Landtagswahl in SH 2022

Demokratieforscher Michael Koß: Jamaika-Aus war richtig

Demokratieforscher Michael Koß: Jamaika-Aus war richtig

Demokratieforscher Michael Koß: Jamaika-Aus war richtig

SHZ
Kiel / Lüneburg
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Forscht und lehrt über Vergleichende Politikwissenschaft, Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland und Demokratie: Professor Dr. Michael Koß. Foto: Hans Panichen/shz.de

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Der Lüneburger Politikwissenschaftler Professor Dr. Michael Koß (45) begrüßt aus wissenschaftlicher Sicht das Aus für die Überschuss-Koalition in Schleswig-Holstein.

Herr Professor Koß, in Schleswig-Holstein wird es nun keine Regierung aus drei Parteien geben, für die rechnerisch nur zwei gebraucht werden. Ist das aus demokratietheoretischer Sicht die richtige Entscheidung?

Auf jeden Fall. Solche Überschuss-Koalitionen sind im besten Fall inhaltlich unnötig, im schlimmsten Fall sind sie demokratie-theoretisch problematisch.

Wie meinen Sie das?

Na ja, da schließen sich Partner zusammen, die zum Teil große inhaltliche Differenzen haben. Und die große Gefahr ist dann immer, dass der große Koalitionspartner die beiden kleinen gegeneinander ausspielt, um am Ende vor allem die eigenen Interessen durchzusetzen. Das ist im Sinne der Demokratie wenig sinnvoll, denn es braucht eine konstruktiv-kritische Opposition – und die sollte so stark wie möglich sein.

Aber eine Jamaika-Koalition wäre doch nicht undemokratisch?

Um Gottes Willen, nein. Wenn sich CDU, Grüne und FDP zusammengeschlossen hätten, wäre das natürlich okay gewesen. Dann könnte man da einen Haken dran machen und sagen: „Schleswig-Holstein? Läuft.“ Aus politikwissenschaftlicher Sicht wäre das hinnehmbar, aber eben nicht wünschenswert. Im übrigen auch nicht mit Blick auf die Bundespolitik.

Inwiefern?

Nehmen Sie doch nur die Situation im Bundesrat. Bei einer Drei-Parteien-Regierung müsste sich Schleswig-Holstein doch fast immer enthalten, weil jeder Koalitionspartner ein Veto hätte. Schleswig-Holstein wäre also bundespolitisch weiter abgekoppelt als es sein müsste – in einer Art freiwilliger Selbstverzwergung.

Was finden Sie denn so problematisch an breiten Mehrheiten?

Gar nichts. Ich finde es nur problematisch, wenn es sich um Mehrheiten handelt, die in Wahrheit gar keine sind. Wenn sich Parteien künstlich zusammenschließen, nur um an der Macht zu bleiben, obwohl sie inhaltlich mehr trennt – dann sollte zumindest eine davon in die Opposition gehen. Und das wird ja offenbar in Schleswig-Holstein auch passieren. Das ist für die alltägliche Politik auch praktikabler.

Warum?

Es ist ein grassierender Irrglaube, dass Regierungen mit großen Mehrheiten besonders stabil seien. Je kleiner die Mehrheit, desto besser. Denn dann müssen sich die Partner verbindlich absprechen. Der kleine Koalitionspartner wirkt dabei oft als Korrektiv für den Größeren…

...das könnte jetzt in Schleswig-Holstein schwierig werden: Wenn es zu einer schwarz-grünen Koalition kommen sollte, hätte die auch eine Zweidrittelmehrheit…

...was nicht ganz unproblematisch wäre. Denn dann glauben manche Abgeordnete, dass es leichter wird durchzuregieren. Große Mehrheiten haben am Ende selten Vorteile für die Parteien gehabt: Das hat sich etwa nach 2003 in Bayern gezeigt, als Ministerpräsident Edmund Stoiber dort eine Zweidrittel-Mehrheit im Landtag hatte. Daran hat die CSU nie wieder anknüpfen können. Schon mancher, der am Anfang vor Kraft kaum laufen konnte, ist als Bettvorleger geendet. Und das gilt besonders für Überschuss-Koalitionen. Deswegen gibt es sie ja so selten.

Auch international?

Ja. Auch da waren das Ausnahmen. Meist ging es darum, mit breiten Mehrheiten, nationale Notlagen zu überbrücken – und es waren Bündnisse auf Zeit. Und es gibt natürlich in der Schweiz eine lange Tradition von Allparteienregierungen. Nur für unsere Tradition von parlamentarischer Demokratie ist der Wettstreit zwischen einer Regierung und einer möglichst starken Opposition zentral.

Jetzt zeigen die Ergebnisse der beiden jüngsten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, dass die Wähler offenbar Zwei-Parteien-Regierungen wollen, die dann auch breite Mehrheiten haben – ist das der neue Trend?

Gute Fragen zeichnen sich dadurch aus, dass man sie meist schwer beantworten kann. Wenn man etwas weiter in der Geschichte zurückgeht, kann man eher einen anderen Trend erkennen: Es wird offenbar immer schwerer, Landesväter oder -mütter abzuwählen, wenn sie nicht wie im Saarland eklatante Fehler machen. Das war in Nordrhein-Westfalen so und auch in Schleswig-Holstein – frei nach dem Matthäus-Effekt: „Wer hat, dem wird gegeben.“

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