Landwirtschaft

Energiewende in SH: Wenn der Solarpark-Investor den Bio-Bauern aussticht

Energiewende in SH: Wenn der Solarpark-Investor den Bio-Bauern aussticht

Wenn der Solarpark-Investor den Bio-Bauern aussticht

Dirk Fisser/shz.de
Horst
Zuletzt aktualisiert um:
Bio-Bauer Stefan Wendtland aus Horst in Schleswig-Holstein mit Hofhund Hermann. Der Betrieb des Landwirts könnte bald von Solarparks regelrecht umzingelt werden. Erneuerbare Energien und Landwirtschaft konkurrieren vielerorts in Deutschland um Flächen. Foto: Dirk Fisser/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Die Energiewende braucht viel Land. Irgendwo müssen die ganzen Windräder und Solaranlagen ja gebaut werden. Das verursacht Konflikte mit der Landwirtschaft. Selbst Bio-Bauern wie Stefan Wendtland aus Schleswig-Holstein unterliegen solventen Investoren im Wettbewerb um Fläche. Von Gewinnern und Verlieren der Solarisierung des Landes.

Mit großen Schritten geht Stefan Wendtland vom Wohnhaus in Richtung Stall. Hofhund Hermann, Typ Australian Cattle Dog, kommt auf seinen kurzen Beinen kaum hinterher. 120 Milchkühe, 100 Jungviecher, 100 Hektar Grünland, 60 Hektar Ackerfläche. Wendtland rattert die Eckdaten seines Bauernhofs in der schleswig-holsteinischen Gemeinde mit dem seltsamen Namen Horst routiniert herunter. 

Bio-Landwirtschaft im Schatten von Solar

Der 41-Jährige bewirtschaftet den Betrieb in dritter Generation. Aber eigentlich habe es hier schon immer Landwirtschaft gegeben, sagt er. Gerade erst hat Wendtland die gesamte Produktion auf Bio umgestellt. Eine grün-weiß strahlende Plakette neben der Stalltür zeugt davon: „Bioland-Hof Fam. Wendtland” steht darauf.

Die Kühe heben den Kopf, unterbrechen kurz das Fressen. Der Chef hat den Stall betreten. Die Rot-Bunten seien ihm die liebsten, sagt Wendtland über seine Kühe. Robust und genügsam. Er tätschelt ein Tier am Kopf. Hinter ihm gibt die offene Stallfront den Blick frei auf die Landschaft.

Bis zum Horizont zieht sich das Grün. In den warmen Monaten stehen die Kühe dort draußen und grasen. Vor Jahrzehnten und Jahrhunderten haben Menschen das Moor in mühevoller Arbeit trockengelegt. So entstand überhaupt erst die Kulturlandschaft, die die Gemeinde Horst prägt.

Bis heute, bis zur großen Energiewende, die die Politik eingeläutet hat. Wendtland deutet nach links. Hofhund Hermann folgt mit seinen Blicken der Geste: Dort soll ein Solarpark entstehen. Wendtland deutet nach rechts: dort auch.

Der eine bis zu 60 Hektar groß, der andere 45 Hektar. Fläche, die bislang überwiegend landwirtschaftlich genutzt wurde, wollen Investoren mit Solaranlagen bestücken. Hinter einem der beiden Projekte steckt der Energiekonzern Vattenfall. Die Planungen laufen.

Bio-Bauer verliert Flächen wegen Solarpark

Der Biobauer, seine Familie und seine Kühe werden künftig von Fotovoltaik-Anlagen umgeben sein. Mehr noch, Wendtland deutet auf den Horizont: Eine dort gepachtete Fläche hat er verloren. Sie soll ebenfalls Teil des Solarparks werden. Die Investoren haben deutlich mehr für den Flecken Land geboten, als der Bio-Bauer im Stande gewesen wäre zu zahlen.

Er zahlte nach eigenen Angaben eine dreistellige Summe im Jahr, die neuen Pächter jetzt eine vierstellige. Mit Sonnenenergie lässt sich eben mehr verdienen als mit Bio-Milch. Die Entscheidung der Grundbesitzer fiel gegen Wendtland und für das Geld.

„Das kann man niemandem verdenken”, sagt der Bauer mit typisch norddeutscher Nüchternheit. Er selbst sei auch keineswegs Gegner der Solarenergie. Aber diese Entwicklung bereite ihm schon Sorgen. „Was macht das mit dem Land und mit der Landwirtschaft?”, fragt er.

In den Diskussionen um die Energiewende kommt diese Frage bislang kaum vor. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist spätestens mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine zur Staatsräson erhoben worden. Die Flächen, die gerade im Norden so unendlich scheinen, sind es eben nicht. Es entsteht eine neue Konkurrenz um das begehrte Land.

Horst ist überall. Auch in anderen Orten, auch auf anderen Bauernhöfen, geht es derzeit darum, was aus dem Land wird. Die Flächenkonkurrenz und der Mangel an Ackerfläche sind schon jetzt ein reales Problem in der Landwirtschaft. Jeden Tag werden in Deutschland 54 Hektar Boden für Siedlungs- oder Straßenbau versiegelt. Sie gehen der Landwirtschaft damit verloren.

Die Energiewende dürfte diese Entwicklung noch einmal befeuern. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte kürzlich im Interview mit unserer Redaktion: „Um die Energieziele der Bundesregierung umzusetzen, werden 80.000 Hektar Fläche benötigt. Die fallen dann im Zweifelsfall weg für die landwirtschaftliche Produktion.”

