Psychotherapeuten am Limit

Psychotherapeuten am Limit

Psychotherapeuten am Limit

Ina Reinhart
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Zu wenig Plätze auf der Psychologencouch - so stellen sich die jungen Reporter Hannah und Jakob die Therapiesituation vor.  Foto: Lilly Knappe

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Die Wartelisten für psychotherapeutische Behandlungen in Schleswig-Holstein werden immer länger. Corona, Krieg und Klimakrise belasten Kinder und Jugendliche besonders stark. Dass sie nur schwer Hilfe finden, liegt aber nicht am Fachkräftemangel.

Der Bedarf an Therapieplätzen steigt seit Jahren an, doch mit der Coronapandemie schnellte die Kurve steil in die Höhe – besonders bei Kindern und Jugendlichen. „Allein in meiner Jahrgangsstufe kenne ich viele Jugendliche, die mit mentalen Problemen zu kämpfen haben”, sagt die 16-jährige Hannah Bockholt aus Osterrönfeld. 

Zunahme von Depressionen, Zwangsstörungen und pschosomatischen Erkrankungen

Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass die Lockdowns mit Homeschooling und sozialer Isolation tiefe Spuren hinterlassen haben. Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) hat dem Thema kürzlich in ihrem Mitgliedermagazin „Nordlicht” ein Schwerpunktthema gewidmet. Die Experten für Kinder- und Jugendmedizin vom Psychiater über Psychotherapeuten und Allgemeinmediziner und bis zur Professorin für klinische Psychologie berichten aus ihrer Praxis und Forschung über eine Zunahme von Ängsten, Zwängen, Depressionen, Essstörungen und psychosomatischen Erkrankungen.

Die Vermittlung von psychotherapeutischen Erstgesprächen bei Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nahm laut KVSH von 2019 bis 2021 um 130 Prozent zu. Damit wächst der Druck auf die Praxen. Viele seien jetzt schon am Limit ihrer Patientenzahlen, schreibt der Kieler Psychotherapeut Heiko Borchers. Erstgespräche zur Abklärung könnten meist noch angeboten werden, doch bei langfristigen psychotherapeutischen Behandlungen seien die Kapazitäten ausgeschöpft. 

Dabei ist der Versorgungsgrad laut Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung (KVSH) in fast allen Kreisen in Schleswig-Holstein bereits übererfüllt. Das bedeutet, dass sich dort auch keine weiteren Praxen ansiedeln dürfen. Wie passt das zusammen? „Der Bedarfsplan ist ein auf die Einwohnerzahl errechneter Wert. Das sind bürokratische Zahlen, die den Bedarf nicht genau abbilden”, sagt KVSH-Sprecher Nikolaus Schmidt.

Der politische Wille ist da

Der Politik ist das Problem bekannt, sie ist im Austausch mit der KVSH. Auf Bundesebene brauche es weitergehende Initiativen, um im ambulanten Bereich für mehr Kapazitäten zu sorgen, heißt es aus dem schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium. Dafür setze sich die Landesregierung im Bundesrat ein. Im stationären Bereich sind laut Gesundheitsministerium Kapazitätserweiterungen in den Kliniken in Bad Bramstedt, Itzehoe und Neumünster beschlossen. Doch der Ausbau ist gerade erst in Planung. Wie lange es dauert, kann das Ministerium noch nicht sagen.

An Fachkräften fehlt es nicht

Doch wenn es neue Plätze gibt, können sie dann besetzt werden? Clemens Veltrup, Präsident der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein, ist zuversichtlich: „Es gibt immer ein hohes Interesse an Psychologie und der Psychotherapeutenausbildung, sodass wir genug qualifizierte Fachkräfte haben”, sagt Veltrup. Doch bevor die tätig werden können, braucht es eine Einigung von Politik und Kostenträgern.

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Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
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