Corona in Neumünster

Dr. Alexandra Barth: Wir werden uns alle mit Omikron infizieren

Dr. Alexandra Barth: Wir werden uns alle mit Omikron infizieren

Dr. Alexandra Barth: Werden uns alle mit Omikron infizieren

SHZ
Neumünster
Zuletzt aktualisiert um:
Dr. Alexandra Barth hofft, dass sich noch mehr Menschen impfen lassen, weil so in Verbindung mit der Omikron-Variante die Pandemie bewältigt werden könnte. Foto: Hannes Harding/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Das Coronajahr 2021 lief anders als es sich die Leiterin des Gesundheitsamtes gewünscht hätte. Deshalb ruft sie erneut zur Impfung auf. Nur so könne die Pandemie beendet werden. Dabei könne Omikron sogar behilflich sein.

Frau Dr. Barth, 2021 stand ganz im Zeichen von Corona. Was hat das mit Ihnen und Ihren Mitarbeitern gemacht?

Es hat uns alle vor eine Situation gestellt, mit der wir nicht gerechnet haben und auf die wir immer wieder flexibel reagieren mussten. Hier ist ein unbeschreiblicher Einsatzwille zu erkennen. Dies wird deutlich, wenn man sieht, wie an Feiertagen und Wochenenden durchgearbeitet wird. Niemand hat in seinem Arbeitsvertrag stehen, dass er dazu verpflichtet ist. Das ist alles freiwillig, auch über Weihnachten und Silvester. Es herrscht der große Wille, dafür zu sorgen, dass durch die Pandemie möglichst wenige Menschen zu Schaden kommen.

Tendenziell sinken die Inzidenzzahlen in Neumünster, sie sind aber deutlich höher als vor zwölf Monaten. Damals half die Bundeswehr, heute nicht mehr. Wie schaffen Sie die Arbeit trotzdem?

Einerseits haben wir andere Hilfskräfte einstellen können - gefördert durch Landes-, Bundes- und selbst eingesparte Mittel. Andererseits haben wir Arbeitsabläufe umgestaltet. Außerdem haben wir Aufgaben eingespart, beispielsweise das regelmäßige Anrufen von Kontaktpersonen. Das war in der ersten Welle besonders wichtig, schlichtweg um Menschenleben zu retten. Jetzt hatten alle Menschen mehr als ausreichend Gelegenheit, sich impfen und boostern zu lassen, sodass wir dieses hohe Maß an Genauigkeit bei der Eindämmung nicht mehr benötigen.

Außerdem haben wir umgestellt auf eine digitale Ermittlung. Das heißt: Alle positiven Fälle werden von uns jetzt per SMS kontaktiert und gebeten, sich auf der Homepage der Stadt Neumünster einzuloggen und ihre Angaben einzutippen. Das spart Zeit. Natürlich rufen wir die Menschen auch an, beantworten Fragen und bitten sie, ihre Kontakte zu informieren. Auch die sollen sich dann digital registrieren. So können wir hoffentlich auch die kommende Omikron-Welle bewältigen. Wichtig ist: Die Leute brauchen keine Angst zu haben, die Links in unserer SMS, die zur Homepage der Stadt Neumünster führen, zu öffnen!

Worin unterscheidet sich die Situation zu Beginn des Jahres 2022 von Anfang 2021 im Wesentlichen?

Der Riesenunterschied ist, dass wir funktionierende Impfstoffe haben. Auch wenn wir schon im Januar mit dem Impfen begonnen hatten, war das so nicht sicher absehbar. Natürlich gibt es keinen 100-prozentigen Schutz vor Infektionen, aber einen hohen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen. Das ist ein Segen. Deshalb sind die hohen Fallzahlen nicht so gefährlich, eine deutlich höhere Inzidenz gesellschaftlich tolerierbar und das Gesundheitssystem zumindest in Schleswig-Holstein nicht überlastet.

Seit Pandemiebeginn gab es in Neumünster 31 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Wie ordnen Sie diese Zahl vor dem Hintergrund des Jahresverlaufes 2021 ein?

Jeder Todesfall, der vermeidbar gewesen wäre, ist einer zu viel. Es sind ja nicht nur sehr alte Menschen und mit Vorerkrankung gestorben, sondern auch in Neumünster jüngere Menschen. Nichtsdestotrotz haben wir in Schleswig-Holstein vergleichsweise sehr niedrige Todesraten. Wir haben sehr gut mit niedergelassenen Ärzten, dem Krankenhaus, der kassenärztlichen Vereinigung und vielen anderen zusammengearbeitet und vieles zum Schutze der Menschen erreichen können. Dazu beigetragen hat auch, dass wir sehr intensiv daran gearbeitet haben, das Virus aus den sensiblen Bereichen wie Pflegeheimen herauszuhalten. Das ist uns zum Glück auch gelungen, leider waren dazu auch drastische Maßnahmen wie Besuchsverbote notwendig. Aber so hatten wir zum Glück nur einen kleineren Ausbruch. Jetzt haben wir die Impfungen, und deshalb muss in den Heimen niemand allein zu Weihnachten sein. Dort haben wir sehr wenige Fälle und eine hohe Durchimpfungsrate.

Wie schätzen Sie die Lage aktuell in Kitas und Schulen ein?

In Kitas und Schulen haben wir abnehmende Fallzahlen bei den Mitarbeitern, weil sie zunehmend geimpft sind. Und die Kinder erkranken nicht schwer. Es ist also nicht dramatisch.

