Nordfriesland

Neue Heimat Joldelund: Weihnachts-Kaffee mit einer ukrainischen Familie

Neue Heimat Joldelund: Weihnachts-Kaffee mit einer ukrainischen Familie

Weihnachts-Kaffee mit einer ukrainischen Familie

Birger Bahlo/shz.de
Joldelund
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Um die kleine Milena Rota scharen sich (v. l.) ihre Tante Tamara Duminike, Jörn Katzenberger und seine Frau Susanne Strittmatter als Gastgeber und Milenas Mutter Tetiana mit Juhim. Foto: Staudt/shz.de

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Flucht vor dem Tod: Nordfriesland bietet Flüchtlingen eine neue Heimat. Eine ukrainische Familie zieht mit ihren Gastgebern eine Zwischenbilanz. Dabei kommen auch Probleme mit den Verwaltungen zur Sprache.

Juhim wünscht sich Konstruktionsspielzeug von Lego – „und dass meine kleine Schwester Milena gesund aufwachsen kann.“ Der Zwölfjährige kümmert sich rührend um das Baby, das kurz vor Beginn des Krieges in der Ukraine zur Welt gekommen ist. Da lebte er mit seiner alleinerziehenden Mutter Tetiana (34) noch in Krivoj Rog, der zweitgrößten Stadt im Gebiet Dnipropetrowsk im Osten der Ukraine.

Russischer Angriff tötet Freunde im Nachbarhaus

Im Nachbarhaus wohnte eine Freundin von Tetiana mit ihrem Mann und dem Sohn – bis die Russen bei ihren Angriffen jenes Haus in Schutt und Asche legten. Die Familie kam dabei ums Leben. Auf Tetianas Smartphone zeugt ein Video von dem Grauen nebenan. Tetiana Rota floh mit ihren Kindern vor dem Krieg und kam über die Erstaufnahme in Boostedt bei Neumünster nach Joldelund in Nordfriesland.

Heute leben sie in einer Ferienwohnung im Dorf, die Susanne Strittmatter (48) und ihr Mann Jörn Katzenberger (34) im Frühjahr hergerichtet hatten, ohne da schon zu ahnen, wofür sie nun dringend gebraucht wird. Im Gespräch mit shz.de versuchen Flüchtlingsfamilie und Gastgeber einzuordnen, welche Bedeutung Weihnachten angesichts des Krieges in diesem Jahr für beide Völker eigentlich haben kann.

Krieg, Tod und Trauer

Überschattet ist die letzte Zeit auch noch dadurch, dass die Großmutter vor Monaten verstorben ist. Bis zu deren Tod hatte Tetianas Schwester Tamara Duminike an ihrer Seite ausgeharrt und ist erst jetzt ebenfalls in den Westen geflohen. Erst diese Woche holten die Gastgeber die alleinlebende Frau vom Bahnhof in Flensburg ab. Sie erzählt, dass sie daheim kein Strom und kein Wasser mehr hatte.

Weihnachtsfest am 7. Januar

Weihnachten hat als im Kern christliches Fest offenbar eine ähnliche Bedeutung in beiden Ländern. In der Ukraine kommen die Familie und Paten zusammen, es gibt unter normalen Umständen ein Festessen und Geschenke. Die orthodoxe Mehrheit der Menschen in der Ukraine feiert Weihnachten nach dem julianischen Kalender, also am 7. Januar. So betont es auch Tetiana Rota, die sich im Gespräche klar zu ihrem Glauben bekennt. Die Mitglieder der griechisch-katholischen Kirche allerdings feiern nach dem gregorianischen Kalender, also am 25. Dezember. Beide Tage seien in der Ukraine Feiertage.

Tetianas Augen leuchten vor Freude über die freundliche Aufnahme im Joldelunder Haus. Eine Sprach-App hilft im Gespräch mit den Geflüchteten beim Übersetzen:

Juhim geht in Bredstedt zur Schule, erzählt, dass er jetzt in der sechsten Klasse in Mathe recht gut sei. Das sei eines seiner Lieblingsfächer. Er macht einen ehrgeizigen Eindruck und spricht schon jetzt davon, studieren zu wollen.

Seine Mutter ist Einzelhandelskauffrau im Lebensmittelhandel. Sie sagt, sie würde gerne arbeiten wollen. Doch noch sind die Sprachbarrieren sehr hoch.

Gastfamilie wünscht sich bessere Kooperation

Bei Kaffee und einem von Tetiana gebackenen Kuchen kommen wir allgemein auf die Flüchtlingshilfe in Nordfriesland zu sprechen. Susanne Strittmatter und Jörn Katzenberger überlegen, dass von Anfang an Vieles praktischer hätte geregelt werden müssen. Ihr Eindruck ist, dass die Verwaltungen nach der Aufnahme der ersten Flüchtlinge im Frühjahr die Suche nach weiteren Unterkünften hätten schleifen lassen. Folglich hätten sie erst jetzt wieder öffentlich massiv um Quartiere bitten müssen.

Wie viele andere Flüchtlingshelfer kritisieren auch sie, dass nach wie vor Anträge und Dokumente ausschließlich auf Deutsch ausgehändigt würden. Es gebe nicht einmal ein Begleitschreiben auf Ukrainisch mit einer Erläuterung, um was es eigentlich gerade gehe. Susanne Strittmatter arbeitet selbst in einer Verwaltung, allerdings außerhalb des Kreises, und erlaubt sich daher diese offenen Worte. Sie hätte sich eine beständige Begleitung durch Mitarbeiter von Ämtern und des Kreises gewünscht. Jede Post ginge an die Geflüchteten direkt, die dann oft nicht erkennen könnten, ob und welche Fristen zu beachten seien.

Unverständlich ist den Eheleuten auch, dass Dolmetscher ausgerechnet an jenen Tagen in Ämtern bereit stünden, an denen das Amt geschlossen hat. Keine offene Tür also für Gespräche mit Übersetzern, sondern Sprechzeit nur nach Anmeldung. „Sie müssen dafür einen Termin machen“, habe man ihr gesagt. Sie wünsche sich aber offene Sprechstunden mit Dolmetschern, um spontan notwendige Fragen zu erörtern.

Ihr Wunsch zu Weihnachten lautet daher: Vermieter und Flüchtlinge müssten stärker von den hauptamtlichen Kräften in Organisationen und Verwaltungen unterstützt werden. Es könne nicht angehen, dass mit der Unterbringung in einer Wohnung alles weitere den jeweiligen Vermietern überlassen bleibe.

Milena im Joldelunder „Stall von Bethlehem“

Und wie kriegen wir nun die Kurve zurück zu Weihnachten? Vielleicht damit, dass wir hier in Nordfriesland im Kontakt mit allen Geflüchteten und aktuell besonders mit jenen aus der Ukraine stammenden aktive Friedensarbeit leisten. Und sicher auch damit, dass die nicht einmal einjährige Milena Rota im nordfriesischen Joldelund hier nun ihre geschützte Krippe gefunden hat – im „Stall von Betlehem“ der Eheleute Susanne Strittmatter und Jörn Katzenberger.

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