Sylterin lebt Freiheitstraum

„Man braucht einen Laptop und los“ – Esther Jörgensen über das Leben als digitale Nomadin

Esther Jörgensen über das Leben als digitale Nomadin

Esther Jörgensen über das Leben als digitale Nomadin

SHZ
Sylt
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Esther Jörgensen ist 30 Jahre alt und lebt als digitale Nomadin. Foto: Esther Jörgensen/shz.de

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Ortsunabhängig sein, reisen und von überall aus arbeiten – Esther Jörgensen hat ihren Traum vom Leben als digitale Nomadin in die Tat umgesetzt. Shz.de hat sie zum Online-Interview getroffen.

Esther Jörgensen ist selbstständige Art Directorin. Die 30-Jährige gebürtige Sylterin baut sich ein Leben als digitale Nomadin auf – die Welt soll ihr Zuhause werden. Shz.de hat sie zum Online-Interview getroffen.

Esther, Wo bist du gerade?

Für einen Monat in Hamburg. Hier habe ich noch eine feste Wohnung, aber langfristig möchte ich ganz frei sein.

Wie viel bist du auf Reisen?

In den vergangenen 12 Monaten 60 Prozent Reisen und 40 Prozent Wohnung.

Wie ist das, im Campervan ein rollendes Homeoffice zu haben?

Total schön. Ich bin aus der Leidenschaft zum Reisen und meinem Freiheitsgefühl und Fernweh heraus digitale Nomadin geworden. Mein Beruf als Art Directorin eignet sich gut dafür. Die Verbindung von Arbeit und Reisen ergibt für mich einfach Sinn.

Was und wie arbeitest du genau?

Meine Schwerpunkte sind Markenaufbau und Konzeption. Ich helfe Kunden, ihre Geschäftsideen umzusetzen vom Logo, über Social Media bis zur Webseite oder Flyer.

Was ist das Schöne am Arbeiten auf Reisen?

Dass du überall dort, wo du gerade bist, arbeiten kannst. Oft wache ich direkt in der Natur mit Blick auf die Berge, das Meer oder einen See auf. Die Balance aus arbeiten, reisen und leben macht mich im Denken und designen freier und kreativer.


Wie ist dein typischer Tagesablauf?

Ich nehme mir immer komplette Tage zum Arbeiten, um mich reinzudenken. An anderen Tagen nehme ich mir Zeit für mich, genieße die Reisen und lerne Land und Kultur kennen. Parallel nehme ich Menschen, die mir folgen, mit meinem Instagram-Account mit.

Welche Bedeutung hat dein Instagram-Account für dich?

Ich inspiriere gerne und bin immer total berührt, wenn ich Leute zum Reisen ermutigen kann.

Welche Herausforderungen bringt dein Lebensstil mit sich?

Ich vertraue aufs Leben, und dass alles so kommt, wie es kommen soll. Gleichzeitig schwingt aber auch täglich eine leichte Angst mit, dass es mal nicht so läuft. Auch wenn Instagram meistens die schönen Seiten des Lebens zeigt, darf man nicht vergessen, dass man aus seinem alltäglichen Leben berichtet, das natürlich auch aus täglichen Herausforderungen, existenziellen Ängsten und persönlichen Konflikten besteht.

Inwiefern?

Man denkt immer, man kann das alles zurücklassen, aber du nimmst dich selbst immer mit. Als digitale Nomadin hat man das alltäglich Leben, aber für mich mit mehr Glücksmomenten.

Fühlst Du dich auch manchmal einsam?

Bei den letzten großen Reisen war meine beste Freundin viel dabei. Wenn ich alleine bin genieße ich das besonders in der Natur total. Schöner finde ich es aber, die Erlebnisse mit jemandem zu teilen. Natürlich fühlt man sich manchmal einsam. Das ist die Kehrseite, wenn man alleine und viel unterwegs ist. Aber man lernt auch schnell andere kennen – die Hürde ist auf Reisen sehr gering.


Deine Arbeit ist ja immer dabei. Wie schaffst du die Trennung aus Arbeit und Freizeit?

Mit viel Selbstdisziplin, Zeitplanung, To-Do-Listen und Prioritäten. Aber es lässt sich kaum trennen, wenn man selbstständig ist. Das ist ja meine Existenz. Wenn ich die Punkte abgehakt habe, gönne ich mir Ruhe, aber es ist eine Herausforderung – wahrscheinlich die größte.

Was machst du, wenn das Internet ausfällt?

