Medizinische Versorgung

„Katastrophale Zustände“ – Geburtsklinik des UKSH Kiel platzt aus allen Nähten

„Katastrophale Zustände“ – Geburtsklinik des UKSH Kiel platzt aus allen Nähten

Geburtsklinik des UKSH Kiel platzt aus allen Nähten

Inga Gercke/shz.de
Kiel
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Weil vielerorts die Geburtsstationen schließen, müssen Frauen auch größere Kliniken ausweichen. Die sind aber bereits jetzt schon voll. Foto: Adobe Stock/shz.de

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Fließbandarbeit auf der Entbindungsstation – Mitarbeiterinnen des UKSH Kiel beklagen zu wenig Platz für zu viele Frauen. Der Run auf die große Klinik hat Konsequenzen auf die Betreuung der Schwangeren, die oft keine Alternativen mehr haben.

Die Geburtshilfe des Kieler Uni-Klinikums UKSH platzt aus allen Nähten. Die Situation sei teilweise „katastrophal“. Schwangere Frauen könnten oft nur wie am Fließband abgearbeitet werden. Das berichten zwei Mitarbeiterinnen der Klinik. Aus Sorge vor beruflichen Konsequenzen wollen sie anonym bleiben.

Zu wenig Platz für zu viele Frauen

Schwangere müssten häufig stundenlang auf ihren geplanten Kaiserschnitt warten, weil der OP-Saal noch belegt sei. Andere müssten immer wieder in ihre Zimmer geschickt werden, weil es keine freien Geburtsräume gebe. „Dafür können wir uns dann auch nur entschuldigen“, beklagen sie, „und das mehrmals täglich. Notfälle gehen natürlich vor, aber wir können uns nicht mehr so um die Frauen kümmern, wie wir es nach unserem Berufsethos tun sollten und auch wollen“, so die Mitarbeiterinnen. Es seien einfach zu viele Frauen und zu wenig Platz.

Schließungen von Geburtsstationen 

Grund für die Überfüllung sind die Schließungen anderer Geburtskliniken in der Region, beispielsweise Eckernförde oder Preetz. „Die kommen jetzt alle zu uns, und wir müssen das irgendwie abfedern.“ Auf so einen Ansturm sei die Klinik nicht ausgelegt.

Wie erst kürzlich bekannt wurde, wird auch die Geburtsstation der Paracelsus Klinik in Henstedt-Ulzburg geschlossen. Fast 800 Geburten pro Jahr müssen alleine durch diese Schließung neu verteilt werden, was sich vor allem auf den Standort Itzehoe auswirken dürfte.

Zahlen belegen: Geburten nehmen zu

Laut UKSH-Sprecher Oliver Grieve ist der Kreißsaal am Campus Kiel für 2000 Geburten im Jahr ausgelegt. Im vergangenen Jahr wurden 1880 Geburten verzeichnet. Das entspricht etwa fünf Geburten am Tag. Bis zum 31. August 2022 gab es am UKSH Kiel bereits 1373 Geburten. Aufgerundet entspricht das aktuell durchschnittlich sechs Geburten am Tag. Tendenz steigend.

Kiel ist kein Einzelfall

Nicht nur am Kieler Standort des UKSH gibt es momentan mehr Schwangere als in den Jahren zuvor. Erst vergangene Woche berichteten die Lübecker Nachrichten (LN) über die „unhaltbaren Zustände“ der Geburtenstation am UKSH Lübeck. Auch hier sind Schließungen anderer Geburtsstationen in der Region der Auslöser für den Ansturm.

Erweiterung der Geburtenstation geplant

Oliver Grieve ist sich dieser Situation bewusst: „Als einziger Maximalversorger des Landes erfüllt das UKSH seine Verantwortung, alle Patientinnen und Patienten zu versorgen, die andere Krankenhäuser nicht aufnehmen können oder wollen.“ Das Problem von längeren Wartezeiten und einem erhöhten Arbeitsaufkommen sei bekannt. „Da arbeiten wir dran“, sagt er. So suche man fortlaufend nach qualifiziertem Personal, und alle offenen Stellen würden auch besetzt.

