Landesgeschichte

Nur 20 Prozent der Schlösser in SH stehen noch

Nur 20 Prozent der Schlösser in SH stehen noch

Nur 20 Prozent der Schlösser in SH stehen noch

SHZ
Kiel
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Pracht des Originals: die Seitenflügel des Husumer Schlosses waren einst eine Etage höher als heute und sowohl alle Fassaden als auch das Dach mit zahlreichen Schmuckelementen verziert. Foto: Königliche Bibliothek Kopenhagen/shz.de

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Ein neues Standardwerk zeigt die architektonische Vielfalt der Schlösser in Schleswig-Holstein – die der sechs vorhandenen, aber auch die der 30 verschwundenen. Der Autor spricht von einer ungewöhnlich hohen Verlustquote.

Die vier Türme von Schloss Glücksburg waren ursprünglich oben flach und von Zinnen umkränzt. Das Husumer Schloss besaß im Originalzustand eine Etage mehr. Und Gottorfs Fassade erstrahlte einst in Rosa statt wie heute in Weiß.

Deert Lafrenz wartet in seinem Buch „Schlösser in Schleswig-Holstein“ mit mancherlei Überraschung auf. Die allergrößte davon aber ist, wie viele Schlösser nicht mehr da sind. Gleich 30 Einträge umfasst die Verlustliste. Nur sechs einstige Residenzen stehen noch. Und so lautet das Resümee des Verfassers:

Kriege vernichteten die wenigsten Schlösser

Dabei sind nur fünf der einst landesherrlichen Bauten durch Krieg vernichtet worden. Alle anderen verfielen oder wurden gezielt abgebrochen. Meistens, wenn die wechselvolle Historie Schleswig-Holsteins mal wieder eine Herrscherfamilie Schach matt gesetzt hatte und die neuen Machthaber keine bauliche Erinnerung an ihre Vorgänger wollten.

Den architektonischen Details spürt dieses 220-Seiten-Buch nach wie kein zweites, das derzeit auf dem Markt erhältlich wäre. Der Autor ist Kunsthistoriker und knüpft an einen Jahrzehnte langen Umgang mit Schleswig-Holsteins baulicher Vergangenheit an: Lafrenz hat sein Berufsleben im Landesamt für Denkmalpflege verbracht.

„Diese hohe Verlustquote an Schlössern ist schon ungewöhnlich“, urteilt der Verfasser mit Blick sowohl auf den Ostseeraum als auch Deutschland.

Auch Städte wie Pinneberg, Itzehoe oder Rendsburg hatten ein Schloss

Oder Residenzen sind verschwunden, weil ein Herrschergeschlecht schlicht ausgestorben ist. Nur ein Beispiel von mehreren dafür sind die Holstein von 1110 bis 1359 prägenden Schauenburger Grafen. Damit wurden ihre Schlösser etwa am Elbufer in der Nähe von Wedel, die Hatzburg, oder auf dem Segeberger Kalkberg überflüssig. Gleiches gilt für Pinneberg, wo von ihnen noch bis ins 17. Jahrhundert eine Nebenlinie das Sagen hatte.

Warum Husums Schloss eine Etage kürzer gemacht wurde

Gleich mehrfach traf der Zorn der Geschichte Aushängeschilder der Gottorfer Herzöge. Ihre Nebenresidenzen in Tönning und dem heute dänischen Tondern verschwanden, nachdem der König von Dänemark 1721 den schleswigschen Teil der Gottorfer Besitzungen eingezogen hatte.

Nach dem für Dänemark siegreichen Großen Nordischen Krieg war das. Hier hat auch die Verstümmelung Husums ihre Wurzeln: Der König ließ ein Stockwerk, Fassaden- und Dachschmuck abtragen, um den Bauunterhalt wesentlich zu vereinfachen. Dass das Schloss überhaupt stehen blieb, ist der dortigen Unterbringung des königlichen Amtmanns, eines hohen Regionalbeamten, zu verdanken.

Obendrein das Rendsburger Schloss wurde in den 1720er Jahren dem Erdboden gleich gemacht. Die dänischen Könige benötigten es nicht mehr bei Besuchen in Schleswig-Holstein, weil sie dafür nun das gerade eroberte Schloss Gottorf nutzen konnten.

