Seenland um Flensburg

Idylle statt Bagger: So wird aus einer Kiesgrube ein Erholungsgebiet

Idylle statt Bagger: So wird aus einer Kiesgrube ein Erholungsgebiet

So wird aus einer Kiesgrube ein Erholungsgebiet

SHZ
Handewitt
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Die ehemalige Kiesgrube lässt sich nur noch erahnen. Foto: Seenland-um-Flensburg/shz.de

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Von wegen Kraterlandschaft: Der Kiesabbau in der Nähe von Flensburg hinterlässt statt unansehnlichem Terrain ein Seengebiet für Natur und Tourismus. Aus einem ehemaligen Baggerloch wird so ein Naherholungsgebiet.

Die Sonne wirft ihr Licht auf das Wasser, Gänse dümpeln über die Reflexe. Möwen schreien, während Ulrike Carstens über den aufgeschütteten Sand am Seeufer läuft und auf eine Landzunge deutet. „Dahinter wird die neue Badestelle entstehen“, erklärt die Bürgermeisterin von Wanderup.

In ihrem Rücken steht bereits ein nagelneues Gebäude: Im Multifunktionshaus mit Gruppenraum können sich etwa Schulklassen oder Kitagruppen zu Exkursionen und Ausflügen treffen.

Nur einen Steinwurf entfernt rumpelt es durch die kühle Herbstluft: Hier laufen Förderbänder, liegen hohe Haufen Sand und Kies.

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Durch den Kiesabbau entstehen 200 Hektar Wasserflächen

Im „Seenland um Flensburg“ passiert eine ganze Menge, und das macht das Projekt momentan wohl einzigartig im Land: Auf Teilen der 1500 Hektar großen Fläche zwischen Wanderup und Handewitt (Kreis Schleswig-Flensburg) wird immer noch Kies abgebaut. Sobald aber die Bagger weiterziehen, entsteht Neues: Wander- und Reitwege, Schutzhütten und Aussichtsplattformen, aber auch Rückzugsgebiete für Vögel und Amphibien.

Bislang hat die Kiesgewinnung neun Stillgewässer von insgesamt rund 80 Hektar hinterlassen – 200 Hektar Wasserfläche werden es voraussichtlich werden. „Dieser Gesamtraum wäre dann eines der größten zusammenhängenden Seengebiete in Schleswig-Holstein, das aus Abbautätigkeit von Rohstoffen hervorgegangen ist“, erklärt Lutz Mallach von den Landschaftsplanern Pro Regione.

Massive Veränderungen in der Landschaft

Damit hat sich die Landschaft massiv verändert. Lagen in dem Gebiet entlang der B200 einst Knicks, Wiesen und Felder, werden dort seit den 70er-Jahren Kiese und Sande abgebaut – je nach Bedarf mehr oder weniger. „In den letzten Jahren gab es durch den Ausbau der A7, Deichbau- und Windenergieprojekte eine enorme Nachfrage“, erklärt Lutz Mallach.

Doch das Gelände ändert sich eben nicht nur dort, wo Neues geschaffen wird. „Kiesabbau hört sich harmlos an, aber damit sind erhebliche Landschaftsumbrüche verbunden“, stellt Thomas Rasmussen, Bürgermeister von Handewitt, klar.

„Und der Landwirtschaft kommt dadurch viel Fläche abhanden.“ Es wird geschätzt, dass der Verlust fünf bis sieben landwirtschaftlichen Betrieben entspricht.

Tourismus ja, aber sanft

Was also tun mit dem, was da bleibt, nachdem die Rohstoffe aus dem Boden sind? Wurden Kiesgruben früher meist schlicht wieder verfüllt, ist heute vorgeschrieben, dass sie renaturiert werden müssen. Doch die Gemeinden des Seenlands wollten mehr, als sie vor rund 20 Jahren erste Gespräche über die Nutzung der Fläche aufnahmen: Das Seengebiet sollte als Naherholungsgebiet auch den Menschen zugänglich sein, Investitionen ermöglichen und somit Arbeitsplätze schaffen. „Es war eine Chance, Gestalter dieser Veränderung zu sein und die ungebrochene Landschaft sinnvoll zu nutzen“, erklärt Thomas Rasmussen. Das Ergebnis: „Große Teile sind dem Naturschutz gewidmet, ein kleiner Teil für den Menschen.“