Das Platzproblem in Kiel soll zukünftig mit einer baulichen Erweiterung der Geburtshilfe am Campus Kiel in den Griff bekommen werden. Dabei soll ein Bestandsgebäude an die Geburtshilfe angegliedert werden.

Lösung: Zentralisierung der Krankenhäuser in SH

Die Schließung von Geburtsstationen sei auf eine „versorgungspolitische Problematik“ zurückzuführen und betreffe das gesamte Bundesgebiet. Als nachhaltige Lösung sieht er eine Reformation der Krankenhauslandschaft: „Es gibt auch in Schleswig-Holstein zu viele Krankenhäuser“, so Grieve. Sprich: Eine Zentralisierung der Krankenhäuser hält er für die Lösung.

Hebammen sind gegen eine Zentralisierung

Dass genau das gerade passiere, kritisiert Anke Bertram, Vorsitzende des Hebammenverbands Schleswig-Holsteins. „Rein medizinisch gesehen mag das Sinn ergeben, aber nicht für Geburtsstationen“, sagt sie. Man kann nicht überall Stationen schließen, ohne vorher ein Konzept zu erstellen. Die Situationen in Lübeck und Kiel zeigen gerade deutlich, dass die Schließungen nicht durchdacht sind. Mit Qualität hat das nichts mehr zu tun. Wir steuern hier mit offenen Augen in eine Katastrophe“, sagt sie weiter.

„Im Jahr 2000 gab es noch 32 Geburtsstationen in Schleswig-Holstein. Aktuell sind es nur noch 16. Ich gehe davon aus, dass noch mehr schließen werden.“ Weil viele Frauen nun weitere Wege zurücklegen müssten, spricht Bertram von „einer Verlegung der Geburtsstationen auf die Bundesstraßen.“

Problematisches Vergütungssystem

Carmen Brinkmann von der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein nennt als einen der Hauptgründe für die Schließungen von Geburtsstationen das Vergütungssystem. „Hochspezialisiertes Fachpersonal, Betten und Technik ist unabhängig von der Anzahl der Geburten vorzuhalten. Ein wirtschaftlicher Betrieb ist daher insbesondere für kleinere Kliniken kaum mehr möglich. Hinzu kommt, dass die stetig steigenden Anforderungen auf eine immer dünnere Personaldecke stoßen.“ Aus Sicht der Krankenhausgesellschaft werde ein Gesamtkonzept der Landesregierung benötigt.

Landesregierung will „Grundversorgung vor Ort“ sichern

Die wolle gemeinsam mit den Akteuren „gute Rahmenbedingungen für die Gewinnung von Fachkräften im Gesundheitsbereich schaffen. Zum anderen solle die Zusammenarbeit von Kliniken, niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und Rettungsdienst so gestärkt werden, „dass die Grundversorgung vor Ort dauerhaft gesichert wird“, heißt es auf Nachfrage vom Gesundheitsministerium.

Geburtsstationen sollen mehr Betten bekommen

Die Qualitätssicherung in der Geburtshilfe wolle die Landesregierung gemeinsam mit den Beteiligten weiterentwickeln. Zu den überfüllten Geburtsstationen heißt es: „Mögliche Auswirkungen auf Kapazitäten auffangender Häuser werden insbesondere mit Blick auf den Krankenhausplan 2024 geprüft und nachweisliche Mehrbedarfe entsprechend durch eine höhere Bettenanzahl kompensiert.“

Während der Kliniksprecher von einer „versorgungspolitischen Problematik“ spricht, sprechen die beiden Mitarbeiter von einem „Systemfehler“: „Die Wirtschaftlichkeit steht hier einfach an erster Stelle. Das wird sich nicht ändern, und wir müssen das abpuffern.“

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