Der Ukraine-Krieg

Flüchtlingsrat erwartet so viele Asylbewerber in SH wie 2015

Flüchtlingsrat erwartet so viele Asylbewerber in SH wie 2015

Flüchtlingsrat erwartet so viele Asylbewerber in SH wie 2015

SHZ
Kiel
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Geflüchtete aus der Ukraine sitzen nach ihrem Grenzübertritt nach Polen in einem Bus, der sie zu einer Übergangsunterkunft bringt. Foto: Michael Kappeler/shz.de

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Eine Flüchtlingswelle aus der Ukraine sehen Landkreise und Städte mit Sorge: Sie fürchten, nicht genügend Unterkünfte zu finden. Wegen der generell großen Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt täten sich Vermieter als Partner schwer.

Der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein, Martin Link, rechnet angesichts des Kriegs in der Ukraine von dort mit Zufluchtsuchenden in einer Größenordnung wie bei der Nahost-Flüchtlingswelle 2015. Demnach müsste sich das nördlichste Bundesland auf die Beherbergung von rund 35.000 Menschen einstellen.

„Wir befürworten eine Aufnahme, die ukrainischen Flüchtlingen eine Lebensperspektive eröffnet“, sagt Link. Die sieht er in polnischen Auffangzentren nicht gegeben, „da es in dem Land kein funktionierendes Asylsystem gibt“.

Innerhalb Deutschlands tritt Link für eine Verteilung von Ukrainern nicht nur im Verhältnis zur Einwohnerzahl und damit nach dem so genannten „Königsteiner Schlüssel“ ein. „Neuankömmlinge sollten unkompliziert in die Nähe von ukrainischstämmigen Verwandten oder Freunden ziehen dürfen, die es in Deutschland in relevanter Zahl gibt. Das relativiert dann auch den Unterstützungsbedarf dieser Menschen.“ Bund und Länder müssten dafür zügig einen flexiblen rechtlichen Rahmen beschließen.

Wohl erstmal durchweg Frauen und Kinder

Der Flüchtlingsrat geht zumindest zunächst fast ausschließlich von der Ankunft von Frauen und Kindern aus. Er begründet das mit der Mobilmachung der Ukraine, der zu Folge Männer zwischen 18 und 60 ihr Heimatland nicht verlassen dürfen.

So können die Erstaufnahmen ihre Kapazitäten hochfahren

In den vier Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes in Rendsburg, Neumünster, Boostedt und Bad Segeberg sind derzeit noch gut ein Drittel von 2350 Plätzen frei. Die Kapazität in Boostedt kann schnell von derzeit 500 in Betrieb befindlichen Plätzen auf maximal 1150 ausgebaut werden, die in Rendsburg von 600 auf 1000 und die in Neumünster von 650 auf 850.

„Selbstverständlich prüfen wir darüber hinaus auch Reserven“, versichert Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). „Konkrete Aussagen dazu sind heute natürlich noch nicht möglich. Derzeit ist angesichts der dynamischen Lage noch völlig unklar, wie viele Menschen wir in Schleswig-Holstein für welchen Zeitraum aufnehmen werden.“

Die Ministerin rechnet „mit einer sehr kurzfristigen Entscheidung der Europäischen Union und des Bundes hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Fragen.“ Klar sei schon jetzt: „Kein ukrainischer Staatsbürger, der sich heute in Schleswig-Holstein aufhält, muss wegen eines abgelaufenen Visums zurück in die Ukraine.“ Überdies fänden keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen für Ukrainer durch Behörden statt.

Erste Abstimmungsrunde mit Kreisen und großen Städten

Bei einem Treffen mit den Landräten und Oberbürgermeistern am Donnerstagabend hat Sütterlin-Waack diese darauf eingestimmt, „dass sie sich auf eine kurzfristige Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine einstellen müssen. Mir wurde gesagt, dass es eine große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung gibt“, so die Politikerin.

Bei der Sitzung wurde vereinbart, die Kommunen von Beginn an in die Strukturen eines interministeriellen Leitungsstabes der Landesregierung einzubinden. Das soll einen unverzüglichen gegenseitigen Informationsaustausch sicherstellen.

Gleichwohl sagt der Geschäftsführer des Landkreistags, Sönke Schulz: „Wir sehen die aktuelle Lage mit großer Sorge.“ Das bezieht sich vor allem auf die Weiterverteilung von Ukrainern aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in die Fläche: „Die größte Herausforderung ist, dass sich in manchen Kommunen kaum noch geeignete Unterkünfte finden lassen“, beobachtet Schulz. „Private Vermieter sind immer weniger bereit, ihre Immobilien für diesen Zweck anzubieten, weil der Markt derzeit andere Möglichkeiten bietet. Auch hierzu wird es einen Dialog mit dem Land geben müssen, wie dieser Situation begegnet werden kann, sollten die Zahlen steigen.“

Aus der Kreisverwaltung Stormarn heißt es, die zur Verfügung stehenden Unterkünfte müssten jetzt erst einmal ermittelt werden. Die Pinneberger Landrätin Elfi Heesch betonte: „Die aktuelle Lage lässt nicht den gewohnten Vorlauf zu. Insofern ist hier schnelles und flexibles Handeln gefragt.“

Appell: Alle Unterkünfte von 2015 wiederbeleben

Der stellvertretende Landes-Beauftragte für Flüchtlinge, Torsten Döhring, appelliert: „Das Land und die Kommunen sollten die in der Zeit nach 2015 vorhandenen Unterkünfte ertüchtigen und für die Aufnahme von Ukrainern vorbereiten.“ Dabei solle bedacht werden, dass möglichst auch Familienangehörige, die nicht zur Kernfamilie gehören, zusammen untergebracht werden können“.

Auch der Landes-Beauftragte ruft nach einer schnellen Grundsatz-Entscheidung über den Aufenthaltsstatus ukrainischer Flüchtlinge. Als Vorteil einer EU-Lösung über die so genannte Massenzustrom-Richtlinie sieht Döhring, „dass damit die Aufnahmeinfrastruktur genutzt werden kann, ohne für jeden einzelnen den Verwaltungsaufwand eines Asylverfahrens zu verursachen“. Ins Spiel gebracht hat das auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Döhring bleibt jedoch skeptisch: Selbst zu Hochzeiten des Syrienkonflikts sei eine dafür nötige Einigung aller EU-Mitglieder nicht zustande gekommen.

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