Ende des Dialogverfahrens

Streit um 380-kV-Trasse durch Ostholstein eskaliert

Streit um 380-kV-Trasse durch Ostholstein eskaliert

Streit um 380-kV-Trasse durch Ostholstein eskaliert

SHZ
Ratekau
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Beim Thema Ostküstenleitung sind die Fronten weiter verhärtet. Foto: Alexander Steenbeck. / SHZ

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Minister Jan Philipp Albrecht und Landrat Reinhard Sager geraten bei Vorstellung der Planungen zum Abschnitt Lübeck-Göhl in Ratekau aneinander.

Ist das Tischtuch bereits zerschnitten? Bei der Ostküsten-Konferenz in der Møn-Halle in Ratekau zum Abschluss einer Reihe von Dialog- und Informationsangeboten und kurz vor Beginn der Genehmigungsverfahren der 380-kV-Leitung wurde deutlich: Die Standpunkte der Beteiligten – Kreis, Land und Vorhabenträger Tennet – könnten nicht gegensätzlicher sein.


Und mehr noch: Bei dem Infoabend am Donnerstag, bei dem vor Ort wie parallel in einer Live-Übertragung im Internet der letzte Stand der Planungen der Ostküstenleitung präsentiert werden sollte, gerieten Energiewendeminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) und Landrat Reinhard Sager (CDU) aneinander.


„Bei uns herrscht große Ernüchterung. Wir sind nach wie vor sehr unzufrieden“, sagte Sager. Der Kreis habe verschiedene Vorschläge unterbreitet, wie die 380-kV-Leitung weniger Betroffenheit auslöse, habe aber keine Unterstützung aus Kiel erhalten.

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Zudem stelle der Kreis den Bedarf des Leitungsprojekts weiterhin in Frage. Die Trassenverlegung ohne weiteren Dialog – „kommunikativ ein Desaster“, wie es Sager nannte – und die angesichts von A1 und Schienenhinterlandanbindung „geballte Infrastruktur“ in Ostholstein waren die weiteren Kritikpunkte, die der Landrat ins Feld führte. Und an das Pilotprojekt Erdverkabelung erinnerte, aus dem nichts geworden sei. „Alles verworfen. Das ist mehr als enttäuschend“, sagte Sager.

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„Das kann so nicht weitergehen“

Minister Albrecht konstatierte mit Blick auf die nicht verstummende Kritik an den Trassenplänen: „Das kann so nicht weitergehen.“ Die Ostküstenleitung habe „weitreichende Bedeutung“, sei der „Garant dafür, die Dekarbonisierung zu erreichen“ und ein wichtiger Teil der Energiewende in Schleswig-Holstein. „Sie hilft uns beim Aufbau des klimaneutralen Energiesystems und wird größere Windstrommengen aus Ostholstein aufnehmen und transportieren können“, so Albrecht.

Die Planungen seien auf Basis von bestehendem Recht vorgenommen worden. „Der Bedarf ist da. Den hat der Bundestag habe als höchste Instanz festgelegt“, sprang Tobias Goldschmidt, Staatssekretär Energie, seinem Minister zur Seite. Die Äußerungen von Sager seien weiterhin „Unterstellungen“, die Goldschmidt mit „Teilweise erschüttert es mich“ kommentierte.

Auf Kritik vorbereitet

Pikant: Die Landespolitik hatte sich anscheinend auf Gegenwind aus Ostholsteins Kreisspitze vorbereitet. Der Minister zitierte auf dem Podium aus einem Schreiben Sagers an Robert Habeck, in dem der Landrat im November 2012 den damaligen Umweltminister aufforderte, der Ostküstenleitung mehr Gewicht zu geben und in entsprechende Landespläne mitaufzunehmen. 1:0 für Albrecht mochten da die Zuschauer denken, doch Sager konterte, dass es damals um ganz andere Trassenverläufe ging.

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„Diskussionen im Keim erstickt“

Doch Sager stand nicht allein da mit seiner Kritik. Dem Wortgefecht von Albrecht und Sager vorausgegangen war ein Statement von Thomas Keller, Bürgermeister der Gemeinde Ratekau. Die 2020 „so nebenbei“ bekannt gegebenen neuen Trassen-Pläne seien bis heute „für uns nicht nachvollziehbar“, so Keller. „Das ist kein Ergebnis, mit dem wir ,Hurra' schreien können. Das macht die Bürger sauer.“


Zudem kritisierte Keller die „70 Jahre alte Technik“ der Ostküstenleitung. „Wir sind enttäuscht, dass so wenig für Ostholstein passiert ist“, sagte der Bürgermeister mit Blick auf Entwicklungen bei Wasserstoff, Erdkabel und Co. „Diskussionen dazu sind im Keim erstickt worden“, sagte Keller.

Tennet präsentiert den Stand der Planungen

Netzbetreiber Tennet schien an diesem Abend fast aus der Rolle des Buhmanns heraus gewesen zu sein, so stark hatte sich die Kritik auf die Kieler Politik konzentriert. Tennet wiederum betonte, dass das Unternehmen die Kritik aus der Region wahrgenommen und 2021 vermehrt auf Kommunikation, sprich eine Reihe von Info-Veranstaltungen gesetzt habe, sagte Till Klages, Gesamtprojektleiter der Ostküstenleitung bei Tennet.

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Und fast schon vorauseilend beschwichtigend betonte Klages: „Es gab keine Veränderungen der Planungen in den letzten Wochen.“


In einem Parforceritt ging es für die etwa 50 Teilnehmer in der Ratekauer Halle wie auch für die rund 60 Interessierten vor den Bildschirmen durch die bisherigen und die aktuellen Planungen – so wie es eigentlich für die Konferenz geplant war. Dabei wurde erneut darauf verwiesen, dass Tennet die „Entlastungswirkung von Erdverkabelungen in Ostholstein als sehr gering einschätzt“, so Klages. Die Folge: In der Region wird die Starkstromleitung nicht „unter Tage“ verlaufen, sondern ausschließlich an Masten.


Der Trassenverlauf orientiert sich seit 2020 an der A1 und der Schienenhinterlandanbindung, bleibt somit dicht an den Küstenorten. Inzwischen stehe aber fest, dass Masten nicht zusätzlich aufgebaut werden müssen. Hinter dem Fachbegriff „Einschleifung“ steht der Abbau von bestehenden 110-kV-Leitungen, die künftig mit an den großen Trägern der Ostküstenleitung verlaufen sollen.

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Die Planfeststellungsverfahren für diese beiden Ostholsteiner Planungsabschnitte beginnen ab Frühjahr 2022.


Dialog ist nicht zu Ende

Der Eintritt in die nächste Phase des Milliarden-Projekts bedeute jedoch nicht das Ende des Dialogs, so Klages. Interessierte könnten sich weiterhin einbringen. „Tennet wird die Aspekte sehr ernst nehmen“, war sich Minister Albrecht sicher und forderte mehr Dialogbereitschaft: „Wir müssen mehr über die Notwendigkeiten des Netzausbaus reden.“ Es gehe jetzt darum, die bestmöglichen Lösungen umzusetzen. Der Minister drückte aber aufs Tempo: „Wir müssen vorankommen.“


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