Kompensationszahlungen über Ökopunkte machten möglich, dass sich hier jetzt nicht nur Tiere und Pflanzen wohl fühlen dürfen, sondern auch Einheimische und Urlauber. So sind neben Caravan-Stellplätzen ein Campingplatz und Ferienhäuser im Gespräch. Allerdings, das betonen die Beteiligten: Es sei nur sanfter Tourismus gewünscht, „der sich mit den Naturschutzauflagen verträgt“, betont Lutz Mallach. „Wir wollen nicht irgendwann bei ,booking.com' gelistet werden, sondern machen es für die Leute im Ort“, ergänzt Thomas Rasmussen. „Sinn und Zweck ist es, Naturraum erlebbar zu machen.“

Seltene Edelkrebse wurden angesiedelt

Genau so wurde das Projekt bislang realisiert: An den Wanderwegen erklären Infoschilder die Tier- und Pflanzenwelt, Broschüren für Kinder und Schul-Kooperationen sollen den Nachwuchs in die Natur locken. Denn es gibt viel zu sehen: Die verschiedensten Wasservögel sind gekommen, seltene Amphibienarten wie die Rotbauchunke oder die Kreuzkröte fühlen sich hier wohl, und auch ein Seeadler lässt sich hin und wieder am Wasser blicken. Zudem wurden seltene Edelkrebses angesiedelt. „Die Gewässer sind ein wichtiger Baustein, um den Artenrückgang aufzuhalten“, erklärt Lutz Mallach.

Ehemalige Kiesgruben sind ökologisch wertvoll

Tatsächlich haben ausgediente Kiesgruben, richtig hinterlassen, einen beträchtlichen ökologischen Wert: Sie bieten meist eine Mischung aus offenen, mageren Standorten, Wasser und dicht bewachsenen Zonen – eine Art Pionierstandort, an denen sich ganz spezielle Arten wohlfühlen. Im Seenland gibt es Abbruchkanten, in denen Uferschwalben ihre Brutröhren bauen, und für Frösche, Kröten oder Molche haben die abziehenden Maschinen Flachwasserzonen geschaffen.

Was für den Molch sein Flachwasser, ist für den Menschen der Wanderweg – ein Pluspunkt ist, dass am Seenland der Handewitter Forst liegt. Immer wieder werde Ulrike Carstens auf die Gegend angesprochen: „Spaziergänger und Hundebesitzer kommen zu mir ins Büro und sagen: ,Wie wunderbar, dass wir das haben!' Gerade in Corona-Zeiten wird es so viel genutzt“, berichtet sie.

Die Planung ist schwierig

Wenn die Bürger allerdings fragen, wann dies oder jenes fertig wird, muss die Bürgermeisterin oft passen. „Es ist ein sehr langwieriger und schwieriger Prozess, alle Interessen unter einen Hut zu bringen.“

Investoren, Privateigentümer, Ämter, Gemeinden, Naturschutzbehörden, Wasser- und Bodenverbände oder der Kreis: „Man muss viele Beteiligte an einen Tisch bringen, das macht es schwierig“, erläutert Rasmussen. Zudem wisse man nie genau, wann welche Fläche ausgekiest werde. Ein geplanter Rundweg zum Beispiel ist noch nicht rund, weil an entscheidenden Stellen der Abbau im Gange ist.

„Es gibt leider kein Datum, an dem alles fertig ist. Wir können immer nur die nächsten zwei, drei Jahre überblicken“, erklärt Thomas Rasmussen. „Die Langatmigkeit zermürbt einen manchmal. Aber trotzdem ist es eine Herzensangelegenheit. Wir hoffen, dass wir noch mehr Investoren für naturnahe Projekte finden, denn es ist wirklich etwas Besonderes“, sagt Ulrike Carstens. Die Förderbänder rattern, die Möwen schreien – hier wird noch viel passieren.

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