Hamburg

Schweigen in der Politik: RTL zerschlägt Traditionsverlag Gruner & Jahr

Schweigen in der Politik: RTL zerschlägt Traditionsverlag Gruner & Jahr

RTL zerschlägt Traditionsverlag Gruner & Jahr

Martin Schulte/shz.de
Hamburg
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Ist was, außer Berlinale? Von Claudia Roth, der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, hört man ziemlich wenig zu den RTL-Plänen für Gruner & Jahr. Foto: dpa/shz.de

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Dass in Hamburg ein Traditionsverlag zerschlagen wird, schlägt erstaunlich wenig Wellen.

Irgendwann, wenn die letzten Seiten am Hamburger Baumwall produziert und die letzten Tränen längst getrocknet sind, wird Deutschland merken, was fehlt. Nur wird es zu spät sein.

Der Kahlschlag im Gruner & Jahr-Verlag ist dann ein unrühmliches Kapitel der deutschen Mediengeschichte, und dass diese von RTL-Managern konstruierte Misserfolgsgeschichte ausgerechnet in diesem Glaspalast an der Elbe, in dem einstigen europäischen Medienkönigreich erzählt wird, ist das Ende eines schlecht inszenierten Dramas.

Denn auch wenn die Zahlen in den vergangenen 20 Jahren nicht mehr so fantastisch waren wie zu den Großzeiten des Verlages, hat der Verlag immer noch eine große publizistische Relevanz – und ganz nebenbei: profitabel ist er immer noch.

Aber der gesellschaftliche Verlust ist natürlich enorm, denn bei Gruner gibt es Hefte, Geschichten und Inhalte für Jedermann und Jederfrau: Brigitte und Landlust, Stern und Geo, 11Freunde und Art. Der Journalismus aus Hamburg reichte in jeden Winkel der Gesellschaft hinein, holte viele Menschen in ihrem Lebensraum ab und führte sie in neue Welten. Er vermittelte Haltung und ordnete ein.

Gelebte Demokratie, nach innen und nach außen

Politik und Promis, Kunst und Küche, Wissen und Wirtschaft, die Mischung machte den Reiz aus, und wenn ein neues Magazin in Deutschland für Furore sorgte, dann kam es meist aus dem grün-weiß geflaggten Traditionsunternehmen, in dem jede Idee jedes Mitarbeiters ernst genommen und oft genug zum Magazin wurde. Gelebte Demokratie, wenn man so will, nach innen und nach außen.

In einem Verlag, der den ehemaligen Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins, Gerhard Stoltenberg, mal über die „linke Kampfpresse“ aus Hamburg schimpfen ließ, womit der CDU-Politiker ausdrücklich nicht nur den „Spiegel“ meinte.

Keine Reaktion, als Teile von Gruner & Jahr über die Planke geschickt wurden

Umso erstaunlicher ist allerdings, dass angesichts dieser umfassenden publizistischen Rodungsmaßnahme im deutschen Magazin- und Blätterwald von der Politik so gut wie nichts zu hören ist. Auch von Claudia Roth nicht, um mal beim nahe liegenden Beispiel zu bleiben, denn die Grünen-Politikerin ist nicht nur eigentlich sehr medienaffin, sie trägt die Medien auch noch im Titel ihres Amtes.

Zwar hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sich vor gar nicht langer Zeit mit diesen Sätzen zitieren lassen: „Ein unabhängiger Journalismus ist Pfeiler und Stütze der Demokratie. Gleichzeitig ist er zunehmend in Gefahr.“ Aber das war 2022, bevor sie im Gütersloher Bertelsmann-Mutterhaus auf die grandiose Idee kamen, einen relevanten Teil des Hamburger Verlages über die Planke zu schicken. Immerhin blieb noch Zeit, einen Leitfaden für Führungskräfte zu entwickeln, wie man effektiv feuert – und dabei die richtigen Worte findet. „One“ heißt das firmeninterne Papier, das diese zynischen Ratschläge beinhaltet – „Zero“ wäre passender für diese intellektuelle wie menschliche Nullnummer.

Die Verflachung breitet sich weiter aus

Zu diesem großen Thema ist es ziemlich ruhig im Echoraum der obersten Medienbeauftragten Roth, auf ihrem dienstlichen Twitter-Account werden die Berlinale und Bertolt Brecht gefeiert, die Ereignisse am Baumwall dagegen bleiben unerwähnt. Dieses Schweigen ist nicht nur schade, sondern fatal. Denn es suggeriert, dass die Verflachungstendenzen, die im RTL-Programm seit Jahren angelegt sind und nun wohl in Richtung Gruner & Jahr ausgeweitet werden sollen, auf höchster politischer Ebene kaum oder keinen Widerspruch erfahren.

Dabei wäre es Aufgabe der Medienbeauftragten wie der Politik allgemein, deutlich zu machen, dass es sich immer noch lohnt, in Journalismus zu investieren – wofür Gruner & Jahr tragischerweise immer noch ein guter Beleg ist. Nur reicht RTL die Rendite nicht.

Welche der angekündigten Synergien dieser Fusion RTL bis jetzt gehoben hat, bleibt vage. Aber es steht zu befürchten, dass die Scripted-Reality-Serie „Der Untergang eines ehrwürdigen Verlages“ schon in der Schublade liegt. Tränen inklusive.

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