In Glückstadt hielt das Schloss nur 80 Jahre

So gut wie vergessen: Auch in Glückstadt zum Beispiel hat es einmal ein Schloss gegeben. Laut Recherchen Lafrenz' war es architektonisch verwandt sogar mit Schloss Rosenborg in Kopenhagen, wo die dänischen Kronjuwelen lagern. Gehen doch beide Residenzen auf König Christian IV. zurück. Er hat in seiner Eigenschaft als Herzog über Teile von Holstein Glückstadt Anfang des 17. Jahrhunderts als Konkurrenz-Hafen zu Hamburg gegründet. Ein Schloss gehörte bei diesem monarchischen Muskelspiel selbstverständlich dazu.

Trotz des besonders mächtigen Bauherrn stand es so kurz wie kein anderes: Schon 80 Jahre später wurde Schloss Glückstadt wieder abgerissen – schlicht aus Baufälligkeit. Beim Bauen im Akkord hatte man geschlampt. Es war in morastigem Gelände zu schlecht gegründet worden.

Und dann steht natürlich Kiel ganz dick mit Trauerrand auf der Schwundliste. Einst auch gottorfische Residenz, zertrümmerte der Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs das Schloss in der größten Stadt des Landes. Dass 1960 die Ruine abgerissen wurde, nennt Lafrenz einen „Riesenfehler“. „Ein ganzer Saal mit gotisch geprägten Gewölben stand noch.“ Die Qualität habe die der Gotischen Halle auf Gottorf selbst deutlich übertroffen.

Um Tönning tut es dem Autor besonders leid

Außer um Kiel tut es Lafrenz um Tönning besonders leid. „Wie ein Schmuckkästchen“ charakterisiert er den Bau. Bei dem gruppierten sich vier ausgesprochen aufgeplusterte Türmchen um einen dadurch sehr zurückhaltend wirkenden Zentralkörper.

„Das Schloss hat ganz besonders die Vielfalt verkörpert, für die Herzog Adolf I. von Gottorf stand“, sagt der Buchautor. „Er kannte die Architekturtheorien in den Niederlanden und Frankreich und hat sie an mehreren Residenzen in Schleswig-Holstein verarbeitet.“

Bis hin zu Fensterbeschlägen wurde alles versilbert

Bemerkenswert findet Lafrenz, wie akribisch neue Machthaber Verzeichnisse mit dem Inventar von ausgemusterten Schlösser anlegen ließen. „Bis hin zu Fensterbeschlägen oder einzelnen Nägeln steht darin, was sich noch verwerten ließ und wieviel es wert war.“ Man wollte die Restbestände zu Geld machen: Als eine Art Materiallager wurden die Bestände meistbietend an Unternehmer ausgeschrieben. Und sei es, dass die zermalmte Schlosssteine als Straßenbelag recycelten.

Blick auch ins südliche Dänemark

Das Buch bezieht die Schlösser im heute dänischen südlichsten Jütland mit ein, etwa Sonderburg, Gravenstein oder Augustenburg. Gelegen im ehemals nördlichen Teil des Herzogtums Schleswig, lässt sich ihre politische und dynastische Vergangenheit nicht von Schleswig-Holstein in seinen heutigen Grenzen trennen. Der Band ist opulent illustriert. Nicht nur Fotos inszenieren die Ästhetik aus immer wieder neuen Blickwinkeln. Eine Fülle an Zeichnungen, Karten, Bauplänen und Gemälden macht das kulturelle Erbe greifbar.

Trost bei allen Verlusten: „Trotz ihrer Dezimiertheit zeigen die sechs erhaltenen Schlösser Glücksburg, Gottorf, Plön, Husum, Eutin und Reinbek eine enorme Bandbreite an architektonischen Ideen“, bilanziert Lafrenz. Er deutet sie damit auch als „Zeugnisse der Weltläufigkeit Schleswig-Holsteins“.

Glücksburg als Idealtypus, aber trotzdem nicht als Cover

Als Aushängeschild dieses Sextetts in den Augen der Bevölkerung sieht der Verfasser Glücksburg. Nicht Gottorf, trotz dessen Bekanntheitsgrad als Sitz der Landesmuseen. Die Architektur Glücksburg sei einfach vollkommener, sagt Lafrenz. Aus einem Guss, ohne Umbauten, harmonisch von allen Seiten, Kastell und Wohnort, wehrhaft und repräsentativ zugleich.

Warum trotzdem Plön auf dem Titel des Buches prangt? „Das ist auch ein in sich sehr geschlossener, in den Grundzügen unveränderter Entwurf“, antwortet er. „Auch ging es bei der Auswahl darum herauszustellen, was es sonst noch so gibt. Und natürlich ist Plöns Höhenlage für ein Schloss im Norden unvergleichlich.“

Deert Lafrenz: Schlösser in Schleswig-Holstein, 220 Seiten, Michael Imhof Verlag, 49,95 Euro

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