Südermarkt in Flensburg

Trinker- und Drogenszene ist ein Problem für Kinderpsychotherapeutin Anja Funk-Klebe

Trinker- und Drogenszene ist ein Problem für Kinderpsychotherapeutin

Drogenszene ist ein Problem für Kinderpsychotherapeutin

SHZ
Flensburg
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Bei geöffnetem Fenster zu arbeiten, ist für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin nicht möglich. Foto: Michael Staudt/shz.de

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Die Kinderpsychotherapeutin schildert die Problematik aus Sicht ihrer minderjährigen Klientel. So wie jetzt, kann es nicht weitergehen, sagt Anja Funk-Klebe. Doch gehört wird sie nicht, obwohl sie Lösungen vorschlägt.

Busse halten am Südermarkt, Menschen queren den zentralen Platz, treffen Bekannte, eilen in die Innenstadt. Am Fuße der Kirche St. Nikolai stehen Männer und Frauen und unterhalten sich, ein kleiner Hund sitzt mit dem Rücken zur Gruppe und beobachtet das Markttreiben. Eine der Frauen wankt zu dieser Mittagsstunde in Richtung Plattform davon.

Das spielt sich direkt unter den Fenstern der Praxis von Anja Funk-Klebe ab. Sie kennt die wankende Frau beim Vornamen und sieht sie nicht zum ersten Mal in diesem Zustand.

Funk-Klebe ist seit 20 Jahren Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Ihre Praxis hatte sie zunächst auf der anderen Seite des Südermarkts, wechselte dann ins Gebäude gegenüber dem Kirchenportal. „Die Südermarkt-Szene“ erschwert ihr zunehmend die Arbeit. „Das Problem hat sich verschärft“, beobachtet Anja Funk-Klebe.

 

Schon vor sechs Jahren habe sie den damaligen Oberbürgermeister Simon Faber darauf angesprochen. Doch geschehen sei seither wenig.

Zwar waren Anfang Dezember die Bänke auf der Plattform abgebaut worden – als Reaktion auf das Verhalten Einzelner aus der Südermarkt-Szene, wie die Stadtverwaltung mitteilte. Sie behielt sich weitere Maßnahmen vor.

In der Vergangenheit gab es zudem Razzien der Polizei, die kurzfristig die Situation entspannten, wie sich Anja Funk-Klebe erinnert. Doch der Erfolg hielt nie lange an.

Der Südermarkt sei ein Drogenumschlagplatz, sagt die gebürtige Rheinländerin, das sei bekannt und nicht neu. Ihre Wut und Enttäuschung rührt eher daher, dass das Problem, wenn es denn überhaupt als solches anerkannt wird, bagatellisiert werde.

Auch weil in der Neustadt Versuche gescheitert waren, einer ähnlichen Klientel aus Obdachlosen, Drogen- und Alkoholabhängigen ein Refugium zu schaffen und es immer mehr Bedürftige gebe, werde die Szene auf dem Südermarkt stattdessen immer größer.

Anja Funk-Klebe berichtet von Spritzen im Briefkasten, von Junkies, die sich im Eingang zu ihrer Praxis übergeben. Oder von einem Mann im roten Kapuzenpullover, der sich ganz offenkundig eine Spritze mitten auf dem Markt setzte und komatös zur Seite kippte.

Oder von einer am Boden liegenden Frau, der eine Passantin Hilfe anbot, jedoch mit einem Schirm in die Flucht geschlagen wurde. Und von der dänischen Touristin im Café unter ihrer Praxis, die einem bettelnden Mann kein Geld geben möchte, der aus Frust mit einem Feuerzeug ihre Haare versuchte, in Brand zu setzen.

Manche der Biografien der Betroffenen seien schrecklich, weiß Funk-Klebe. „Die haben sich aufgegeben. Und ich kämpfe genau dagegen, dass Kinder und Jugendliche sich nicht aufgeben.“

Kinder erleben eine ohnmächtige Gesellschaft

Die Kinderpsychotherapeutin erzählt von einer Mutter, die in ihrer Jugend von einem alkoholisierten Mann vergewaltigt worden sei. Auf dem Weg mit ihrem zehnjährigen Sohn in die Praxis sei diese Frau von einem Mann aus der Trinkerszene bedrängt worden. Seine Mutter starr vor Angst zu sehen, sei für den Jungen ein schreckliches Erlebnis und komme einer Retraumatisierung gleich, erklärt Anja Funk-Klebe.

Sie schildert zwei weitere Begebenheiten: In einem Fall war bei der Familie kurz zuvor eingebrochen worden; die Mutter, ebenfalls mit früherer Gewalterfahrung, und ihre achtjährige Tochter trafen auf den Stufen zur Praxis auf eine lallende Frau. „So eine Anmache ist eine Grenzüberschreitung“, erläutert Funk-Klebe.

In einem Beispiel aus dem Sommer konnte das Kind die Geräuschkulisse mit Pöbeleien und Hundebellen, die durch das offene Fenster in die Praxis drang, nicht ausblenden. Das Kind eines narzisstischen Vaters, der die Bedürfnisse seines Sohns ignoriert, erlebe hier dieselbe Ohnmacht wie die kleinen Klienten in den anderen Fällen.

Kinder fühlen sich schutzlos und ohnmächtig

Wenn es über die Szene heißt, „die tun doch nichts“, dann sei das schlicht falsch, kontert die Psychotherapeutin. Insbesondere für ihre junge Klientel, von denen sich manche kaum mehr in die Praxis trauten, wirke die Südermarktszene mitunter bedrohlich. Das sei eben keine Bagatelle, wenn die Kinder und Jugendlichen der Situation schutzlos ausgeliefert miterlebten, wie niemand hilft und ein Großteil der Gesellschaft wegguckt, sagt Anja Funk-Klebe. „Im privaten Umfeld gibt es eine Schutzzone, im öffentlichen Raum leider nicht.“

Sie verwahrt sich gegen eine Spaltung und gegen ein Schwarz-Weiß-Bild, dass Privilegierte hier „gegen die Szene kämpfen“. Ihre Bemühungen bei Parteien, Verwaltung, Kinderschutzbund, Polizei, selbst beim BKA stießen auf wenig Widerhall. Auch Gespräche mit den meisten Betroffenen laufen ins Leere; manche seien kaum ansprechbar, anderen genügt das als Zündstoff für Pöbeleien.

„So geht es einfach nicht weiter“, resümiert Funk-Klebe. Auch analog zu ihrem Beruf weiß sie: „Wenn ein Problem verschleppt wird, wird es nur schlimmer.“

Ja, betont sie, die Obdachlosen brauchen Hilfe. Sie spricht sich für eine Sozialstube aus, eine dauerhafte Bleibe mit Sozialkräften als alternativen Ort zum Südermarkt. „Es gibt Lösungen, aber die werden nicht angeboten“, klagt Anja Funk-Klebe und bittet eindringlich darum, Lösungsansätze überhaupt auszuprobieren.

Sie selbst denkt zwangsläufig über einen Umzug ihrer Praxis nach, aber ihrem Gerechtigkeitsempfinden entspricht das nicht.

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