Wahlergebnisse in Bund und Ländern
Die tragische Liebe der Grünen zum Eigentor
Die tragische Liebe der Grünen zum Eigentor
Die tragische Liebe der Grünen zum Eigentor
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Spätestens mit der Trauzeugenaffäre im Ministerium von Robert Habeck ist das Image seiner Partei als tadellose Weltverbesserin dahin. Sie sollte sich rasch korrigieren. Denn die positiven Impulse, die von den Grünen ausgehen, sind gut für...
Es war schon immer unmöglich, Politik für alle zu machen. Oder wenigstens für eine sehr große Mehrheit der Bevölkerung. In diesen Zeiten ist es – man kann es nicht oft genug sagen – noch weitaus schwieriger bis unmöglich. Dazu liegen die Ansichten, was in zentralen Problemfeldern wie der Flüchtlings- oder Klimaschutzpolitik zu tun sei, zu extrem auseinander.
Die Polarisierung findet nicht nur zwischen den politischen Lagern statt, sondern hat inzwischen die Parteien selbst erreicht. In Berlin war das überdeutlich sichtbar, als die Basis der SPD ihre Zerrissenheit offenbarte und ihrer Führung nur mit hauchdünner Mehrheit folgte, in eine Koalition mit der CDU einzuwilligen. Die andere – knapp unterlegene – Hälfte, insbesondere jüngere Sozialdemokraten, wollte das Bündnis mit Grünen und Linke fortsetzen, weil sie es für „fortschrittlicher“ hielten. Ihnen war egal, dass die große Mehrheit der Berliner Bevölkerung Rot-Grün-Rot auf keinen Fall mehr wollte.
Wähler fordern gleichzeitig Geradlinigkeit und Pragmatismus
Hier zeigt sich auch die Bredouille, in der sich Politiker und Parteimitglieder befinden. Geradlinigkeit statt Rumeiern wird ebenso gewünscht wie Entscheidungen nach dem Gewissen. Aber sobald sie eisern Kurs halten wie etwa die Grünen beim Atomausstieg, ist es auch wieder nicht richtig. Man darf davon ausgehen, dass selbst in den Reihen der Grünen manches Parteimitglied bis in die Bundespolitik die Kernkraftwerke lieber hätte noch ein, zwei oder drei Jahre laufen lassen. Aber insbesondere die Berliner Spitze der Grünen sah sich der Basis verpflichtet, für die das Ende der Atommeiler in Deutschland zur politischen DNA gehörte.
Hätte Wirtschaftsminister Robert Habeck dem Druck der Industrie und der FDP nachgegeben, wäre ihm und der Führung der Grünen die Korrektur innerparteilich mächtig um die Ohren geflogen. Dass solche Überlegungen überhaupt eine Rolle spielen und wohl auch spielen müssen, ist schlimm genug. Denn normalerweise müssten Entscheidungen immer nach rein pragmatischen Gesichtspunkten erfolgen und nicht nach Wählerklientel. Hier hätte das bedeutet, die Kernkraftwerke jetzt noch nicht herunterzufahren. Doch die Grünen – allen voran Habeck – sind dabei, die Energiewende mit einer Vehemenz durchzudrücken, die einen Großteil der Bevölkerung kopfschüttelnd oder verängstigt zurücklässt.
Die Entscheider der Grünen haben das Ziel fest vor Augen, verlieren aber die Mehrheit der Bürger aus selbigen. Bisweilen nimmt das Formen von Aktionismus und Populismus an. Ihre Berliner Spitzenkandidatin Bettina Jarasch ließ als Verkehrssenatorin wenige Tage vor der Abgeordnetenhauswahl 500 Meter der Friedrichstraße im Herzen der Bundeshauptstadt zur Fußgängerzone erklären – ungeachtet aller Bedenken von Handel, Gastronomie und Hotellerie. Die Grünen verloren die Wahl und die Regierungsbeteiligung in Berlin.
Fatale Diskussion um die Abschaffung der Brötchentaste
Aus dem Ergebnis dieser selbstherrlichen Hau-Ruck-Basta-Entscheidung, die nur ein kleiner Teil der Bürger goutierte, könnte man lernen. Trotzdem wiederholte die Bremer Spitzenkandidatin Maike Schaefer, ebenfalls bis dahin Verkehrssenatorin, angesichts schlechter werdender Umfrageergebnisse das zum Scheitern verurteilte Vorgehen und agierte nach dem Motto: Hauptsache die eigene Klientel mobilisieren, alle anderen interessieren uns nicht. Kann man so machen, hat aber nichts mit Politik für die Mehrheitsgesellschaft zu tun, die unsere Demokratie nach wie vor trägt.
Die wie Jarasch gescheiterte Spitzenfrau brach wenige Tage vor der Wahl einen Streit über die Abschaffung der „Brötchentaste“ vom Zaun, die kostenloses Kurzzeit-Parken in Bezahl-Zonen erlaubt – ein Zoff, mit dem nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren war. Wie in Berlin war hinterher von einem „Fehler“ die Rede.
Die Grünen lieben Eigentore, weshalb sie stets vor Wahlen einen Großteil der Bürger verschrecken und das Signal rausposaunen: Bitte das Kreuz nicht bei uns machen. Während hinter der Abschaltung der Atomkraftwerke noch langfristige Strategie, ein echtes Ziel steckte, ist das diskutierte Ende der „Brötchentaste“ eine Idee, von der jede und jeder weiß: Der Verzicht auf die Möglichkeit des Kurzzeit-Parkens wird die Welt nicht retten. Es verärgert nur die Menschen, die ab und an zum Einkaufen fahren (wollen), weil es ihre kleine Welt, bevor sie untergeht, ein wenig leichter macht.
Wer gerne (gefühlte) Katastrophen im Privaten produziert, wird beim Verhindern globaler Katastrophen kaum begeistern. Die Grünen festigten so immer wieder ihren Ruf, übergriffig zu sein, sich zu sehr ins Private einzumischen und Wohnstuben zu kontrollieren, wer wie heizt und was an Energie verbraucht. So zementieren sie das Image der Erziehungs- und Verbotspartei, das sie sich im Bundestagswahlkampf 2013 mit der Forderung nach einem vegetarischen Tag in der Woche (Veggieday) erwarben – ein Vorschlag, der nicht neu war, aber unbedingt vor der Wahl diskutiert werden musste.
Warum die Misserfolge der Grünen irritieren
Die Grünen haben viele gute Ideen und Ansätze, sagen offen, was sie für notwendig halten, ducken sich nicht weg und vertreten standhaft ihre Positionen. Umso irritierender ist es, dass sie von ihrem erfolgreichen Weg abgekommen sind, der ihnen das gesamte Jahr 2022 starke Wahlergebnisse einbrachte: In Bund und Ländern pragmatisch zu handeln, statt auf Ideologie und bestimmte Lehrformeln zu setzen, permanent die Moral-Keule zu schwingen und so zu tun, als seien alle, die ihnen nicht folgen, reaktionäre Hinterwäldler, die man zwingen müsse, endlich auf dem Pfad der Weltverbesserung zu wandeln.
Das Besserwissertum und die zur Schau gestellte Tugendhaftigkeit der Grünen trugen stets Züge von Arroganz. Mit der Trauzeugenaffäre in Habecks Ministerium wirkt das nun lächerlich und sogar verlogen. Der Ruch von Vetternwirtschaft will einfach nicht zu einer Partei der Hypermoral passen. Hoffen wir, dass sich die Grünen rasch korrigieren. Denn die positiven Impulse, die seit Jahrzehnten von ihnen ausgehen, sind wichtig für das Land.