Fläche für Landwirtschaft geht verloren

Windräder und Solaranlagen brauchen Platz, neue Stromleitungen müssen durch das Land gezogen werden und so weiter. Hinzu kommen noch Ausgleichsflächen, die für die Bauvorhaben aus Naturschutzgründen ausgewiesen werden müssen.

Das alles hat Konsequenzen. Das Land und die Landwirtschaft werden gespalten in Gewinner und Verlierer der Energiewende: Für Bauern mit eigenem Grund kann die Solaranlage oder das Windrad zum finanziellen Segen werden.

Stefan Wendtland hat da eine These: „Ich vermute”, sagt er, „die Energiewende wird das Höfesterben noch einmal drastisch beschleunigen”. Viele Landwirte nähern sich dem Rentenalter. Die Arbeit ist hart und war in den vergangenen Jahren häufig nicht ertragreich. „Zumindest fehlte die gesellschaftliche Wertschätzung”, wirft Wendtland ein.

Pacht vom Solarparkbetreiber ist da eine wesentlich bequemere und verlässlichere Einnahmequelle. „Für manche ist das wie ein Jackpot, wenn der Investor klingelt.” In Horst erzählt man sich, die Männer mit dem Geld und den bunten Prospekten hätten vorher in der Satellitenansicht von Google Maps nach Bauernhöfen gesucht, die nicht mehr ganz so gepflegt aussehen. Hier seien sie dann vorstellig geworden mit ihrer Idee vom Solarpark.

Wenn plötzlich der Solarpark-Investor klingelt...

Vielleicht lief es aber auch so wie bei einem Flächenbesitzer aus dem Emsland in Niedersachsen. Der Landstrich ganz im Westen der Republik ist vergleichbar mit Horst: viel Landwirtschaft auf Flächen, die trockengelegt worden sind. Ein Grundbesitzer erzählt unserer Redaktion, er habe 20 Hektar Land entlang der Autobahn 31.

Unmittelbar nachdem die Bundesregierung im vergangenen Jahr das sogenannte Osterpaket mit Eckdaten zum Ausbau der Erneuerbaren präsentiert hatte, hätten sich Investoren bei ihm gemeldet. Woher sie denn wüssten, dass die Flächen ihm gehörten, habe der Besitzer wissen wollen. „Vom Katasteramt” sei die Antwort gewesen. Ein Behördenvertreter bestätigt unserer Redaktion am Telefon, dass die Zahl entsprechender Anfragen zuletzt zugenommen habe.

„Die stecken regelrecht Claims ab”, sagt Biobauer Wendtland und erinnert damit an die Zeit des Goldrausches in Nordamerika. Ein bisschen so ist das wohl gerade auch in Norddeutschland. Wer kann, will profitieren von der Energiewende.

Die Verlierer der Solarisierung des Landes

Aber das können eben nicht alle. Es gibt auch die Verlierer: Landwirte, die wie Bio-Bauer Stefan Wendtland Ackerflächen gepachtet haben. Das heißt, der Boden, den die Landwirte beackern oder auf dem ihre Kühe grasen, gehört den Landwirten nicht. Auf mehr als die Hälfte der Felder in Schleswig-Holstein oder auch Niedersachsen trifft das zu.

Mit den Solarpark-Investoren drängen neue solvente Player auf den ohnehin angespannten Pachtmarkt. Bauernpräsident Rukwied umschreibt das Problem so: „Kann der Bauer seinem Verpächter den Preis zahlen, den Solar-Investoren bieten, um an die Flächen zu kommen? Im Zweifel nicht und dem Bauern wird die Existenzgrundlage entzogen.”

Dass Rukwied sich überhaupt so klar zu dem Thema äußerte, verwundert. Schließlich vertritt der Bauernverband auch Flächenbesitzer. Rukwieds Worte aber zeigen, wie groß die Not auf dem Land ist. „Auf manchen Betrieben geht da regelrecht die Angst um”, weiß Rukwied.

Politik verweist auf Agri-Photovoltaik - Solarenergie auf Stelzen

Die Politik scheint diese Problemstellung noch nicht so ganz erreicht zu haben, auch wenn das Bundeslandwirtschaftsministerium das Gegenteil beteuert: Die Flächenkonkurrenz sei ein wichtiges Thema für die Bundesregierung, versichert ein Sprecher von Agrarminister Cem Özdemir (Grüne). Und verweist auf sogenannte Agri-Photovoltaik.

Dabei kann unter den Solarzellen weiter Landwirtschaft betrieben werden, weil diese quasi auf Stelzen stehen. Wie viele entsprechende Anlagen es in Deutschland aber gibt, beantwortet das Ministerium nicht. Es dürften nicht allzu viele sein. Solar auf dem Land bedeutet in den allermeisten Fällen eine de-facto-Versiegelung der Fläche.

Bauer Wendtland steht auf seinem Grünland hinter seinem Hof. Nieselregen fällt von den tief hängenden Wolken auf das Gras. Bald wird es hier anders aussehen.

Mehr lesen

Diese Woche in Kopenhagen

Walter Turnowsky ist unser Korrespondent in Kopenhagen
Walter Turnowsky Korrespondent in Kopenhagen
„Die vergänglichen Schlösser aus Sand“