Prävention häuslicher Gewalt

Kostenlose Unterkunft für Täter: Frauennotruf distanziert sich von Projekt in Flensburg

Frauennotruf distanziert sich von Projekt in Flensburg

Frauennotruf distanziert sich von Projekt in Flensburg

SHZ
Flensburg
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Kritisieren das Projekt scharf: (v.l.) Carolin Thomsen, Kerstin Köster und Ulrike Scheen vom Frauennotruf in Flensburg. Foto: Annika Kühl/shz.de

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Für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, gibt es in Flensburg kaum Unterkünfte. Dass nun ausgerechnet Täter eine solche zur Verfügung gestellt bekommen sollen, kritisiert das Team des Frauennotrufs scharf.

„Sendet neues Projekt falsches Signal?“ titelt das Flensburger Tageblatt vergangene Woche. Kurz darauf meldet sich der Frauennotruf: „Auf diese Frage haben wir eine klare Antwort“, sagt Carolin Thomsen. „Wir möchten uns ganz klar davon distanzieren. Und wir tragen es auch nicht“, ergänzt ihre Kollegin Ulrike Scheen.

Gemeint ist ein neues Projekt für Täter häuslicher Gewalt, das die Stabsstelle Integration vor Kurzem vorgestellt hat. Dabei sollen Täter nach einer Wegweisung durch die Polizei für einen begrenzten Zeitraum eine Unterkunft angeboten bekommen – unter der Bedingung, dass sie sich in ein beratendes Gespräch mit einem Mitarbeiter der Stabsstelle begeben.

Ziel ist es unter anderem, Tätern den Weg in eine langfristige Unterstützung zu weisen und so zukünftige Taten möglichst zu verhindern.

Wie aus der Mitteilungsvorlage der Verwaltung hervorgeht, sollen unter anderem die Polizei, Pro Familia – und der Frauennotruf beteiligt worden seien. Dass man bei der Entwicklung des Projekts geholfen habe, weist letzterer nun entschieden zurück und stellt klar, dass man mit dem Projekt in Verbindung gebracht werden wolle.

„Das Projekt arbeitet gegen unsere Ziele, gegen unser Leitbild. Wir arbeiten total parteilich für die Frauen“, sagt Ulrike Scheen.

Es habe eine Videokonferenz mit der Verwaltung gegeben, in der man über das Projekt informiert worden sei. Schon damals habe man deutliche Kritik geübt. Statt des Projekts habe man einen Fachtag vorgeschlagen, an dem sich alle betroffenen Organisationen und Hilfseinrichtungen hätten treffen sollen, um gemeinsam etwas zu erarbeiten. „Damit sind wir aber auf taube Ohren gestoßen“, sagt Scheen.

Die Verwaltung erklärt auf Nachfrage, dass der Frauennotruf nicht an der Entwicklung des Projekts beteiligt gewesen sei, aber dass Vorschläge nach dem Gespräch in das Konzept eingearbeitet worden seien.

Doch auch aus den Reihen der Politik hatte es zuvor Gegenwind gegeben: „In drei Monaten Täterarbeit machen zu wollen, empfinde ich als Skandal. Täter bekommt man nicht mit netten Gesprächen erreicht“, äußerte sich beispielsweise Ursula Thomsen-Marwitz von der Bündnis-Fraktion.

Sowohl die Herleitung, die Durchführung, die Inhalte als auch die fachliche Besetzung des Projektes halten die Frauenberaterinnen für ungeeignet. So sei beispielweise die Dauer von drei Monaten viel zu kurz, „das geht nicht nach dem Schnell-Schnell-Prinzip“, sagt Kerstin Köster.

Fachliche Expertise in der Täterarbeit gefragt

Grundsätzlich sei Täterarbeit zu unterstützen – solange sie auf einer fachlichen Grundlage erfolge. Dafür bräuchten Mitarbeiter beispielsweise eine spezielle gewaltspezifische Zusatzausbildung. Den Glauben, dass man bereits mit einem Gespräch etwas bewirken könne, halten die Mitarbeiterinnen zudem für falsch: „Das ist ein eingeübtes System. Dafür bedarf es Fachlichkeit, um damit umgehen zu können“, sagt Carolin Thomsen.

Das Projekt „wird nicht die tiefgreifende Veränderung bringen, die wir uns alle wünschen“, ergänzt Köster. Man gebe gerne Fachwissen in professionelle Täterarbeit, „aber nicht in so ein Projekt.“

Die Mitarbeiterinnen betonen die prekäre Lage von Frauen, die Gewalt erleben müssen. Die Taten hätten oftmals eine lange Vorgeschichte. Es handele sich dabei um strukturelle Gewalt. „Das sind richtig schwere Straftaten“, sagt Thomsen.

Für Frauen, die Schutz suchen, gäbe es in Flensburg kaum Unterkünfte. „Aber für den Täter gibt es eine Ferienwohnung?“ stellt Köster in Frage. „Das hat einen Belohnungscharakter.“ Das Team des Frauennotrufs fordert mehr Unterstützung von der Verwaltung in der Arbeit für die Frauen.

Weil der Beratungsbedarf während der Pandemie so exorbitant gestiegen ist, benötigt das Team eine weitere Stelle. „Um das Geld zu bekommen, werden wir auf Herz und Nieren geprüft. Es wird mit zweierlei Maß gemessen“, sagt Köster.

Im Sozial- und Gesundheitsausschuss hatte die Gleichstellungsbeauftragte Verena Balve bereits betont, dass der Gewaltschutz von Frauen dringend ausgebaut werden müsse und deutlich mehr Mittel zur Verfügung gestellt bekommen soll.

Über den Zuschuss und das Projekt debattiert die Politik am 28. April im Gleichstellungsausschuss.

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