Zwischenzeitig wurde bei der Beurteilung der Lage die Hospitalisierungsrate in den Vordergrund gehoben. Das haben Sie seinerzeit aufgrund der unklaren Datenbasis kritisiert. Jetzt stehen wieder die Inzidenzzahlen im Fokus. Fühlen Sie sich in Ihrer Kritik bestätigt?

Ich glaube, beides muss betrachtet werden. Man braucht die Inzidenz, um zu prognostizieren, wie die Wellen verlaufen werden. Dafür braucht man auch die Inkubationszeiten und die Infektiosität. Es ist aber auch wichtig zu wissen, was sich in den Krankenhäusern abspielt.

Jetzt steht Omikron vor der Tür, wahrscheinlich mit höherer Infektiosität und möglicherweise milderen Verläufen. Was erwarten Sie in dieser Hinsicht für das Jahr 2022?

Ich hoffe, dass sich der mildere Verlauf, der sich in ersten Studien abzeichnet, bestätigen wird, denn das wäre eine Riesenchance. Meine Prognose ist, dass wir uns alle mit Omikron infizieren werden und dann die Frage ist, ob wir geimpft sind oder nicht. Davon wiederum hängt ab, ob wir glimpflich davonkommen. Es ist immunologisch sinnvoll, dass man, wenn man gut geschützt ist, sich mit dem Wildvirus infiziert, um dann einen Maximalschutz zu haben. Aber dafür ist es noch zu früh. Wir können noch nicht alle Maßnahmen lockern. Wenn bei den vielen zu erwartenden Fällen nur ein Prozent ins Krankenhaus müsste, käme das Gesundheitssystem nicht mit. Wir müssen noch einige Wochen oder Monate Kontakte beschränken, die Zeit nutzen, um Impflücken zu schließen und zu boostern. Dann, so ist meine Hoffnung, ist die Durchseuchungsrate im zweiten Quartal 2022 so hoch, dass wir die Maßnahmen beenden können.

Solle sich Omikron so stark ausbreiten wie Sie sagen: Haben die zugelassenen Impfstoffe, die ja auf einem anderen Wildtyp des Virus basieren, dann überhaupt noch eine effektive Rolle?

Auf jeden Fall ist jemand, der zweifach geimpft und geboostert ist, in hohem Maße weiter geschützt, vor allem vor einem schweren Verlauf. Es sind zudem Impfstoffe gegen Omikron in der Entwicklung. Es wird aber wohl noch ein halbes Jahr dauern, bis sie zur Verfügung stehen. Die Möglichkeit zur schnellen Anpassung ist ja der Vorteil der mRNA-Impfstoffe.

Allerdings sind es die Impfstoffe, denen viele Menschen noch skeptisch gegenüberstehen.

Ja, aber es bleibt ja dabei: Wer sich jetzt nicht impfen lässt, gefährdet sich und die gesundheitliche Versorgung der anderen. Also zu warten und sich mit Omikron zu infizieren, ist eine schlechte Idee.

Heftig diskutiert wird über eine Impfpflicht. Das würde für Sie deutlich mehr Arbeit bedeuten. Wie stehen Sie dazu?

Ich habe so gehofft, dass das nicht notwendig wird. Vor einem halben Jahr habe ich gesagt: Wir bekommen eine vierte Welle, die wird nicht so schlimm, weil so viele geimpft sind. Da habe ich mich getäuscht. Es sind nicht nur die strengen Impfgegner, die sich im Sommer nicht impfen ließen. Viele Menschen haben sich offenbar durch die niedrigen Zahlen täuschen lassen und abgewartet. So haben wir wertvolle Zeit verloren. Jetzt ist die Situation so, dass die Impfpflicht diskutiert wird, um die kritische Infrastruktur aufrechterhalten zu können. Da wäre es meiner Ansicht nach eine bittere Pille, die wir schlucken müssen, wenn wir eine Impfpflicht bekämen. Ich hoffe, dass wir die Bevölkerung durchimpfen, sich alle mit Omikron infizieren, milde Verläufe bekommen und wir dann durch sind.

Welche Rolle spielen Impfungen von Kindern? Machen die überhaupt Sinn?

Impfungen machen Sinn bei Kindern, die eine Vorerkrankung mit Risikoprofil haben. Bei den anderen geht es in Teilen um Fremdschutz, wenn in der Familie vulnerable Menschen leben, die sich nicht impfen können, etwa wegen einer Krebserkrankung. Bei den übrigen Kindern ist es vertretbar, sie nicht zu impfen. Beim Impfen geht es um die Erwachsenen. Ich kenne persönlich jemanden, der ist gestorben, weil seine Herzoperation wegen der Infektionslage um einige Tage verschoben wurde. Das sind genau die Fälle, wo ich sage: Wer sich nicht impfen lässt, schadet anderen Menschen.

In der Stadt gelten nach wie vor Hygienemaßnahmen, etwa das Maskentragen. Ist das vor dem Hintergrund der sinkenden Inzidenzwerte noch notwendig?

Leute laufen über den Kuhberg, so lange wäre es nicht nötig, dann treffen sie drei andere, unterhalten sich - und genau dann ist die Maske sinnvoll. Wenn Omikron kommt zumal. In ein bis zwei Wochen wird die Welle kommen.

Wird Omikron weiter Maßnahmen nötig machen?

Im Moment erkenne ich keine Ausweitungsnotwendigkeit. Es gilt weiterhin, möglichst das Zusammentreffen in engen Räumen zu vermeiden. Dies ist sehr sinnvoll, vor allem im privaten Bereich, weil dort zumeist keine Hygienemaßnahmen eingehalten werden.

Mehr lesen