teil meiner Identität.“

Mit der Alsensund-Brücke im Hintergrund Foto: Karin Riggelsen

Seit den 80er-Jahren gehört der Sonderburger als einer der sogenannten jungen Wilden zu den bedeutungsvollen und einflussreichen Personen der Szene. Mit Gemälden, Skulpturen, Installationskunst, Videos, Musik, aber auch mit Essays und Gedichten hat er immer wieder die Grenzen der künstlerischen Bühne gesprengt und neu definiert. 

Ob mit Schaumgummi, Öl und Leinwand oder destruktiven und konstruktiven Aktionen: Claus Carstensen hat immer seine eigenen Ideen in Kunst verwandelt.

Alle Formen haben eine Abgrenzung. Nur so kann eine scharfe Angelegenheit überhaupt und korrekt definiert werden.

Claus Carstensen

Mit einstigen Vorbildern wie Emil Nolde (1867-1956), Franciska Clausen (1899-1986) und K. R. H. Sonderborg (1923-2008) erhielt Claus Carstensen im Gymnasium den Lehrer Ole Prip Hansen, der sein guter Freund werden sollte. „Er hat mir verschiedene Künstler präsentiert, die ich noch nicht kannte. Er arrangierte unter anderem einen Besuch bei Harald W. Lauesen in Bodum. Das war mein erster Atelier-Besuch – ein großes Erlebnis. Lauesen konnte sehen, dass ich sehr interessiert war.“

 

Claus Carstensen hat in seinen jungen Jahren mit seinem Vater bei Germania gerudert. Foto: Karin Riggelsen

Wie war es mit dem Schreiben?

„Meine erste Gedichtsammlung hat mein Vater für mich gekauft. Er gab mir 1971 auch das Buch ,Dansk Modernisme’. Viele meiner Freunde waren damals Pfadfinder oder spielten Fußball. Ich las Gedichte und malte. Es war vielleicht ein wenig einsam. Aber das war für mich kein Problem. Mit 15 und 16 Jahren habe ich Collagen gemacht. Ich war mit einem Freund auf Kanutour von Tørring bis Silkeborg. Im Museum Silkeborg haben wir uns eine riesige Ausstellung von Asger Jorn angeschaut. Das machte einen enormen Eindruck auf mich. Im Sommer 1973 kam ich in die 1G. Bis dahin hatte ich experimentiert. Ab da wurde ich viel zielbewusster. Ich habe alle Bücher über Asger Jorn gelesen, und als Mensch war er ganz anders als seine Kunst. Sein politisches Bewusstsein hat mich stark beeinflusst. Er hat die gesellschaftskritische Bewegung Situationist International mitgeprägt. Das war ein enormer Ansporn.“

Was liebst du am meisten – Kunst oder Bücher?

„Beides. Aber das ist ja in Dänemark ein Problem. Ich habe schon immer in einem ansteckenden Umfeld gearbeitet. Aber hier darf man die Dinge nicht vermischen. Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden. Ich habe keine Angst, etwas Neues auszuprobieren und male viele verschiedene Bilder. Kurt Rudolf Hoffmann Sonderburg hatte ein fantastisches Zitat: Ich bin ein Maler im Provisorium. Ich habe kein Atelier. Ich fühle mich wie ein Krimineller, der in den Keller geht, um die Ratte zu töten. So ist das auch bei mir: Ich bleibe bei, bis ich fertig bin. Ist die ,Ratte’ dann tot, kann ich wieder heimkommen. Es vergeht eine lange Zeit, wo ich nicht im Atelier bin, sondern schreibe oder bei Ausstellungen bin. Das hat was mit meiner Rastlosigkeit zu tun. Bei mir muss immer etwas passieren.“

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