Erstmal ist in jedem Land das Netz besser als in Deutschland (lacht). Wenn ich kein Internet habe und es dringend brauche, fahre ich weiter. Zwangsweise hat man aber auch mal Tage, an denen man nicht arbeiten kann.

Was hältst du vom Vanlife-Trend?

Ich finde es problematisch, dass sich plötzlich alle einen Van kaufen. Das Resultat ist, dass viele Plätze komplett überfüllt und andere verdreckt sind. Deswegen mache ich auch gerade eine Vanpause. Digitale Nomadin zu sein bedeutet ja auch nicht, im Bus zu reisen, sondern die Freiheit zu haben, egal, wo man ist, arbeiten zu können.

Hast du konkrete Pläne für die nächste Zeit?

Mein Wunsch ist, frei zu sein und Erlebnisse zu haben. Ein Leben, das nicht auf Konventionen aufbaut. Ich will nie bereuen, irgendwas nicht getan zu haben. Das ist der grobe Plan. Alles Weitere lasse ich auf mich zukommen.

Wie läuft es ab, wenn du dir einen Stellplatz suchst?

Auf Reisen im Ausland stehe ich meistens frei. Hier gilt natürlich die Devise: Verlasse einen Ort immer sauberer als du ihn vorgefunden hast. In Deutschland stehe ich gerne auf privaten Höfen, die man beispielsweise über Apps findet. Dort hat man das Wildcampengefühl, aber auf eine legale Weise. Alternativ gibt es natürlich noch Campingplätze. Die sind aber gerade jetzt sehr überlaufen und Bullifahrer meiden diese auch gerne.


Hast du auch schon mal schlechte Erfahrungen gemacht oder Angst gehabt?

Wenn ich zu zweit reise, fühle ich mich meistens sicher. Wir haben auch schon Exhibitionismus oder Belästigung erlebt. Aber das ist selten passiert, wir wissen uns zu wehren und stark aufzutreten.

Was braucht man als digitale Nomadin?

Nimm' dir deinen Laptop und los. Plus Internet und Reiselust – mehr brauchst Du nicht. Man muss die Unsicherheit in Kauf nehmen, aber bekommt dafür viel Freiheit.

Zieht es dich trotzdem noch nach Sylt?

Ich habe eine starke Verbindung zur Insel. Die Heimatliebe erlischt natürlich nicht und über Freunde und Kunden habe ich noch viel Kontakt zur Insel.

Hat dein Aufwachsen auf der Insel auch deinen jetzigen Lebensstil geprägt?

Mein erster Freund auf Sylt hatte einen T3-Bus, das hat mich vielleicht angefixt. Aber als ich mit 19 von Sylt wegging, wollte ich Karriere machen und habe direkt studiert. Dann habe ich viel gearbeitet und irgendwann eine Kreativabteilung geleitet. Als ich alles hatte, was ich wollte habe ich gespürt, dass das doch nicht das ist, was ich wollte. Mir fehlte die Freiheit und etwas, das von Bedeutung ist. Das war der Wendepunkt. Dann habe ich Vanlife, Reisen und Arbeit miteinander verbunden und mein neues Leben begonnen.


Wie beeinflusst dein Lebensstil deine Arbeit?

Der Vorteil daran, von unterwegs zu arbeiten, ist, dass einem die ganzen Eindrücke sehr viel Kreativität geben. Wenn man morgens aus dem Bus kommt, ins Meer hüpft, Kaffee trinkt und dann anfängt zu arbeiten, ist das ein ganz anderer Start in den Tag, als in einer Wohnung oder Großstadt. Diese Glücksmomente inspirieren mich und helfen mir, besser zu arbeiten.

Worauf musst du verzichten durch deine jetzige Lebensform?

Die Struktur von außen. Ich wollte nicht mehr fremdbestimmt sein, aber es ist schon anstrengend, sich die ganze Zeit eine Struktur über Selbstdisziplin zu erarbeiten. Manchmal tut es gut, etwas geführt zu sein und feste Termine zu haben. So viel Freiheit zu haben, kann auch bedeuten, überfordert zu sein.

Wo geht's als nächstes hin?

Mit dem Bus möchte ich gerade nicht los, weil es überall so voll ist. Deswegen reise ich für mehrere Wochen nach Portugal. Mir gefallen die Menschen und der Lebensstil dort, der Wind, der Atlantik. Ich möchte probieren, von dort aus zu arbeiten und ein Gefühl dafür bekommen, ob das ein Land ist, in dem ich auch länger leben könnte.

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